Horst D. Deckert

Milliardär Götz Werner und das Zombie-Grundeinkommen

Bedingungsloser Verfechter des Grundeinkommens: Der vorletzte Woche verstorbene dm-Drogerie-Gründer Götz Werner (Foto:Imago)

Warum unternahm Götz Werner, Gründer und ehemaliger Chef der Drogeriemarktkette „dm„, bis zu seinem Tod keinen ernsthaften Versuch, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zu realisieren? Warum scheitern Grundeinkommens-Initiativen bisher jedes Mal – und wie kann man das ändern? Mit Werner starb am 8. Februar dieses Jahres Deutschlands bisher größter Hoffnungsträger für das BGE. Mit der Grundeinkommenspartei „Bündnis Grundeinkommen”, dem Schweizer Initiator des gescheiterten Grundeinkommen-Volksentscheids Daniel Häni, Katja Kipping von der Linkspartei und vielen anderen BGE-Initiativen hatte Werner eines gemeinsam: Keinerlei Offenheit für Diskussionen über Modelle. Dabei sind es die Modelle, die über Problemlösungspotential, Mehrheitsfähigkeit und Umsetzbarkeit entscheiden.

Götz Werners Mission für das BGE begann im März 2005 mit einem Interview im Magazin „brandeins”. Am 2. Mai 2006 erzielte er erstmals eine größere Reichweite, als er gemeinsam mit Oskar Lafontaine und Lothar Späth bei „Maischberger” auftrat. Es folgten seither unzählige Auftritte und Interviews sowie die – meist nur verbale – Unterstützung diverser Grundeinkommens-Initiativen und Aktivisten. Werner hielt zahllose Vorträge in Hör- und Gemeindesälen und sammelte Applaus, Titel, Ehrungen und Orden. Ich traf ihn 2010 zufällig am Brandenburger Tor, anlässlich der Demo zur Unterstützung von Susanne Wiests gescheiterter BGE-Petition beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags.

Ungenutzte Möglichkeiten

Nun kommt es bei Missionen neben der Problemlösungsfähigkeit und Mehrheitsfähigkeit vor allem auf die Möglichkeiten zur Umsetzung an. Wenn man ein politisches Ziel zu einer öffentlichen Debatte führen will, braucht man zunächst mediale Reichweite und Geld. Werner hatte beides wie kaum ein anderer. Als eloquentem deutschen Selfmade-Milliardär standen ihm jederzeit alle Talkshow- und Redaktions-Türen offen. Medienschaffende freuen sich über die Prominenz des Chefs einer Marke, die jeder kennt. Sein Thema BGE ist von allgemeinem Interesse in einer Arbeitswelt, in der Globalisierung und Digitalisierung Einkommen drücken, und Jobs entweder zerstören oder für durchschnittliche Menschen unerreichbar schwierig machen („Mismatch”). Da die mediale Reichweite also vorhanden war, blieb stets die Frage, warum Werner fast nichts aus seinen enormen finanziellen Möglichkeiten machte: Der Wert seines Anteils an der dm-Drogeriemarkt-Kette wurde 2010 – auf dem Höhepunkt seiner Mission – auf 1,1 Milliarden Euro geschätzt (heute: 2,4 Milliarden Euro).

Dabei muss man bedenken: dm ist eine GmbH + Co. KG; bei einem Börsengang wäre sie ein Vielfaches wert. Gegen einen Börsengang sprach nie, dass es den Angestellten dann schlechter ginge. Bei dm liegt das Gehalt der Angestellten in den Geschäften nur knapp über dem Mindestlohn. Obwohl Werner Bonussysteme als „permanentes Misstrauen gegenüber der Leistungsbereitschaft seiner Mitarbeiter” bezeichnete, gab es bei dm dennoch Leistungs- und Gruppendruck durch filialenbezogene Boni. Als eine Betriebsratsgründung nicht mehr zu verhindern war, trat dm die Flucht nach vorne an und sprach gezielt Mitarbeiter an, um unternehmenskritische Mitarbeiter/innen „auszubooten”. Nach einem Börsengang wären die Arbeitsbedingungen bei dm ähnlich geblieben. 2010 transferierte Werner seine Unternehmensanteile dann in eine gemeinnützigen Stiftung, die allerdings keinerlei Öffentlichkeitsarbeit betreibt und die bisher kein erkennbares Projekt unterstützte. Was ist der Zweck dieser Stiftung? Warum engagiert sie sich nicht für Werners Lieblingsprojekt – das BGE?

