Auch wenn die offizielle Beteuerung in Deutschland besagt, niemand habe die Absicht, einen Überwachungsstaat zu errichten, so vollzieht sich dies in schleichenden Etappen dennoch. Langsam, aber unaufhaltsam wird die lückenlose Registrierung von immer mehr Bürgern durch digitale Überwachungssysteme Wirklichkeit. Zunächst wird dies dabei stets als optionaler, komfortabler Segen angeboten, an dem jeder freiwillig teilnehmen kann – bis daraus ein verpflichtender Standard wird. Das jüngste Beispiel hierfür ist eine Initiative der Fluglinien Lufthansa, Swiss- und Austrian Airlines: Am Hamburger Flughafen ist es nun möglich, per biometrischer Gesichtserkennung einzuchecken.
Zunächst ist dies nur Teilnehmern des Bonusprogramms „Miles & More” möglich – und wird clever als eine Art besonderes Privileg angepriesen. Wer interessiert ist, muss sich einmalig mindestens 24 Stunden vor der nächsten Flugreise mit einer der drei teilnehmenden Fluglinien für das Verfahren „Star Alliance Biometrics” registrieren. Dazu ist nicht mehr nötig als ein gültiger Reisepass sowie die neueste Version der Lufthansa- oder der „Miles-&-More”-App. Zur Absolvierung der Sicherheitskontrolle genügt fortan dann ein Blick in eine spezielle Kamera, eine ausgedruckte Bordkante und das Smartphone sind dann nicht mehr nötig. Nicht einmal die Corona-Maske würde dann die Gesichtserkennung behindern, so die anbietenden Airlines.
Neuerliche bereitwillige Preisgabe von Daten
Natürlich macht der Vorzug eines bequemeren und unkomplizierten Eincheckens bei gleichzeitiger Zeitersparnis Eindruck – weshalb anzunehmen ist, dass viele Menschen – vor allem vielfliegende Geschäftsreisende – diese neuerliche Preisgabe ihrer datenschutzrechtlichen Selbstbestimmung mit derselben Bereitwilligkeit in Kauf nehmen werden, mit der während der Corona-Ära die Menschen für das Privileg der Teilrückgewinnung bürgerlicher Freiheiten die Offenlegung ihres Impf- und Gesundheitsstatus sowie Kontakterfassungen akzeptiert haben. Ziel der Initiative am Flughafen Hamburg sei es daher, so listig die dahinterstehenden Entwickler,
„den Passagieren ein nahtloses Reiseerlebnis zu ermöglichen”. Ein ähnliches System existiert seit November 2020 bereits an den Flughäfen Frankfurt, München und Wien, wobei in Hamburg die neueste Software mit von biometrischen Algorithmen und künstlicher Intelligenz zum Einsatz kommt.
Natürlich beteuern die Betreiber des Systems neben der strikten Freiwilligkeit der Teilnahme auch den angeblich „garantierten” Datenschutz: Laut Lufthansa würden Fotos und andere Identifikationsmerkmale verschlüsselt und innerhalb der Plattform „sicher gespeichert”. Das System sei von Anfang an unter Beachtung der geltenden Datenschutzgesetze und auf Basis der neuesten Gesichtserkennungstechnologie entwickelt worden. Die Speicherung persönlicher Daten werde auf ein notwendiges Minimum begrenzt, Kundennamen nicht gespeichert. Was davon in Wahrheit zu halten ist, wird die Zukunft zeigen.
Demnächst obligatorisch?
Auch wenn, wie gesagt, die meisten Reisenden diese Maßnahme als bequeme Möglichkeit sehen, um den schikanösen und oft unsinnigen Sicherheitskontrollen an Flughäfen zu entgehen, ohne sich um die weiteren Folgen zu sorgen, so dürfte im „Bedarfsfall“ der Zugriff für Behörden oder schlimmstenfalls auch Unternehmen (etwa Versicherungen oder Marktforschungsfirmen) oder NGO’s ein Leichtes werden. Es ist indessen zu befürchten, dass solche Gesichtserfassungen unter irgendwelchen Vorwänden nach und nach obligatorisch werden – nicht nur in Deutschland.
Kombiniert mit bereits existierenden Systemen wie der jüngst in Bologna eingeführten App „Smart Citizen Wallet“, die das Wohlerhalten der Bürger vom ökologischen Verhalten bis zur Mülltrennung registriert, oder die vom gerade im Amt bestätigten französischen Präsidenten Emmanuel Macron eingeführte App mit dem Titel „Service zur Gewährleistung der digitalen Identität”, die – natürlich ebenfalls „freiwillig“ – das Scannen der biometrischen Personalausweise der Franzosen erleichtern soll, verdichtet sich der Eindruck einer immer umfassenderen Registrierung der Bürger in ihren verschiedenen Lebensbereichen. Diese bringt uns in jedem Fall der dystopischen Vision vollständig erfassten Menschen näher – wobei dieser nicht einmal mehr zur Offenlegung seiner intimsten Daten und individuellen unverkennbaren Eigenschaften für Politik, Wirtschaft oder Gesundheitsbehörden gezwungen werden muss, sondern sich aus freien Stücken gläsern macht.
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