Ist in der Ukraine eigentlich noch Krieg? Oder handelt es sich bei dem, was dort geschieht, womöglich doch um genau das, als was der Kreml die Kampfhandlungen offiziell definiert (und was wiederum vom Westen als „Putin-Propagandalüge gegenüber dem russischen Volk” bezeichnet wird) – eine „begrenzte Militäroperation”? Es soll hier nicht darum gehen, die unbestrittene Entfesselung eines völkerrechtswidrigen militärischen Angriffs auf ein souveränes Land zu bestreiten oder die russische Primärschuld an der Eskalation zu leugnen. Aber hier passt so einiges nicht zusammen.
Wie kann es sein, dass deutsche Politiker, NGO-Aktivisten, Hollywood-Stars und Popstars mittlerweile wie verzückte Groupies in die Ukraine tingeln, anscheinend ungestört und völlig gefahrlos, um sich dort medienwirksam ablichten zu lassen – obwohl doch der „Krieg” tobt und sie jederzeit mit ihrer Pulverisierung rechnen müssten? Kein Tag vergeht, da uns nicht die Klitschkos oder den hierzulande zunehmend verklärten und verherrlichten Präsidenten Selenskyj in martialischem Militäroutfit oder wenigstens in Räuberzivil plus Kugelweste gezeigt werden, wie sie Staatsbesuche empfangen, launig Hof halten, westliche Besucher bewirten, Interviews geben oder sich per Zoom auf einer virtuellen Fundraising-Tournee für Geld und Waffen durch die Parlamente der Welt zappen, während um sie herum doch ein angeblicher „Völkermord“ in Gange ist. Sie halten sich dabei auch nicht in irgendeinem Bunker oder im Exil auf – sondern in der Hauptstadt oder anderen Städten ihres Landes, wo sie doch eigentlich jederzeit zum Ziel russischer Lenk-und Präzisionswaffen werden müssten.
Konzerte und Showbiz im Kriegs-Nirwana
Friedrich Merz fährt tiefenentspannt per „Orient-Express” nach Kiew. Baerbock tingelt – als erstes Ampel-Regierungsmitglied – ebenfalls in die Hauptstadt, Scholz und Steinmeier sollen bald folgen. Trudeau kommt auf Fanbesuch. Angelina Jolie macht Abenteuerurlaub in der ruthenischen Etappe. U2 spielt ein Benefizkonzert in einer Kiewer U-Bahn. Der Krieg – oder seine Inszenierung – werden zum Happening, zum Unplugged-Spektakel, zur Showbühne globaler Selbstdarsteller. Wo hat es sowas je gegeben? Reisten vielleicht Churchill oder Roosevelt, Maureen O’Hara, Clark Gable oder selbst Ernest Hemingway während des Polenfeldzugs aus Solidarität nach Warschau? Wäre Deutschen in den Luftschutzbunkern von Hamburg oder Dresden nach einer Live-Performance gewesen? Oder hätte, ein paar Jahre zuvor, 1940, der Bevölkerung von London oder Coventry während „The Blitz“ der Sinn nach musikalischer Zerstreuung und internationalen Glamour gestanden?
Irgendetwas ist hier oberfaul. Oder glaubt irgendeiner ernsthaft, ein Bono würde in Kiew live auftreten, wenn er befürchten müsste, dass ihm eine Iskander-Rakete auf den Kopf fallen könnte? Unbestreitbar gibt es Elend, Tod und Zerstörung in der Ukraine – aber wo genau, in welchem Maße und durch wen verursacht, ist nicht immer klar. Auch ohne CNN und die PR-Profis von Hill & Knollton (Stichwort Brutkastenlüge) wird in diesem Krieg augenscheinlich mehr gelogen als in irgendeinem Konflikt zuvor. Die Ungereimtheiten sind allzu augenfällig. In einem echten Eroberungskrieg (von der superlativischen Steigerung „Vernichtungskrieg“ ganz zu schweigen), bei Städtebelagerugen und Großoffensiven bleibt normalerweise kein Stein auf dem anderen. Das mag bislang sicherlich für die umkämpften Städte in Donbas – vor allem auf das hier immer (und praktisch ausschließlich) gezeigte Mariupol – zutreffen. Aber eben nicht auf Kiew, nicht auf Odessa und schon gar nicht auf Lemberg (Lwiw) und die westlichen Landesteile. Hier sind die Einschläge eher punktuell, zwar auch enorm, aber eben nicht kriegstypisch. Dennoch werden jede eingeschlagene Rakete, jedes Haus und jedes Opfer instrumentalisiert, um den Anschein von Flächenbombardements oder „verbrannter Erde” zu erwecken. So tragisch und entsetzlich jedes Menschenleben natürlich ist: Diese Einordnung ist schlicht unseriös.
Hier ist etwas oberfaul
Es ist auch nicht plausibel anzunehmen, dass die russische Armee mit ihrer aktiven Mannstärke von knapp 1,1 Millionen Soldaten und über 2 Millionen Reservisten nicht ernsthaft in der Lage wäre, in mehr als zweieinhalb Monaten die Ukraine zu überrollen und zu okkupieren – westliche Waffen hin oder her, wenn es hier wirklich darum ginge. Insofern sind die Heldengesänge auf Widerstand, auf Putins eingeholte blutige Nase und ins Stocken geratene Offensive mit großer Vorsicht zu genießen. Dass hier ein Krieg – oder doch Militäreinsatz? – mit angezogener Handbremse geführt wird, der den Gegner und seine Verbündeten strategisch womöglich in eine bestimmte gewünschte Richtung lenken will und so eine Destabilisierung des Westens auch ganz ohne direkte Konfrontation zur Folge hat: Es ist zumindest vorstellbar.
Zerwürfnisse innerhalb von EU und NATO, perspektivisch auch zwischen den (von den Kriegsfolgen weit geringer betroffenen) USA und Europa, aber vor allem die in ihrer Tragweite derzeit noch gar nicht erkannte Flüchtlingskrise und nicht zuletzt eine neue Angst (die für einen archaischen Kalten Krieger wie Putin gleichbedeutend ist mit Respekt) vor dem russischen „Feind” – all das könnten durchaus die eigentlichen Ziele Russlands in dieser vom Zaun gebrochenen Krise sein. Dass Russland sich nebenbei China und Indien weiter annähert, ist langfristig ein weiterer geostrategischer Benefit für Putin. Alleine deshalb wäre der Westen und vor allem Deutschland gut beraten, zur Neutralität zurückzukehren – und nicht alle Brücken zur zerschlagen.
Ja, Russland – bzw. Putin – ist der Aggressor., ohne Zweifel. Aber die Qualität dieser Aggression muss möglicherweise neu bewertet werden – wie auch die Frage, vor welchen Karren wir uns im Westen spannen lassen wollen. Eines ist sicher: Putin wird irgendwann verschwunden sein – doch das russische Volk bleibt. Man darf und sollte es sich nicht dauerhaft zum Feind machen.
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