Politisches Erdbeben verschenkt

Wenn Werner wirklich von seiner Mission überzeugt war – warum hat er dann sein enormes Kapital in einer passiven Stiftung geparkt, statt damit das BGE voranzubringen? Man stelle sich vor: Ein Prominenter mit Zugang zu den Massenmedien würde hunderte Millionen – vielleicht sogar über eine Milliarde – Euro in eine Kampagne stecken, um ein Thema politisch voranzutreiben, das die Mehrheit der Wähler begrüßen würde. Welche Chancen hätte eine solche Kampagne? Riesige. Noch konsequenter wäre der Auf- und Ausbau einer neuen Partei gewesen; denn die großen Parteien sind programmatisch festgefahren und lediglich darüber uneins, ob die Stellschrauben des alten Systems im oder gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden sollen. Mit Götz Werners Prominenz und Kapital sowie einem überzeugenden, visionären Programm in den Bereichen Arbeit/Rente und Demokratie wäre ein politisches Erdbeben möglich gewesen – denn dies wäre seit der Gründung von Bundesrepublik und DDR, abgesehen von den Grünen und der AfD, die erste Partei gewesen, die in das Kartell der alten Parteien einbricht. Und nichts fürchten die etablierten Parteien mehr als eine neue Kraft im Parlament.

Eine neue Partei mit außergewöhnlichen programmatischen und großen finanziellen Möglichkeiten könnte die alten Parteien vor sich hertreiben und Protestwähler einsammeln. Götz Werner hat sich entschieden, die Chance auf dieses politische Erdbeben zu verschenken und nicht als der Mensch in die Geschichte einzugehen, der eine Revolution lostrat. Vielleicht kommt ja jemand anders, der solche Möglichkeiten hat, auf diese Idee?

Keine Chance: 1-Themen-Partei

Als quasi letztes wahrnehmbares BGE-Lebenszeichen empfahl Werner die Wahl der Partei „Bündnis Grundeinkommen”, die stets nur auf dieses eine Thema beschränkt war (und weiterhin ist). Zudem lässt sie auch die Kritikpunkte an den altbekannten Modellen unbeantwortet. Ergebnis: Trotz einer für Kleinparteien außergewöhnlich wohlwollenden und umfangreichen Berichterstattung der Massenmedien konnte diese Partei bei Wahlen nichts erreichen. BGE-Galionsfigur und Ex-Parteivorsitzende Susanne Wiest warf nach der ernüchternden Bundestagswahl 2017 (0,2 Prozent) das Handtuch und heuerte bei der SPD an. Bei der Europawahl 2019 halbierte sich das Wahlergebnis sogar noch einmal auf 0,1 Prozent. Seit 2019 trat die Partei bei keiner Wahl mehr an. Klar aber ist: Wenn man das BGE umsetzen will, geht das nur mit einem ausgereiften Modell und einer Partei mit überzeugendem Vollprogramm.

Das Problem war Götz Werners Modell. Als klugem Menschen muss ihm das bewusst gewesen sein: Sein Grundeinkommens-Modell umfasst ein BGE von 1.000 Euro brutto. Davon mussten Krankenversicherung, Miete und Lebenshaltung bestritten werden. Wie alle niedrigen Grundeinkommen war es also nichts anderes als ein bedingungsloses Hartz IV.

Es sollte durch eine Mehrwertsteuer von 100 Prozent finanziert werden, die der Staat umverteilt. Damit wären alle Preise explodiert. Vertreter des Bundesfinanzministeriums rechneten 2010 beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags der Petentin Susanne Wiest vor, dass dafür sogar 130 Prozent Mehrwertsteuer notwendig seien. Wiest antwortete darauf mit Götz Werners Standard-Antwort, es gehe erst einmal darum, „das Grundeinkommen zu denken”. Die BGE-Idee stammt allerdings bereits aus Thomas Morus 1516 erschienenem Roman Utopia und 500 Jahre Nachdenken sollten nun wirklich ausreichen.

