Corona-Demo am Wochenende in Hamburg (Foto:Imago)
Man gewinnt zunehmend den Eindruck, nicht das Corona-Virus sei der eigentliche Staatsfeind, sondern das Virus des friedlichen Widerstands: Täglich ist von Spitzenpolitikern zu hören, die Protestbewegung der (keineswegs nur montags stattfindenden!) Spaziergänger würde sich „radikalisieren”. In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Die Politik radikalisiert sich von Tag zu Tag. Sprachliche und gedankliche Tabus und Hemmungen fallen im Stundentakt, und wer wissen möchte, wo die wahren Verfassungsfeinde dieser Tage sitzen, der muss sich nur ihre Statements auf der Zunge zergehen lassen.
Wenn zum Beispiel Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sagt: „Gegen Schutzmaßnahmen zu sein, ist kein Grund auf die Straße zu gehen”, dann zeugt dies entweder von Unkenntnis oder kaltschnäuziger Verachtung des Grundgesetzes und der in ihm fixierten Grundrechte, die vor Corona stets als unantastbare Abwehrrechte des Bürgers verstanden wurden. „Es ist eine völlig neue Interpretation des Demonstrationsrechts, wenn ein Ministerpräsident darüber entscheidet, wann demonstriert werden darf und wann nicht”, kommentiert der Hamburger Jurist Joachim Steinhöfel diesen Totalausfall.
Bedenklich auch die Worte der zuständigen Fachministerin für innere Sicherheit (und damit auch das Demonstrationsrecht), Nancy Faeser. Diese beseitigte jetzt letzte Hoffnungen, dass sie vielleicht doch keine 150-prozentige Fehlbesetzung in diesem Amt ist, durch Äußerungen final, gegen die der einstige Radikalenerlass mit seinen nachfolgenden Berufsverboten gegen sozialistische Beamte der 1970er und 1980er Jahre wie ein Sonntagsspaziergang anmuten: Was in früheren Zeiten als Allgemeinplatz und Selbstverständlichkeit gegolten hätte, stellt Faeser gleich von vornherein unter den Geltungsvorbehalt für Rechtsextremismus, auf den sie diesen Satz ausdrücklich bezieht: „Es darf nicht den geringsten Zweifel daran geben, dass öffentlich Beschäftigte für die Demokratie einstehen. Verfassungsfeinde werden wir schneller aus dem Dienst entfernen als bisher.”
Kriminalisierte Spaziergänger
Die Perfidie besteht hier natürlich in der inflationären Ausweitung der Definition von „Verfassungsfeindlichkeit“: in diese Matritze fallen schon heute nicht nur die AfD als einzige Realoppositionspartei im Land, sondern auch freie Blogger, alternative Medien und eben auch die Anti-Corona-Proteste der Querdenker. Und mit Hochdruck arbeitet der Staat daran, auch die primär gegen die Impfpflicht gerichtete Spaziergängerbewegung zu kriminalisieren und als verfassungsfeindlich hinzustellen. Wer also künftig bei den „Falschen“ mitläuft und dank Blockwarten oder ausgewerteten Bild-/Videoaufnahmen identifiziert wird, könnte mit dem Segen Faesers bald schon entbeamtet werden; zumindest wird der Linksstaat nichts untersucht lassen, entsprechende Zermürbungsschritte gegen die Betroffenen einzuleiten. Das Mobbing richtet sich ja heute schon nicht nur gegen Ungeimpfte, sondern auch „Unbelehrbare“ im Sinne von Meinungsverbrechern.
