
Unter taktischen Aspekten ist weniger die AfD der Gewinner der Causa Max Otte; vor allem ist es Otte selbst. Mit der Ankündigung seiner Bereitschaft, auf Vorschlag der AfD bei der Bundespräsidentenwahl am 13. Februar als Kandidat anzutreten, nötigte der bisherige Chef der Werte-Union dem Bundesvorstand unter dem neugewählten CDU-Chef Friedrich Merz gestern – weit früher, als diesem lieb war – ein Bekenntnis dazu ab, wohin sich die Union fortan orientieren wird, und ob sie auch unter dem vermeintlich bürgerlichen Merz an ihrem spalterischen und unerbittlichen Abgrenzungskurs gegenüber liberal-konservativen, nichtlinken Positionen festhalten wird. Mit einer prompten und harschen Reaktion der CDU-Chefetage, die in Ottes Rausschmiss kulminierte, besteht nun wenigstens diese Klarheit: Die Union wird am bisherigen politisch korrekten, konfliktscheuen Wischi-Waschi der zeitgeistanbiedernden Beliebigkeit festhalten.
Merz musste Farbe bekennen – und bekannte sich. Nicht schwarz, sondern wie gehabt rotgrün, unter Ausschluss der politischen Kretins vom rechten Rand, wird die CDU unter ihm auch weiterhin in der Spur laufen. Vermutlich ging es Otte darum, sich darüber Klarheit zu verschaffen – indem er den Hoffnungsträger entweder entzaubert oder zum Schwur zwingt. Dadurch hat er Merz ohne große Umschweife in die Verlegenheit gebracht, eine Kassette abzuspulen, die dieser vielleicht lieber noch eine Weile für sich behalten hätte. Nun betet Merz wortgleich dasselbe herunter, was auch seine Vorgänger eilfertig taten: Keine Kooperation oder irgendwie geartete Annäherung an die AfD – stattdessen soll eine „Brandmauer” zu ihr stehen – bedeutet: Null inhaltliche Kompromisse, was jegliche offizielle oder auch nur informelle Kooperation mit ihr anlangt. Anderslautende Beschlüsse werden auch unter ihm „rückgängig gemacht”.
Die letzte Hoffnung geplatzt
Damit ist für Wertkonservative, Wirtschaftsliberale und Realpolitiker, die mit Merz‘ Parteivorsitzübernahme bislang noch die irrige Annahme verbunden haben mochten, unter dem späten Wunschkandidaten gelänge vielleicht doch noch so etwas eine nüchterne, weniger ideologische Integration der bürgerlichen Mitte (und es könne möglicherweise künftig ja vielleicht sogar eine niederschwellige pragmatische Zusammenarbeit mit der AfD geben), die letzte Hoffnung geplatzt: Merz hat sich mit seiner allergischen und demonstrativen Haltung seines „sehr harten und klaren Schnitts” gegen Otte erwartungsgemäß als Blockflöte des Linksstaates geoutet, der garantiert keine „neuen Wege” beschreitet und schon gar keine Mauern durchbricht, sondern im manichäischen Freund-Feind-Denken seiner Betonvorgängerin gefangen bleibt: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, und wer nicht mit uns links ist, ist rechtsradikal. Wenigstens kann der übrige Altparteiblock nun ganz beruhigt sein, der mit Merz‘ Wahl abstruserweise so etwas wie einen „Rechtsruck“ befürchtete: Keine Sorge, der tut nichts! Und zugleich hat Merz damit auch der Werte-Union sowie den den parteiinternen Anhängern von Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen final zu verstehen gegeben, dass für sie in der CDU keine politische Heimat mehr ist. Wenigstens besteht nun dahingehend Klarheit.
Merz und seine Vorstandskollegen wissen natürlich nur zu gut, dass der formale Aufhänger für diese willkommene Säuberungsmaßnahme, über die die Unions-Parteilinke nun ebenso frohlockt wie der Rest der faktischen Einheitsfront von SPD, FDP, Grünen und Linkspartei, reichlich dürftig ist. Denn eine ridikülere Farce als die Bundespräsidentenwahl gibt es im politischen Zirkus der BRD praktisch gar nicht: In einer „Wahl“-Inszenierung wird hier durch nach politischen Gefälligkeitslisten besetzte Abgesandte der einzelnen Parteien ein bereits im Vorfeld ausgekungelter Kandidat – im konkreten Fall die personifizierte Unsäglichkeit F.-W. Steinmeier – formal abgesegnet. Die Wahlgänge samt schlussendlichem „Wahlergebnis“ sind in etwa spannend wie ein Zugfahrplan, und Überraschungen sind hier ebenso wahrscheinlich wie in der DDR-Volkskammer weiland.
