Das Bundesministerium für Gesundheit wird personell umstrukturiert. Neuer Abteilungsleiter im Bereich Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung wird ein Lobbyist, der ehemalige Leiter Politik der gesetzlichen Krankenversicherungen Michael Weller. Minister Lauterbach zeigt sich zufrieden.
von Günther Strauß
Im Februar 2020 informierte das Portal abgeordnetenwatch.de über die Tatsache, dass im Jahre 2019 insgesamt 504 Bundestags-Ausweise für anfragende Lobbyorganisationen bewilligt wurden. Darüber erhielten 764 Lobbyisten eine Zugangskarte zu den Räumlichkeiten und unmittelbaren Kontakt zu den Abgeordnetenbüros.
Am 5. April 2022 wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) dem Berliner Tagesspiegel bestätigt (Bezahlschranke), dass Michael Weller neuer Abteilungsleiter der Gesundheitsversorgung/Krankenversicherung in der dafür zuständigen Abteilung 2 des BMG wird. Weller war von 1994 bis 1999 zunächst Referent für Grundsatzfragen der Gesundheitspolitik in der SPD-Bundestagsfraktion, wechselte anschließend als “Geschäftsführer Politik” in das Versicherungswesen zum AOK-Bundesverband. Ab 2008 war Weller dann “Leiter des Stabsbereichs Politik im GKV-Spitzenverband”. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist eine Form der Krankenversicherung in Deutschland. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems. Zusammen mit der Renten-, Arbeitslosen-, Unfall- und Pflegeversicherung bildet sie das deutsche Sozialversicherungssystem.
Das Nachrichtenportal Business Insider berichtet in einem Artikel zur jüngsten Personalentscheidung des BMG darüber, dass Weller in seiner zuletzt leitenden Position als Lobbyist der gesetzlichen Krankenkassen “Milliardenbeträge für die gesetzlichen Krankenversicherungen vom Bund” forderte. Dies gehe “aus verschiedenen internen Papieren hervor”, die Business Insider vorlägen. Im Ministerium soll Weller im Rahmen seiner neuen Funktion nun ein entsprechendes Gesetz justieren, das zeitnah umgesetzt werden soll. Der Business Insider erwähnt dazu in seinem Artikel (Bezahlschranke):
“Das Gesetz sieht vor, dass ab 2023 jährlich fünf Milliarden Euro mehr an die Krankenkassen fließen.”
Zu dieser Thematik hieß es im März 2022 in einem Artikel des Deutschen Ärzteblatts: “Der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) soll ab dem Jahr 2023 um fünf Milliarden Euro auf jährlich 19,5 Milliarden Euro erhöht werden. Dies sieht der Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz; GKV-FinStG) des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vor.” Zur Begründung des BMG heißt es laut Business Insider, dass ansonsten “der durchschnittliche Zusatzbeitrag für Versicherte um ein Prozent steigen würde”.
Minister Lauterbach übernahm bereits im Vorhinein die Argumente für die Notwendigkeit. So teilte er Ende März der Neuen Osnabrücker Zeitung mit: “Wir müssen an vier Stellschrauben drehen: Effizienzreserven im Gesundheitssystem heben, Reserven bei den Krankenkassen nutzen, zusätzliche Bundeszuschüsse gewähren und die Beiträge anheben.” Lauterbach müssten bei der nun verkündeten Personalentscheidung die Forderungen von Michael Weller gewiss bekannt gewesen sein. Dieser forderte letztes Jahr laut einem internen Schreiben des GKV-Spitzenverbands mehr Geld vom Bund. Nach Recherchen von Business Insider wirkte Weller “aktiv an Empfehlungen des GKV-Vorstandes mit, die Lauterbach nun zum Gesetz machen will”. Business Insider liegt ein Beratungsprotokoll des Verwaltungsrats des GKV-Spitzenverbandes über eine Sitzung vom 23. Juni 2021 vor. Dazu heißt es im Artikel:
“Bei diesem liege ‘insbesondere ein Fokus auf Forderungen zur nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung’, heißt es im Protokoll. Und tatsächlich behandelt das vom Verwaltungsrat in der Sitzung am 23. Juni beschlossene Positionspapier genau diesen Punkt besonders ausführlich. Auf mehreren Seiten werden darin Finanzierungslücken bei den gesetzlichen Krankenkassen beklagt.”
Verfasst wurde das GKV-Positionspapier laut dem beim Business Insider vorliegenden Beratungsprotokoll vom neuen BMG-Mitarbeiter Michael Weller. Des Weiteren “ist unter Wellers Leitung am 30. November 2021 eine ‘Bewertung Koalitionsvertrag’ der GKV verfasst worden. In dieser wird ebenfalls deutliche “Kritik an den Finanzierungsvorhaben der Ampel-Koalition für die Krankenhassen geübt”, so lauten Informationen des Artikels.
Weller kritisierte damit in seiner vormaligen Position als Leiter Politik bei der GKV nachweislich die ursprünglichen Pläne der Ampel-Regierung und verband seine Kritik mit finanziellen Forderungen an die neue Bundesregierung. Das Gesundheitsministerium möchte jedoch keinerlei Interessenskonflikt zwischen dem Bund als dem zukünftigen Arbeitgeber und dem früheren Lobbyisten Weller erkennen können. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte dem Business Insider lediglich den Wechsel von Weller in das BMG zum 15. April 2022, möchte jedoch darüber hinaus die Causa Weller nicht weiter kommentieren. Auch der GKV-Spitzenverband wollte sich laut dem Artikel auf Anfrage nicht äußern.
Wie schätzt Minister Lauterbach die verkündete Personalie ein? Der Minister teilte dem Berliner Tagesspiegel mit, dass er in Weller “einen Experten für Gesundheitspolitik und Krankenversicherung” sieht, der “Praxis und Politik beherrscht”. Die Abteilung Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung sei “eine der wichtigsten Schaltzentralen im Bundesgesundheitsministerium.” Hier wird heute vorbereitet, was morgen Versorgungsalltag ist”, so Lauterbach gegenüber dem Tagesspiegel:
“Wellers Kenntnis und seine Kontakte werden uns helfen, die gesetzliche Krankenversicherung durch schwierige Zeiten zu steuern und notwendige Strukturreformen anzugehen.”
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