Manche Medien versuchen sich jetzt an der pauschalen Diffamierung der „gegnerischen“ (russischen) Bürger. Das ist infam und geht noch einen Schritt weiter als die bisherige „normale“ Kampagne zur Verlängerung der Krieges in der Ukraine. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Die Kriegsberichterstattung mancher deutscher Medien verschärft sich dieser Tage nochmals: War bislang in einer unangemessenen Personalisierung oft von „Putins Krieg“ die Rede, mehren sich nun die Beispiele, in denen diese bereits verzerrende Meinungsmache noch übertroffen wird. Thema ist dann ein (von mir zugespitzt) in der dunklen russischen Seele verankerter Hang zur Gewalt.
Beispielsweise lüftet das sogenannte „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) in einem infamen aktuellen Artikel:
„Das Geheimnis der russischen Grausamkeit“
Der Artikel beruft sich auf „kleine, aber authentische Horrorvideos“. Und er stützt einmal mehr die Behauptung von einer angeblichen historischen Einmaligkeit des Ukrainekriegs. Demnach habe „die Brutalität der Russen bei ihrem Vorgehen in der Ukraine ein Ausmaß angenommen, das in den Mainstreammedien des Westens schon aus Gründen des Jugendschutzes nicht mehr konkret dargestellt werden darf: Es wäre, ob auf Twitter oder in der Tagesschau, allzu verstörend.“ Ist dieser Krieg also verstörender als alle bisherigen?
„Russische Armee“ agiert „nach dem Muster einer Terrorbande“
„Schaudernd“ würden „Analysten und Analystinnen bei der NATO feststellen“, dass die russischen Aktivitäten kaum noch zu erklären seien, „wenn man klassische militärische Maßstäbe anlegt“:
„Denn immer offener agiert die russische Armee nach dem Muster einer Terrorbande.“
Den Gedanken „an schieren Terror als Kriegsziel” zuzulassen, würde Überwindung kosten, so das RND, könne aber hilfreich sein: „Wer sich auf die Logik des Terrors einlässt, findet plötzlich Erklärungen auch für bislang Unerklärliches, vom widersprüchlichen Hin und Her russischer Truppen auf dem Schlachtfeld bis hin zur Bombardierung einer ukrainischen Geburtsklinik am 9. März 2022“. In diesem Stil reiht der Artikel, zu dem sich etwa auch Thomas Röper geäußert hat, zahlreiche weitere Behauptungen aneinander:
„Kaum zu ertragende Bilder entstehen in der Ukraine nicht nur vereinzelt in einigen düsteren Folterkammern der Russen. Sie entstehen rund um die Uhr, landauf, landab, am helllichten Tag, auch bei kleineren Vorkommnissen, die es nicht in westliche Nachrichten schaffen. (…) In Mykolajiw zum Beispiel gefiel es den Russen, am 29. Juli 2022 ein Wohngebiet zu bombardieren. Um möglichst viele Menschen töten und verstümmeln zu können, wartete man, bis Straßen und Plätze sich füllten. (…)
Im Zentrum stehe für Wladimir Putin „nicht dieses oder jenes militärische Ziel, sondern der generelle Vernichtungswille gegenüber dem ukrainischen Volk“. Und „während in jedem demokratischen Staat der Erde Kriegsverbrechen zu Enthüllungen und Skandalen führen“ würden, würden „in Russland andere Gesetze“ gelten: Rechtsbrüche würden, wenn sie etwa Ukrainer und Ukrainerinnen träfen, sogar offiziell gefordert, so RND. Das ist für das RND die Überleitung zur indirekten Diffamierung der russischen Bevölkerung:
„Woher kommt dieser Wunsch nach Grausamkeit? Lässt sich alles immer auf Putin zurückführen – oder walten an dieser Stelle in Russland breitere, tiefer reichende soziokulturelle Kräfte?“
„Die Russen sind Zombies“
Man stelle sich ein solches verallgemeinerndes Vokabular gegenüber der US-amerikanischen Bevölkerung (nicht der Regierung) vor, etwa anlässlich der Irakkriege oder der verdeckten, US-unterstützten Angriffe auf Syrien. Auch entsteht ein Widerspruch zwischen der bisherigen Losung von „Putins Krieg“ und einer nun entdeckten gewaltvollen „Tradition“ im russischen Volk. Kritik an dieser Meinungsmache bedeutet selbstverständlich keine Leugnung russischer Kriegspropaganda oder eine Sehnsucht nach einer Unterwerfung unter die „russische Autokratie“, sondern sie folgt (neben den historischen Verpflichtungen Deutschlands) aus einer kühler Analyse heraus: Frieden und Wohlstand ist in Europa nicht denkbar, wenn die Feindschaft gegenüber Russland weiter so befördert wird.