Störung der politischen Totenruhe
Dass ein unbequemer Libertin wie Otte dieses steife Verfahren in gleich zweierlei Hinsicht aufmischen und entkrusten will – zum einen durch die Provokation der Annahme eines parteiübergreifenden Vorschlags (und damit quasi als Affront gegen die eigenen „Parteifreunde“), zum anderen durch die beabsichtigte Störung der politischen Totenruhe einer Demokratie-Inszenierung namens „Bundespräsidentenwahl“ mit einer (natürlich aussichtsreichen) PR-Kampfkandidatur: Für die CDU war dies wohl zu viel des Guten.
Prompt empörten sich die üblichen Verdächtigen über Otte: Generalsekretär Paul Ziemiak fluchte, er habe mit der Annahme einer Kandidatur auf Vorschlag der AfD „auch gegen Parteitagsbeschlüsse” verstoßen, daher sei der Parteiausschluss unabdingbar. Otto lehnte diesen natürlich listig ab – und hatte zugleich sichtlich diebische Freude daran, gemeinsam mit AfD-Chef und Co-Fraktionschef Tino Chrupalla und Co-Fraktionschefin Alice Weidel im Bundestag vor die Kameras zu treten und nochmals die Ernsthaftigkeit seiner Kandidatur zu beteuern. Hier sitzt eine jahrelange Kränkung durch die eigene Partei offenbar so tief, dass er nun zu jener Konfrontation bereit war, die weder sein Vorgänger Alexander Mitsch als Chef der Werte-Union noch Hans-Georg Maaßen riskieren wollten: Denn als CDU-Paria wollte Otte seine eigene Partei als maximal intolerant und ihren ideellen Wurzeln entfremdet vorführen – und die tappte prompt in die Falle; ganz ähnlich übrigens wie die SPD bei Sarrazin.
In die SPD-Sarrazin-Falle getappt
Worüber die linke Presse, etwa „n-tv“ und auch der „Spiegel„, gestern begeistert spekuliert hatte – dass die Entwicklungen in der Affäre Otte für die CDU-Spitze und Merz „eine Chance” sein könnte, „Kante zu zeigen” – natürlich im Sinne maximalen Distanzierung von der AfD -, das hätte genau in umgekehrter Stoßrichtung Sinn ergeben: Große Chance hätte für Merz darin bestanden, die Kandidatur Ottes zu tolerieren. Damit hätte er die Union vielleicht für bürgerliche Kräfte wieder wählbarer gemacht – und die AfD arg auflaufen lassen, indem er ihr plötzlich Konkurrenz macht. Doch soviel Cleverness – oder Courage – sind dem einstigen Wunderknaben der Union anscheinend abhold. Auch Merz erweist sich enttäuschenderweise als Pawlow’scher Hund – für Otte mutmaßlich Bestätigung und Triumph zugleich.
Was ein wenig verwundert, ist der Umstand, dass die – auch vom Autor dieser Zeilen hochgeschätzte – Publizistin Vera Lengsfeld, langjähriges CDU-Mitglied, diese eigentliche Intention entweder verkennt oder nicht zu würdigen weiß: Auf ihrem persönlichen Blog ging sie gestern hart mit ihm ins Gericht, wirft ihm Sabotage und ein „Zerstörungswerk“ vor und beklagte, Otte habe „alle Erneuerungsversuche der CDU… mit voller Absicht“ zunichte gemacht; dabei werde doch „nach wie vor eine Kraft gebraucht, die es sich zur Aufgabe macht, die CDU zu ihrem bürgerlichen Kern zurückzuführen.” Eher umgekehrt wird ein Schuh daraus: Otte hat lange alles Erdenkliche getan, diese Kraft zu verkörpern. Gedankt hat man es ihm mit massiven innerparteilichen Anfeindungen, mit der permanenten Unterstellung, er sei ein AfD-Trojaner – und schließlich mit einer verlogenen Dialogbereitschaft, die keine war. Denn Merz hatte nach seiner Wahl am Wochenende ausdrücklich erklärt, er werde „mit allen Gruppierungen der CDU” sprechen. Seine Reaktion auf Ottes Bereitschaft, sich für ein – bezeichnenderweise überparteilich angelegtes – Staatsamt zu bewerben, bloß weil der Vorschlag dafür von den „Falschen“ kam, hat die Unaufrichtigkeit dieser Aussage enttarnt.