Das Zombie-Grundeinkommen

Ein weiterer Schwachpunkt ist der Missbrauch des BGE als Kombilohn. Auf seiner Website „unternimm-die-zukunft.de” – die er bezeichnenderweise zwischenzeitlich stilllegen ließ – schrieb Werner in seinen FAQ: „Ist das bedingungslose Grundeinkommen ein zusätzliches Einkommen? Nein. Das Einkommen kann um den Betrag des Grundeinkommens gesenkt werden.” Das heißt: Eine Verkäuferin bei dm, die heute 1.600 Euro brutto verdient, erhält dann 1.000 Euro vom Staat und nur noch 600 Euro von dm (lassen wir der Einfachheit halber die Lohnnebenkosten außen vor – bei denen die Unternehmen ebenfalls entlastet würden). Die Verkäuferin hat dann zwar einen sichereren Arbeitsplatz, verliert aber durch die explodierte Mehrwertsteuer enorm an Kaufkraft. Der Arbeitgeber freut sich hingegen über das Grundeinkommen, das er indirekt einkassiert, um seinen Profit zu maximieren. Arbeitsplätze werden in noch mehr Minijobs zerlegt. Leiharbeit würde noch mehr boomen.

Die „Neulandrebellen” und Christoph Butterwegge sehen bei Werners BGE-Modell den Eigennutz der Unternehmen: „Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemarktkette, möchte sämtliche Steuerarten abschaffen, die Großunternehmer wie er zahlen müssen: die Reichensteuer, die Gewerbesteuer und die Körperschaftsteuer, die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften. Refinanzieren möchte Werner das Grundeinkommen durch eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer, obwohl diese besonders kinderreiche Familien von Geringverdienern und Transferleistungsbeziehern hart trifft, weil sie praktisch ihr gesamtes Einkommen in den Alltagskonsum stecken müssen. … Denkt man die Grundeinkommenslogik zu Ende, könnten schließlich alle übrigen Sozialleistungen abgeschafft und alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen werden. Es gäbe womöglich keinen Schutz vor Kündigungen mehr, sondern bloß noch betriebliche Abfindungsregeln. Flächentarifverträge erscheinen vor diesem Hintergrund genauso entbehrlich wie Mindestlöhne. Auch müssten die Unternehmer nicht mehr viel ‚oben drauf‘ legen, um Arbeitskräfte zu rekrutieren.

Nicht totzukriegende Grundidee

Alte BGE-Modelle stecken zudem in einer Zwickmühle: Entweder ist das angedachten Einkommen so hoch, dass man davon leben – und nicht nur überleben – kann. Dann sind sie unfinanzierbar. Oder sie sind finanzierbar – aber dann kann man davon nicht leben. Die alten Modelle sind weder problemlösend noch mehrheitsfähig (die zahlreichen Mängel der alten Modelle listet diese Seite auf). Konsequenz der zahlreichen Mängel: Eine eigentlich gute und notwendige Sache geistert als „Untoter” durch Politik und Gesellschaft. Das Zombie-Grundeinkommen ist als Grundidee nicht totzukriegen, sie kann aber nie zum Leben erweckt werden – weil diejenigen, die genügend Öffentlichkeit haben, alle Chancen durch das Festhalten an untauglichen Modellen zerstören.

Weitere Beispiele für solche Reiter toter Pferde sind Daniel Häni und Katja Kipping. Sowohl Häni als auch Kippings damaliger Mitarbeiter Ronald Blaschke legten beim legendären „Podcast-Desaster um das bedingungslose Grundeinkommen” einfach auf, als es um die Schwächen ihrer Modelle ging. Als 77 Prozent der Bürger beim Schweizer Volksentscheid das Grundeinkommen ablehnten, deutete Häni die krachende Niederlage zum 23 Prozent-Erfolg um. Häni und die Linke sind zudem auf ein anderes Modell festgelegt: Die Arbeitnehmer und Selbständigen sollen durch Einkommensteuern die BGE-Empfänger finanzieren. Dass dies bei der arbeitenden Bevölkerung nicht mehrheitsfähig ist, ignorieren Häni und Linkspartei beharrlich. Fazit: Das BGE bleibt ein Zombie – bis jemand mit Zugang zu Medien und Geld die Modelle vergleicht und mit einem wirklich problemlösenden, umsetzbaren und mehrheitsfähigen Modell die Initiative ergreift.

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