Die BĂŒrger haben das Recht nachzuvollziehen, wie Entscheidungen der EuropĂ€ischen Kommission zustande kommen. Das sieht eine Verordnung vor, die die Offenlegung von Dienst-E-Mails oder Kurznachrichten regelt. Allerdings schwindet diese Transparenz, wenn es um milliardenschwere HinterzimmergeschĂ€fte der EuropĂ€ischen Union mit BioNTech und Pfizer geht.
von Roscoe Hollister
Die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des EuropĂ€ischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 sieht vor, dass jedem BĂŒrger und jeder BĂŒrgerin der EU âgröĂtmöglicher Zugangâ zu allen Dokumenten im Besitz der Kommission, des EU-Parlaments und des Rats der MitgliedslĂ€nder gewĂ€hrt werden soll â und zwar auf möglichst einfache Art.
Wie das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet, steht jedoch der tatsÀchliche Umgang der EuropÀischen Kommission mit den Dokumenten im krassen Widerspruch zu den eigens auferlegten Transparenzregeln. So stellt der Autor des Berichts via Twitter fest:
âEU-Kommission löscht massenhaft Mails, SMS und Chats werden gar nicht erst archiviert â weil âkurzlebigâ. In dem Schlupfloch sind womöglich auch SMS zwischen Ursula von der Leyen und Pfizer-CEO Albert Bourla verschwunden.â
Laut einem Bericht der New York Times, der Ende April erschien, hatten die beiden in engem Kontakt gestanden und mehr als einen Monat lang immer wieder telefoniert und Kurznachrichten ausgetauscht, um den im Mai verkĂŒndeten Vertrag ĂŒber die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Dosen des Corona-Impfstoffes des Unternehmens einzufĂ€deln.
Der Pfizer-Chef und die EU-Chefin entwickelten Bourla zufolge âein tiefes VertrauensverhĂ€ltnis, weil wir in tiefe Diskussionen geraten sindâ. Ergebnis derer war der âMega-Dealâ, der die Lieferung von Pfizer-Impfstoffen an die EU-Staaten bis in das Jahr 2023 regelt.
Sowohl von der Leyens eigener Bildungsweg als Medizinerin als auch der Beruf ihres Mannes waren bei den Verhandlungen offenbar sehr hilfreich. Die EU-Chefin ist promovierte Ărztin und hat einen Master in âPublic Healthâ, ihr Mann Heiko von der Leyen ist medizinischer Direktor des US-amerikanischen biopharmazeutischen Unternehmens Orgenesis Inc., das sich auf die Entwicklung von Zell- und Gentherapien spezialisiert hat. Bourla schwĂ€rmte:
âSie wusste Details ĂŒber die Varianten, sie wusste Details ĂŒber alles. Das hat die Diskussion viel engagierter gemacht.â
Einen Journalisten von Netzpolitik.org machten die EnthĂŒllungen des Pfizer-Chefs neugierig, und er forderte noch im April mit Verweis auf die Verordnung Nr. 1049/2001 in einer Anfrage von der EuropĂ€ischen Kommission die Offenlegung der gesamten Kommunikation zwischen Bourla und von der Leyen.
Die Kommission aber erklĂ€rte, sie sei gar nicht im Besitz der Korrespondenz. SMS und andere Kurznachrichten seien âvon Natur aus kurzlebig und enthalten prinzipiell keine wichtigen Informationen ĂŒber die Politik, die AktivitĂ€ten oder Entscheidungen der Kommissionâ, beschied laut Spiegel Kommissions-GeneralsekretĂ€rin Ilze Juhansone. Kurznachrichten seien von der Dokumentenerfassung daher âprinzipiell ausgeschlossenâ. Das Magazin schlussfolgerte:
âWill die Kommission einen Vorgang im Dunkeln lassen, benutzt sie einfach WhatsApp.â
Der Berliner Europarechtler Alexander Thiele sieht die Argumente der Kommission kritisch. âDiese pauschale Verneinung politischer oder rechtlicher Relevanz von SMS halte ich rechtlich fĂŒr mehr als bedenklichâ, so der Jurist. Ebenfalls fraglich sei, ob das automatische Löschen nicht registrierter E-Mails zulĂ€ssig sei.
Die Frage, ob von der Leyens Nachrichten an Bourla gelöscht wurden, noch unarchiviert existieren oder ob die Kommission es nicht weiĂ, lieĂ eine Sprecherin unbeantwortet. Sie bestĂ€tigte allerdings, dass Kurznachrichten weiterhin grundsĂ€tzlich nicht im Ares-System (dem hauseigenen Archivierungsprogramm der EU) registriert werden. Ohnehin gebe es derzeit âkeine technischen Möglichkeiten, Kurznachrichten zu erfassenâ.
Das steht laut Spiegel im Widerspruch zu noch im Jahre 2015 gefassten internen Regeln der Kommission, die besagen, dass SMS und Àhnliche Nachrichten in eine E-Mail kopiert, gescannt oder auf andere Art registriert werden sollten.
Die Antwort ihrer Behörde bezĂŒglich der Kurznachrichten zwischen von der Leyen und Bourla fĂŒhrte zu einer Beschwerde und anschlieĂenden PrĂŒfung durch die EuropĂ€ische Ombudsstelle, die MissstĂ€nde in der VerwaltungstĂ€tigkeit der Organe und Einrichtungen der EuropĂ€ischen Union untersucht. Die BĂŒrgerbeauftragte der Ombudsstelle, die irische Journalistin Emily OâReilly, lieĂ die Kommission und sieben weitere EU-Institutionen anschreiben und fragen, wie sie mit Dokumenten umgehen â insbesondere mit Chat-Diensten wie WhatsApp. Die Antwortfrist endet am heutigen Montag. Laut Spiegel gab es auch ein Treffen zwischen OâReillys Leuten und Vertretern der Kommission. Einen Bericht darĂŒber will OâReilly kommende Woche veröffentlichen.
FĂŒr von der Leyen könnte die Sache unangenehm werden: Womöglich muss sie sich erneut einer offiziellen PrĂŒfung stellen. Das erste Mal, als die Kommissionschefin wegen verschwundener Kurznachrichten in BedrĂ€ngnis geraten war, war Ende 2019. Damals wurde bekannt, dass auf zwei ihrer Diensthandys wĂ€hrend ihrer Zeit als Bundesverteidigungsministerin SMS-Nachrichten gelöscht worden waren â was von der Leyen eine Strafanzeige und Ărger mit einem Untersuchungsausschuss des Bundestags einbrachte, der die SMS als Beweismittel in der sogenannten BerateraffĂ€re angefordert hatte.
Die BerateraffĂ€re, die ebenso durch Spiegel-Recherchen ans Licht kam, offenbarte ein vetternwirtschaftliches VerhĂ€ltnis zwischen hochrangigen Ministeriumsvertretern und externen Beratern. Im Zentrum der AffĂ€re standen die Unternehmen McKinsey oder Accenture, die ĂŒber beste Kontakte in die Spitze des Verteidigungsministeriums verfĂŒgten, insbesondere zur damaligen StaatssekretĂ€rin Katrin Suder. Deren Chefin von der Leyen lieĂ Suder gewĂ€hren und griff auch nicht wirklich ein, als erste MissstĂ€nde bekannt geworden waren. Insgesamt gab das Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen einen dreistelligen Millionenbetrag fĂŒr Berater aus.
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