Die Bürger sind restlos bedient – und zwar nicht nur die, die mit dem Mut der Verzweiflung ins Dissidentenlager wechseln und sich auf den Straßen zeigen. Inzwischen hat bereits jeder Dritte Verständnis für die Corona-Proteste – und die, die da spazierengehen, sind fast ausschließlich Bürger aus der Mitte der Gesellschaft, keine Extremisten. Der Anteil gewaltbereiter Radikaler ist um Dimensionen niedriger als bei so ziemlicher jeder staatlich beklatschten zivilgesellschaftlichen Haltungsprozession der vergangenen Jahre, von „unteilbar”, „wir sind mehr” bis erstrecht FFF oder BLM. Überhaupt der verlogene Hohn der Medien, die nicht nur permanent kleingerechnete Teilnehmerzahlen der Aktionen vermelden und damit auch noch quantitativ zur Ehrabschneidung der Demonstranten beitragen! Das ZDF entblödete sich in seinem naiven Gut-Böse-Spiel nicht einmal, den gesamtgesellschaftlichen Konflikt auf eine neue Formel herunterzubremsen – nämlich „für” oder „gegen” Corona:
(Screenshot:Facebook)
Zu dieser Art von Journalismus kommen noch die naserümpfenden Biedermänner, die allenfalls die „Faust in der Manteltasche” (Wolf Biermann) ballen, aber sich nie trauen würden, auf der Straße Flagge zu zeigen: Sie entrüsten sich über die Bezeichnung „Spaziergänger“, die doch in Wahrheit sehr wohl Demonstrationen seien. Ja, das sind sie! Doch das Mittel des Spaziergangs wurde nicht zur Verharmlosung, aus Hohn oder Zynismus gewählt – sondern als Notkrücke, nachdem das Demonstrations- und Versammlungsrecht nach Artikel 8 GG willkürlich außer Kraft gesetzt und die Kundgebungen praktisch überall verboten worden waren!
Ob es den regierungsaffinen Assistenzmedien passt oder nicht: Die Sympathisantenszene des Widerstands wächst mindestens so rasant an wie die Zahl der Omikron-Infizierten im Land. Immer wieder schließen sich bei den Spaziergängen völlig normale, unpolitische Menschen, die verunsichert danebenstehen, spontan an, nachdem sie erkannt haben, dass das von den Medien gezeichnete groteske Zerrbild der Proteste mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun hat. Spätestens wenn der fünfte Bekannte aus der Menge grüßt, schwinden die Berührungsängste, und beherzt reihen sich die zuvor Zögernden in den Zug ein.
Spontanes Einreihen in den Zug
Und fortan wissen sie besser, was sie davon zu halten haben, sollte sich der Bundeskanzler wieder einmal durch eine vollkommen unangemessene Wortwahl hervortun und erneut von einer „winzigen Minderheit von enthemmten Extremisten” faseln, die versuchen würde, der Gesellschaft „ihren Willen aufzuzwingen”. Scholz – der jegliche Spaltung der Gesellschaft verneinte – verstieg sich gar zu der Formulierung, hier würden „Hasserfüllte” uns alle „mit Fackelmärschen, mit Gewalt und Morddrohungen” angreifen. Wer dieser Tage nach Hass und Hetze fahndet, der muss nicht auf Telegram nachschauen: Er wird schon bei den Tiraden der politischen „Elite“ fündig.
Größte Demo in #Rostock seit der Wende? #hro1001 pic.twitter.com/sEFfXvLt1N
— stphnsc (@stsc_) January 10, 2022
Umso bedauerlicher, dass dort, wo die massierten Polizeikapazitäten dazu imstande waren, seitens der Staatsgewalt instinktlos, unsensibel und einmal mehr einer Demokratie gänzlich unwürdig durchgegriffen wurde.
Berlin,
Netzfund
Wasserwerfer im Einsatz gegen friedliche, unbewaffnete Menschen.pic.twitter.com/5GsRxKbdue
— Ralf Kotarba (@KotarbaRalf) January 9, 2022
Wer sich hier an Weißrussland oder aktuell Kasachstan erinnert fühlt, liegt gar nicht so verkehrt (auch wenn es noch keinen Schießbefehl gibt… doch der dürfte – mit fortschreitender Entmenschlichung des Widerstands – auch nur noch eine Frage der Zeit sein). Verständnisvolle Worte für die Demonstranten waren übrigens von der per Kulturstaatsministeramt vollalimentierten Grünen Claudia Roth zu hören: „(…) die Gründe für die Unzufriedenheit der Bevölkerung liegen tiefer, sie sind vielschichtig. Die Menschen protestieren gegen eine autoritär regierende Elite, die in den letzten 30 Jahren überwiegend Selbstbedienung betrieben hat. Die Folgen sind offensichtlich: grassierende Korruption, Vetternwirtschaft, Missmanagement, Inkompetenz der Verantwortlichen und zunehmende Einschränkung von politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten”. Das sagte Roth tatsächlich – aber natürlich nicht über die deutsche Protestbewegung, sondern zu jener in Kasachstan. Über die eigenen Landsleute kämen Roth solche Sätze nie über die Lippen.

