Zahlreiche Beobachter warnen, dass die Bundesregierung mit den aktuellen Wirtschaftssanktionen einen „wirtschaftlichen Selbstmord“ begünstigen könnte. Aber von einer Gegenwehr durch Vertreter mächtiger Industrie-Verbände ist nur wenig zu spüren. Dass die Lobby-Verbände der Privatwirtschaft wirkungsvolle Kampagnen lostreten können, wenn sie ihre Interessen durch soziale Forderungen bedroht sehen, mussten die Bürger oft erfahren – momentan verzichten diese Machtgruppen aber anscheinend auf Einflussnahme. Was könnten die Gründe für diese Zurückhaltung sein? Vielleicht haben unsere Leser Erklärungsansätze. Von Tobias Riegel.
Dass die Wirtschafts- und Energiepolitik der Bundesregierung fatale Folgen für die industrielle Basis Deutschlands und damit indirekt und langfristig für die Bürger haben könnte, haben in den letzten Wochen zahlreiche Beobachter beschrieben. Jens Berger hat die Thematik etwa hier aufgegriffen, Florian Warweg hat hier potenzielle Folgen für die Region Berlin beschrieben und gerade hat Michael Lüders im „Freitag“ gewarnt:
„Der völlige Verzicht auf Erdgas und Öl aus Russland grenzt an wirtschaftlichen Selbstmord.“
Aktuell wird von offizieller und medialer Seite oft behauptet, dass die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Erschütterungen in Deutschland direkte „Folgen von Putins Angriffskrieg“ seien. Das trifft so nicht zu. Die Erschütterungen sind vor allem Folge von eigenem, zielgerichtetem Handeln. Wie die SPD versucht, Russland die Schuld an der Inflation zu geben, hat Albrecht Müller gerade hier beschrieben. In welch zynischer Weise Wirtschaftsminister Habeck (GRÜNE) die Folgen der eigenen Politik auf die Bürger abwälzen möchte, hat Jens Berger hier aufgegriffen. Zu den selbst provozierten Gefahren durch die Sanktionen kommen noch die von der Regierung gesteigerten Rüstungsausgaben als schwere gesellschaftliche Hypothek hinzu.
Sanktionen gegen die Bürger
Die riskante Sanktionspolitik der Bundesregierung hat dabei keinen positiven Einfluss auf das Kriegsgeschehen – und auch nicht auf moralische Fragen, nicht auf den Umweltschutz und anscheinend auch nicht in gewünschtem Maße auf die russische Wirtschaft. Vor allem aber bei uns, in unseren Arbeitsmärkten und sozialen Gefügen werden die selbst gemachten Sanktionen und die selbst gemachte Wirtschafts- und Außenpolitik möglicherweise eine sehr zerstörerische Wirkung entfalten.
Hier müssten die Bürger, die Gewerkschaften und weitere gesellschaftliche Gruppen endlich Widerstand formulieren. Doch der bleibt bisher weitgehend aus, auf weite Teile der Medienlandschaft ist momentan nicht zu hoffen.
Und wo sind momentan die Interessenvertretungen der Großindustrie? Auf Kampagnen von Konzernen als „Rettung“ zu setzen, wäre selbstverständlich grotesk. Solche Einmischungen von privatwirtschaftlicher Seite, die ausschließlich durch die finanziellen Möglichkeiten der Verantwortlichen gerechtfertigt sind, sind abzulehnen. Sie sollen hier auch nicht gefordert werden – aber es wird die Bobachtung beschrieben, dass die Interventionen gerade jetzt (anscheinend) ausbleiben.
Die Machtgruppen schweigen
Machtgruppen wie der BDI oder die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ haben alle Voraussetzungen zu wirkungsvollen Kampagnen, wenn es etwa darum geht, Verbesserungen bei der Rente oder der Entlohnung zu verhindern. „Die Industrie“ hat ihre Fähigkeiten zur politischen Einflussnahme bereits häufig unter Beweis gestellt – so häufig, dass die Mutmaßung, die politischen Geschicke würden auch, oder vor allem, nach Maßgabe von Konzern-Lobbys gestaltet, nicht abwegig erscheint: „Die Staatsgewalt geht vom Großen Geld aus“, überschreibt etwa Albrecht Müller ein Kapitel in seinem aktuellen Buch.
Wenn in der Vergangenheit also Interessen der großen Arbeitgeber bedroht schienen, so haben deren mächtige Abwehrmechanismen bestens funktioniert. Doch dieses Mal, wo doch angeblich die industrielle Basis eines Exportlandes von der eigenen Regierung angegriffen wird, ohne dass dadurch den Bürgern Vorteile erwachsen würden, herrscht weitgehend Funkstille. Ein vereinzeltes Beispiel für Warnungen von Konzernseite war ein Interview mit dem Chef von BASF, wo er vor der Zerstörung der „gesamten Volkswirtschaft“ warnt. Warum gibt es nicht mehr Interviews wie dieses, flankiert von teuren Anzeigenkampagnen und Diffamierungen der Kritiker? Und das alles in jener aggressiven Form, die man gewöhnt ist, etwa wenn es gegen Sozialleistungen geht?
Wie gesagt: Diese Interventionen werden hier nicht gefordert, aber dass sie ausbleiben, ist bemerkenswert. Bereits bei ausbleibenden Reaktionen auf einige Elemente der Corona-Politik hatten sich ähnliche Fragen gestellt.
Durch die Zurückhaltung der Konzern-Lobbys drängen sich folgende Fragen auf:
Es gibt nicht „die Industrie“: Wirken momentan verschiedene Interessen, die sich neutralisieren?
Entstehen am Ende der aktuellen Entwicklung doch (jetzt noch nicht sichtbare) Vorteile für bestimmte Branchen und Konzerne, auf die nun Insider spekulieren?
Käme eine „hausgemachte“ Wirtschaftskrise gar gelegen, weil man dann die Massenentlassungen, die ohnehin wegen Automation etc. anstehen könnten, dem russischen Präsidenten anlasten kann?
Wird die aktuelle Entwicklung zugelassen, weil die Unternehmen dadurch ohnehin geplante Teil-Verlegungen in Billiglohnländer besser rechtfertigen können?
Gibt es womöglich „Weisungen“ von einer interessierten Seite, die mächtig genug ist, diese auch durchzusetzen? Sind viele deutsche Konzerne wegen Teilhabe internationaler Investmentfonds gar nicht mehr als „deutsch“ zu bezeichnen?
Sind etwa auch die Industrie-Chefs der Wirkung der aktuellen emotionalen Meinungsmache erlegen?
Oder aber ist die (anscheinende) Untätigkeit der Konzern-Lobbys ein gutes Zeichen, das einfach nur zeigt, dass nun anscheinend „der Staat“ die Handlungshoheit von „der Wirtschaft“ zurückgeholt hat?
Was denken unsere Leser zu diesen Fragen?
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