Der Präsident der Reichen, wie Emmanuel Macron in Frankreich auch genannt wird, macht diesem Namen weiterhin alle Ehre: Gerade hat sein politisches Bündnis „Die Marschierer“ die absolute Mehrheit im Parlament verloren, schon kuschelt Macron sich an die rechtsextreme Marine Le Pen. Deren Partei Rassemblement National (RN) ist ebenfalls im Parlament, und zwar als zunehmend aufstrebende Oppositionspartei. Gemeinsam sind wir stark, denkt sich also Macron, egal, ob es die extremen Rechten sind. Das ist ein bewusst kalkulierter und vollzogener Tabubruch, der die engagierten Mühen progressiver Kräfte für ein sozialeres, gerechteres Frankreich zurückdrängt. Hauptsache an der Macht bleiben, so das Kalkül Macrons. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Für das linke Bündnis NUPES muss es wie Hohn wirken, dass die Bürgerlichen mit den extremen Rechten ins Bett steigen. Was stets von Macron und Co. kategorisch abgelehnt wurde, wird jetzt möglicherweise politischer Alltag in Frankreichs Parlament: die Zusammenarbeit und Stimmenbündelung bei Gesetzesverabschiedungen. Macron zieht diesen bitteren Trumpf, weil seine Marschierer keine absolute Mehrheit haben, die Zeiten des Durchregierens sind gerade vorbei. Also …
Emmanuel Macron ist ein kalter, zynischer Machtpolitiker, ein (immer noch) erfolgreicher dazu. Ebenfalls in diese Politiker-Kategorie passt Marine Le Pen, die zunächst noch im Wahlduell um das Präsidentenamt Macron unterlag. Nun aber läuft sie nach der Parlamentswahl als Fraktionschefin ihrer erfolgreichen RN im Parlament zu einer Art Hochform auf, ohne einen intensiven eigenen Beitrag leisten zu müssen. In Frankreich sind die Rechtsextremen enorm im Kommen, weil Macron und seine bürgerlichen, reaktionären Kräfte nicht sie bekämpfen, sondern die Linken. Lieber tot als rot, könnte man ein altes Sprichwort ausrufen. Man stelle sich vor, mit 89 Sitzen ist die RN im Parlament vertreten und kann dank Macrons Handreichung in Zusammenarbeit mit seinen Macronisten eine Mehrheit bilden, um Gesetzesvorhaben zu beschließen. Und diese sind alles andere als sozial und progressiv.
Macron hat eigentlich stets beschworen, für alle Franzosen so politisch tätig zu sein, auf dass keiner seiner Landsleute Grund hat, die Rechtsextremen zu wählen. Versprochen 2017 zu seinem Amtsantritt. Doch soziale Politik, ein Ohr für die einfachen Menschen im Land haben, eine wortgewaltige Abgrenzung zu den Rechten vollziehen – dies war und ist bei Macron nicht zu sehen. Allein die Bilder und Videos von brutalen Polizeieinsätzen, befohlen durch Macrons Innenminister Christophe Castaner, zeugen vom Machtrausch, von der Verachtung Macrons gegenüber den Menschen auf der Straße. Ein kleine Genugtuung konnte bei den Parlamentswahlen genossen werden: Der verhasste Innenminister verlor sein Mandat und musste seinen Sessel im Innenministerium räumen. Macron war zur Regierungsumbildung gezwungen.
Macron tobt derweil weiter, er hetzte und hetzt gegen das neue Bündnis NUPES, stellt die Linken mit den Rechten gleich und sorgt durch das Innenministerium dafür, dass Statistiken der Wahlen so aussehen, als hätte die Linke eine Niederlage eingefahren. Beim zweiten Wahlgang sorgten Marschierer-Kandidaten dafür, mittels „ungültig“ ausgewiesenen Stimmzetteln linke Kandidaten zu verhindern – was letztlich zum Vorteil für Extremrechte geriet. Die Macronisten verloren dennoch die absolute Mehrheit, kamen auf lediglich 245 Sitze und das NUPES-Bündnis zog mit beachtlichem Sitzanteil (131) als linke Opposition ins Pariser Parlament ein. Einig sind wir stark, könnte jetzt als Slogan ausgegeben werden. Doch bei den Parteien im NUPES-Bündnis herrscht die Auffassung vor, man wolle je als eigenständige Einzelfraktion im Parlament agieren als im Verbund, was somit NUPES als stärkste Oppositionsfraktion verhindert und damit die RN zu dieser macht. Das linke Bündnis beraubt sich selbst seines Wahlerfolges. Und stärkt damit – ungewollt zwar – die Rechtsextremen und die Macroniten.
Was stört mich das Geschwätz von gestern, denkt Macron. Er macht sich mit Le Pen gemein, deren Programm rassistisch, radikal, nationalistisch und neoliberal-wirtschaftsfreundlich ist. Letzterer Punkt bezieht sich darauf, dass auch Le Pen keineswegs vorhat, die Reichen in die Verantwortung zu nehmen, sich am Gemeinwohl der Gesellschaft zu beteiligen oder gar innezuhalten, ihre Gier nach Geld und Macht und Einfluss auf Kosten der Mehrheit des Landes auszuleben. Lediglich beim Thema Renteneintrittsalter blockt sie (noch) Macrons Vorhaben, 65 Jahre ins Visier zu nehmen.
Es ist zum Heulen für die Franzosen. Die Zerrissenheit der Gesellschaft ist bis ins Parlament zu erleben, die Profiteure stört es nicht, der Präsident in seiner Machtbesessenheit nimmt sogar in Kauf, wie eben auch linke, opportunistische Kräfte, dass Frankreichs Rechtsextreme Fahrt aufnehmen und in ein paar Jahren mit mehr als 89 Sitzen im Parlament aufwarten könnten. Und wenn einst Le Pen gar Präsidentin würde, dann wird es keiner so gewollt haben beziehungsweise doch, denn schon heute ist im Parlament zu beobachten, die die etablierten bürgerlichen Kräfte lieber eine Frau Le Pen im Finanzausschuss als Vorsitzende sehen als einen linken Politiker, der sich mit den Interessen und Wünschen der Vermögenden nicht auskennt.
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