Es gibt weitere aktuelle Beispiele für die hier beschriebene Tendenz. So schreibt die „Junge Welt“ über diesen Artikel in der „Zeit“:
„Die Zeit dachte sich jedenfalls, 76 Prozent können sich nicht irren, und veröffentlichte am Donnerstag eine Homestory aus dem »Asow«-Regiment. Überschrift: »Die Russen sind Zombies«. Die übermittelten Zitate kommen von Herrenrassemördern alten Stils und angesagten NSU-Killern. Zum Beispiel Dmitri: »Was fühlt man, wenn man einen Russen umbringt? Antwort: Den Rückstoß der Kalaschnikow.« Die Zeit findet dafür vornehmes Vokabular: »Hypernationalismus, Männlichkeitsmythen und Askese«.“
Und im aktuellen „Spiegel“ wird der Beobachter Wenediktow zitiert, der sich zur russischen Befindlichkeit folgendermaßen äußert:
„11 Millionen russische Familien haben nahe Verwandte in der Ukraine. Das macht 40 Millionen Menschen, die dort Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Enkel haben. Und dann eine solche Unterstützung für den Krieg. Wie kann das sein?“ Mit Propaganda lasse sich das nicht erklären. „Da ist etwas Ungutes, das tief in den Leuten sitzt. Da geht es um den jüngeren Bruder Ukraine, der als Verräter gesehen wird, weil er besser leben will als du selbst.“
Im Artikel steht dann auch:
„Nichts unterscheidet die russische Gesellschaft so stark von der ukrainischen wie die Bereitschaft, sich einer geradezu monarchischen Herrschaftsform zu unterwerfen.“
Ins Bild der antirussischen Hysterie in vielen deutschen Redaktionen passt auch die Aufregung über einen Bericht von „Amnesty International“, über Kriegsverbrechen von ukrainischer Seite, etwa bei der „Bild“ hier oder hier.
Massive Heuchelei
Es wurde schon oft festgestellt, aber die Botschaft ist auch wichtig: Die Berichterstattung vieler großer deutscher Medien zum Ukrainekrieg ist geprägt von massiver Heuchelei. Die Darstellung des russischen Einmarsches hebt sich in grellen Farben von den Berichten zu den zahlreichen westlich initiierten Kriegen ab, es wird so getan, als sei der Ukrainekrieg eine Zäsur in der Menschheitsgeschichte, die alles bisher Erlebte in den Schatten stellt.
Nur mit dieser Haltung lassen sich auch die selbstzerstörerischen Sanktionen propagandistisch verteidigen, die sich vor allem gegen die eigenen Bürger richten und in keiner Weise das schreckliche Leiden der ukrainischen Zivilisten lindert – im Gegenteil, tragen die von vielen großen deutschen Medien verteidigten westlichen Waffenlieferungen zu einer Verlängerung von Krieg und Leid bei.
Es gibt Kriegsverbrechen, die gehen über das „normal“ schreckliche Kriegsgeschehen hinaus. Die aktuell von manchen Medien genutzten Berichte über extreme Gräueltaten der Russen sind aber zum einen oft nicht angemessen überprüft. Zum anderen kann ich mich an kein Beispiel erinnern, in der in ähnlicher Weise die Handlungen einer westlichen Kriegspartei als historisch dermaßen einzigartig beschrieben worden wären und dabei auch die westlichen Bürger dämonisiert worden wären. Wer diese Feststellung als „Whataboutism“ abtut, handelt meiner Meinung nach nicht redlich.
„Sexualisierte Gewalt gehört zur Tradition der russischen Armee“
Die hier beschriebene Entwicklung, nicht mehr nur den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu dämonisieren, sondern indirekt eine Art dunkle „russische Seele“ oder gewalttätige Traditionen Russlands zu suggerieren, hat sich bereits angekündigt, wie die NachDenkSeiten hier beschrieben haben. So behaupteten „Experten“ in der „Welt“ bereits im April:
„Sexualisierte Gewalt gehört zur Tradition der russischen Armee. Berichte über offenbar systematische Vergewaltigungen ukrainischer Frauen und Kinder durch russische Soldaten häufen sich. Experten sehen darin ein Mittel, das Widerstand brechen und Truppen `belohnen’ soll.“
Und im „Spiegel“ wollte Sascha Lobo eine Schuld der russischen Regierung auf eine „Mehrheit“ der Russen ausdehnen:
„Dass russische Truppen offenbar derart monströs handeln, enthüllt wohl das Ziel des russischen Überfalls: die Vernichtung der Ukraine. (…) Butscha und die propagandistische Reaktion bedeuteten, dass es sich nicht mehr (nur) um einen Angriffskrieg handelt, sondern um einen Vernichtungskrieg. (…) Ich halte es gerade aus deutscher Sicht für essentiell, die russische Bevölkerung nicht samt und sonders aus ihrer Verantwortung rauszuentschuldigen, jedenfalls den putinstützenden Teil. (…) Es geht hier nicht um eine Generalverurteilung aller Russinnen und Russen – aber um die Verantwortung der Mehrheit.“
Die Wurzeln des Russenhasses
Angesichts der hier zitierten Beiträge fühlt man sich gar an die historischen Wurzeln des deutschen Russenhasses erinnert – oder auch an Aktivitäten unter anderem der CDU in der Nachkriegszeit, an die dieses Plakat erinnert:
Titelbild: Kastoluza / Shutterstock