Horst D. Deckert

Nicht nur Deutschland stirbt unter Merkels Fuchtel, auch die Basis für den Frieden in Europa geht an ihr zugrunde

Die deutschfranzösische Freundschaft war stets mehr ein Elitenprojekt und symbolischer Natur, als dass es eine feste Realität im Alltag der Menschen war. In Anbetracht der Geschichte zwischen den beiden Ländern ist ein derartig zelebriertes Mantra unabdingbar, wenn der Frieden in Europa langfristig erhalten bleiben soll. Durch alle Krisen hindurch, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben, wurde die Verbindung weiter aufrecht erhalten und die Politik bemühte sich trotz der teils konträren Interessen stets, diese Freundschaftshaltung zu pflegen. Unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel allerdings scheint sich auch dieses Fundament in der Nachkriegsordnung in Auflösung zu befinden. Während sich die politische Mitte in Deutschland schon lange fragt, an wen Merkel deutsche Interessen verkauft, fragen sich immer mehr Franzosen der politischen Mitte, warum Frankreich den Raubbau durch Merkels Deutschland weiterhin zulässt. Entlang des Rheins verläuft zunehmend ein Riss in der Wahrnehmung, der jedoch auf den selben Beobachtungen und Fragen dazu zu beruhen scheint.

 

The Spectator: In Frankreich wächst die Skepsis gegenüber Deutschland

 

Großbritanniens Lieblingsfranzose Michel Barnier ist heute in der Region Calais zu Gast, wo er auf einer Konferenz über seine Rolle beim Brexit sprechen wird und darüber hinaus vielleicht noch ein paar Worte hinsichtlich seiner Präsidentschaftsambitionen verlieren wird. Der EU-Chefunterhändler für den Brexit wurde in der gestrigen Ausgabe des Le Figaro als der Mann beschrieben, der „die politische Rechte vereinen“ kann, was sich damit übersetzen lässt, dass er als eine glaubwürdige Alternative zu Emmanuel Macron und Marine Le Pen für die Wahl im Jahr 2022 erachtet wird.

Barnier steht einer politischen Initiative vor, die sich „Patriotes et europeens“ nennt und deren Konzept er gegenüber Le Figaro erläuterte mit: „Patriot und Europäer zu sein bedeutet, dass ich an die Kraft der Nationen glaube, an den Respekt gegenüber den nationalen Identitäten und an Frankreich als einflussreiches Land an der Spitze der europäischen Nationen.“

 

La grande désillusion de l’Allemagne

 

Was Barnier und ein großer Teil der politischen Klasse in Frankreich jedoch nicht verstehen, ist die Verschiebung der Einstellungen gegenüber der EU, welche sich im Verlauf des letzten Jahres vollzogen hat. Die Posse um den Coronaimpfstoff hat die Inkompetenz und Uneinigkeit in Brüssel und innerhalb der EU entblößt, während den euroskeptischen Franzosen gleichzeitig mit dem Brexit vorgeführt wurde, dass es durchaus möglich ist, der Tyrannei der EU zu entkommen. Es ist ein langwieriger Prozess, wie ihnen die mehr als 17 Millionen Briten bezeugen können, die nur noch raus wollten aus der EU, doch mit genügend Entschlossenheit ist es durchaus möglich.

Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb die Franzosen die Liebe zur EU verloren haben, und das ist Deutschland. Im vergangenen November sorgte in Frankreich eine deutsche Journalistin der Zeit für Aufsehen, nachdem sie sich über die Reaktion des Landes während der Coronakrise lustig machte und Frankreich als “Absurdistan” bezeichnete. (Das war noch vor Deutschlands eigener verwirrter Reaktion auf die zweite Welle.)

Immer öfters fällt den Franzosen auf, dass die eigentliche Absurdität in der Annahme besteht, dass Deutschland Frankreich nach wie vor schätzt und weiterhin beharrlich zum Projekt der europäischen Einigung im Rahmen der EU steht. Doch während diese Erkenntnis langsam zum französischen Volk durchsickert, hält die politische Klasse des Landes weiterhin an ihrem glühenden Glauben an die deutsch-französische Beziehung fest, wobei es sich ähnlich verhält wie in Großbritannien, wo die politische Klasse in Westminster dem festen Glauben anhängt, ihr Land würde eine „besondere Beziehung“ zu den USA genießen.

 

Deutschland nimmt, was es will

 

Das Magazin Marianne widmete dieser Illusion kürzlich eine Ausgabe mit dem Titel „Wie Deutschland Frankreich ausgenommen hat“. Darin wird die Art und Weise beschrieben, wie Deutschland Frankreich in den letzten Jahrzehnten ausgebeutet hat – landwirtschaftlich, militärisch und industriell. Im Jahr 1980 lag Frankreichs Pro-Kopf-BIP 5 Prozent unter dem deutschen, heute sind es 13 Prozent.

