Der Konflikt zwischen dem Präsidenten des polnischen Rechnungshofs (Najwyższa Izba Kontroli, NIK) und der Regierung Morawiecki eskaliert mit dem Antrag des Justizministers (der gleichzeitig Generalstaatsanwalt ist) auf Aufhebung der Immunität von Marian Banaś. „Dies ist eine sehr schwierige Situation für unsere Seite“, räumte der PiS-Abgeordnete Ryszard Czarniecki Ende Juli ein. „Marian Banaś war einer von uns, er hatte wichtige Positionen in der Verwaltung inne. Dieser Konflikt ist für uns nicht hilfreich“.
Um die Aufhebung der Immunität des NIK-Präsidenten zu erreichen, ist eine absolute Mehrheit im Sejm, sprich 231 Stimmen, erforderlich. Die PiS-Fraktion, zu der Abgeordnete der PiS und der drei anderen kleinen Parteien der Koalition der Vereinigten Rechten gehören, verfügt über 232 Sitze, allerdings ist es nicht klar, ob sie bei dieser Abstimmung auf die Unterstützung aller ihrer Koalitionsmitglieder zählen kann. Die Opposition wird mit überwältigender Mehrheit gegen die Aufhebung der Immunität stimmen, denn, wie die konservative Wochenzeitung Do Rzeczy in ihrer Ausgabe vom 19. Juli feststellte, ist Banaś im Moment der wirksamste Oppositionelle. Donald Tusk, der Vorsitzende der Bürgerplattform (PO), bezeichnet den NIK-Präsidenten sogar als reuigen Zeugen, der politischen Schutz brauche.
Staatssekretär im Finanzministerium während der PiS-Regierungen 2005–2007 und 2015–19, Direktor des Zolls, Direktor der neuen nationalen Steuerverwaltung (Krajowa Administracja Skarbowa, KAS) von 2017 bis 2019, an deren Spitze er erfolgreich die Vereinheitlichung der Steuer- und Zolldienste leitete, was zu einer erheblichen Verbesserung der Steuererhebungsquote beitrug, war Marian Banaś – der in seiner Freizeit auch den schwarzen Gürtel trägt und Karatetrainer ist – 2019 für einige Monate Finanzminister, bevor er im selben Jahr zum Leiter des Nationalen Rechnungshofs (NIK) ernannt wurde.
Kurz nach seiner Ernennung an der Spitze des NIK geriet er ins Visier der Zentralen Antikorruptionsbehörde (CBA), die gegen seine Vermögenserklärungen ermittelte. Er weigerte sich, den Rücktrittsforderungen aus seinem eigenen Lager nachzugeben, indem er seine Unschuld beteuerte und die Ermittlungen als politisch motiviert bezeichnete. Seitdem hat der von ihm geleitete NIK die Zahl der Prüfungen und Berichte vermehrt, in denen die Politik der Regierung Morawiecki scharf kritisiert wird.
Im Mai 2021 veröffentlichte der Rechnungshof einen Bericht, der auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde und in dem er die Rechtswidrigkeit bestimmter Entscheidungen, u. a. von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, hervorhob, wonach die Präsidentschaftswahlen im Mai 2020 ausschließlich per Briefwahl abgehalten werden sollten – diese Wahlen wurden schließlich verschoben und auf herkömmliche Weise abgehalten. Dabei stellte er die Rechtmäßigkeit der zu diesem Zweck getätigten Haushaltsausgaben in Frage, die auf 70 Millionen Zloty (ca. 15 Millionen Euro) geschätzt werden.
Am Mittwoch, den 4. August, stellte der Rechnungshof auf einer Pressekonferenz seinen neuen Bericht über den „Justizfonds“ vor, der normalerweise für die Entschädigung der Opfer von Straftaten bestimmt ist. Der NIK berichtete über zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung der für diesen Fonds bereitgestellten Mittel und forderte das Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) auf, „insbesondere die aufgedeckten Mechanismen [zu kontrollieren], die zu Korruption führen“. Der Berichtsentwurf des NIK wurde von Justizminister Zbigniew Ziobro ausführlich beantwortet, der den gesamten NIK-Bericht in einem 100-seitigen Dokument zurückwies. Der NIK wies seinerseits alle Vorbehalte des Ministers zurück, der als Generalstaatsanwalt hinter dem Antrag auf Aufhebung der Immunität des Präsidenten des NIK stand.
Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung gegen Marian Banaś’ Sohn, der am 23. Juli bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub am Flughafen im Beisein seiner Familie kurzzeitig festgenommen wurde, bevor ihm die Anklagepunkte vorgelegt wurden und er anschließend wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.
In einem Interview mit dem Fernsehsender TVN24 nach seiner Freilassung erklärte Jakub Banaś, der auch Marian Banaś’ „sozialer Berater“ beim NIK ist, dass die Ernennung seines Vaters an der Spitze des polnischen Rechnungshofs eine persönliche Entscheidung von PiS-Chef Jarosław Kaczyński gegen den Rat von Justizminister Zbigniew Ziobro und Innenminister Mariusz Kamiński gewesen sei.
Als Reaktion auf die Verhaftung seines Sohnes und die Anklage gegen letzteren versicherte Marian Banaś, dass dies keine Auswirkungen auf die Arbeit des NIK haben werde, und wies darauf hin, dass die Verhaftung einen Tag nach der Vorlage des ebenfalls kritischen Berichts des Rechnungshofs über die Ausführung des Haushaltsplans 2020 erfolgte.
Marian Banaś und der NIK sind auch auf Twitter sehr aktiv, und zwar mit Nachrichten, die manchmal erstaunlich politisch sind und denen einer Oppositionspartei sehr ähneln. Anfang Juli organisierte die Institution, deren einziges Ziel normalerweise die Kontrolle der ordnungsgemäßen Verwendung öffentlicher Mittel ist, sogar eine Konferenz zum Thema „Transparenz der öffentlichen Finanzen als Grundlage für den Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Pandemie“, auf der die Regierung Morawiecki erneut gehörig abgekanzelt wurde – insbesondere für ihre Neigung, Sonderfonds zu schaffen, um einen Teil des Haushaltsdefizits zu verbergen.
Ist nun dieser Präsident des polnischen Rechnungshofs also unbestechlich oder eine Fehlbesetzung? Wenn die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen betrügerischer Vermögenserklärungen erfunden waren, fragt man sich, welches Interesse die PiS daran hatte, ein Verfahren gegen den Mann anzustreben, den sie gerade an der Spitze dieser Institution ernannt hatte, noch bevor dieser Mann Zeit hatte, seine übermäßige Unabhängigkeit zu beweisen. Sollte es sich hingegen um einen großen Besetzungsfehler handeln, so wäre dies nicht das erste Mal, daß dies bei Jarosław Kaczyński vorkommt, der sogar irgendwie als ein Fachmann auf diesem Gebiet gilt.
Der NIK-Präsident wird vom Sejm für sechs Jahre ernannt und kann vor Ablauf seiner Amtszeit nicht abberufen werden. Die Institution hat in diesem Jahr noch einen vollen Terminkalender mit Kontrollen zu bewältigen. Marian Banaś hat angekündigt, dass er ein Buch mit Hintergrundinformationen aus seiner Zeit in den PiS-Regierungen 2005–2007 und 2015–2019 schreiben wird. Das könnte heiß werden!
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