In einem Radiointerview sagte die Herausgeberin Natacha Polony, dass sie die wütenden Reaktionen auf die Magazinausgabe nicht überrascht hätten: „Wir haben eine Elite, die unseren deutschen Nachbarn so sehr zugetan ist, dass sie in dem Moment, in dem jemand legitimerweise unsere nationalen Interessen verteidigt, ‚Germanophobie‘ schreit.”

Marianne war nur die jüngste Publikation, die sich die Frage stellte, was genau Frankreich von seiner „Partnerschaft“ mit Deutschland zurück erhält. Letztes Jahr, als Frankreich eine Seestreitmacht ins Mittelmeer schickte, um Griechenland in deren Konflikt mit der Türkei zu unterstützen, wurde sehr wohl wahrgenommen, wie sich Deutschland zurückhält und seine europäischen Verbündeten nicht unterstützt. „In der europäischen Mannschaft“, so Le Figaro damals, „ist Deutschland gleichzeitig der Kapitän und ebenso ein Spieler, der gegen seine eigene Mannschaft punktet, wenn es in seinem Interesse ist.“

Beispiele für diese Verhaltensweise gibt es zuhauf: Die Migrantenkrise 2015, die Nord Stream 2-Pipeline und Deutschlands Weigerung 2012, einer Fusion zwischen dem niederländischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS NV und der britischen BAE Systems zuzustimmen, um den weltgrößten Luft- und Raumfahrt- und Rüstungskonzern zu schaffen. Frankreich war begeistert, doch Deutschland zog den Stecker, weil es Nachteile für die deutsche Industrie fürchtete.

Letzten Monat beschrieb das konservative Magazin Valuers Acteulles Deutschland als den „Tyrannen der EU“. Ausgelöst hat diese Zuschreibung, infolge des Anstiegs an Coronainfektionen an der Grenze zu Ostfrankreich Grenzkontrollen einzuführen. Das Magazin listete eine ganze Reihe mit Beispielen auf, in denen sie Angela Merkels Kunst beschrieben, eigennützig im Interesse ihres Landes zu handeln, was insbesondere die Politik gegenüber China betrifft. Das Magazin verspottete Emmanuel Macron für seine naive Annahme, wonach Frankreich Deutschland etwas bedeuten würde, einem Land, das selbst „seine Industrie an den höchstbietenden verkauft“.

 

Was kann Deutschland überhaupt geben?

 

Macron hat sich in der Gegenwart von Merkel immer treuselig gezeigt, was sich insbesondere im Januar 2019 zeigte, als er in Aachen einen Vertrag mit der deutschen Kanzlerin unterzeichnete. Laut dem offiziellen Klappentext sollte der Vertrag die Zusammenarbeit zwischen den beiden Mächten in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung, Entwicklung und Sicherheit vertiefen. Rechtsgerichtete französische Politiker wie Marine Le Pen und Nicolas Dupont-Aignan griffen den Vertrag sofort an. Letzterer, der sich bei der Wahl 2017 mit Le Pen verbündet hatte, warf dem Präsidenten vor, sich von Merkel über den Tisch ziehen zu lassen: „Berlin ist seit 1945 vom US-Militär abhängig und hat sich nie an die Verpflichtung gehalten, zwei Prozent des BIP für Militärausgaben auszugeben“, sagte er. „Frankreich hat Hunderte von Milliarden Euro mehr als Deutschland in seine Streitkräfte investiert… was kann Deutschland Frankreich im Bereich der Sicherheit überhaupt anbieten jenseits von Kränzen für irgendwelche Gedenkfeiern? Nichts.“

Zweieinhalb Jahre später ist Dupont-Aignans Meinung zum Mainstream geworden – für Macron wird das vor der Wahl im nächsten Jahr ein Problem sein. Marine Le Pen wurde während der Präsidentschaftsdebatte 2017 zwar von Macron geschlagen, aber dennoch produzierte sie die beste Zeile des Abends, als sie erklärte: „Frankreich wird von einer Frau geführt werden. Entweder ich oder Madame Merkel.“

Macron betrat den Elysee-Palast in dem Glauben, dass er und Merkel das Machtpaar Europas sein würden, doch „Mutti“ agiert immer nur im Interesse Deutschlands. Anstatt seine Zeit damit zu verbringen, wegen des Brexit auf Großbritannien herumzuhacken, sollte sich Macron lieber von seiner toxischen Beziehung zu Deutschland lösen. Sie schadet ihm und seinem Land.

Quelle Titelbild

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