Horst D. Deckert

Russland – Ukranine: Ernüchterung statt Aufatmen

Von URSULA STENZEL | Die Ernüchterung ist schnell eingetreten: Der russische Teilabzug ist nicht erfolgt, im Gegenteil die Lage in der abtrünnigen Provinz Donbass im Osten der Ukraine hat sich verschärft, die Kämpfe zwischen der russischen Miliz und den dort stationierten ukrainischen Einheiten haben sich verschärft, die Zivilbevölkerung wurde von der russischen Provinzregierung aufgefordert sich aus dem Kampfgebiet evakuieren zu lassen, man will offenbar freies Schussfeld haben.

 

Das ist eindeutig eine neue, beunruhigende Eskalationsstufe. Es ist noch nicht der Krieg, den die USA und die NATO immer wieder beschwören, verbunden mit scharfen Sanktionsdrohungen, und der Gesprächsfaden ist auch noch nicht abgerissen. Aber die Lage ist explosiv und die Positionen scheinbar unvereinbar, wie ein von den Briten veröffentlichter Aufmarschplan verbunden mit den diametral entgegengesetzten Positionen Russlands und der Nato nahe legt.
Die russischen Forderungen
Die russischen Forderungen lauten also:
  • Stopp aller Waffenlieferungen an die Ukraine und Rücknahme aller schon gelieferten Waffensysteme aus der Ukraine.
  •  Rückzug aller US Kräfte aus Zentral-Europa und dem Baltikum.
  •  Dafür im Rahmen eines Paketabkommens mit der NATO ein Abkommen über Rüstungskontrolle und Konflikt-Abbau. Der Begriff „vertrauensbildende Maßnahmen“ findet sich nicht.

Nach russischer Auffassung haben die USA keine befriedigende Antwort auf den russischen Vorschlag gegeben.

Die Haltung der USA

Diese Antwort ist von den USA auch nicht zu erwarten, die in der Annexion der Krim und der de facto Besetzung des russischen Teils der Ukraine einen eklatanten Bruch des Völkerrechts sehen und eine Veränderung der Nachkriegsgrenzen in Europa. Weder die USA noch das den Zusammenbruch des Sowjetblocks und des Warschauer Pakts überlebt habende westliche Verteidigungsbündnis, NATO, haben aber irgendeine Bereitschaft gezeigt, noch einen Anlass gehabt, dieser Politik Putins einen militärischen Riegel vorzuschieben. Die Ukraine ist eben kein Mitglied der NATO, und wird es so schnell auch nicht werden. Allerdings hätte Putin dies auch gern schriftlich. Und er begründet dies damit, dass sich nach dem Zerfall der Sowjetunion – in seine Augen die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts – die Nato vorgeschoben hat, nach Ost-und Mitteleuropa und damit Russland gegenüber wortbrüchig geworden sei.

Angeblich kein Wortbruch

Nur findet sich leider in keinem der Verhandlungsprotokolle ein Hinweis darauf, dass im Zuge der „Vier plus Zwei Gespräche“, die 1991 / 92 zur deutschen Wiedervereinigung geführt haben,  je ein Verzicht auf eine NATO-Erweiterung angesprochen wurde. Das bezeugt Horst Teltschik, der damals einer der wichtigsten Berater Helmut Kohls und bei den Verhandlungen dabei war. Der Westen  hat das Vakuum, das der Kollaps des sowjetischen Kommunismus und der kommunistischen Eliten seiner Satellitenstaaten hinterlassen hat, aufgefüllt, indem er ihnen die NATO-Mitgliedschaft anbot, ein Angebot, das diese auch aufgrund ihrer leidvollen Erfahrungen mit Stalinismus und dem Panzerkommunismus Breschnjews auch gerne annahmen. Diese NATO-Erweiterung sei nicht gegen Russland gerichtet, wurde immer wieder betont, denn die NATO sei ein reines Verteidigungsbündnis. Es wurde von Putin aber so verstanden, besonders weil die USA auch ihre Raketenstellungen z. B. nach Polen vorschoben. Eine ähnliche Entwicklung in der Ukraine ist genau die rote Linie, die – und das ist aus Sicht Russlands auch verständlich – nicht überschritten werden darf. Nur hat die Ukraine, wahrscheinlich ermutigt durch die USA, den Wunsch nach einer NATO-Mitgliedschaft 2019 in die Verfassung geschrieben und diese aus der Verfassung zu eliminieren, würde keine Regierung in Kiew überleben.

Der russische Bär wurde gereizt

Schon als ich 2003 in der Ukraine war und der prorussische Präsident Janukowitsch aus dem Amt gedrängt wurde von Juschtschenko, der einen folgenschweren Giftanschlag überlebt hatte, nicht zuletzt dank ärztlicher Hilfe in Wien, und die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, war klar, dass eine NATO-Mitgliedschaft den russischen Bären aufwecken würde und der Verlust des Marinestützpunkts Sewastopol, ein absolutes No Go wäre. Dem baute Putin durch die Annexion der Krim vor.

Nicht zuletzt aus diesem Grund erweitert Putin jetzt auch seine Militärmanöver mit 140 Kriegsschiffen im Asowschen Meer, und laut dem Militärexperten Georg Mader in der Zeitschrift „Militär Aktuell“ ist eine Landungsflotte durch den Bosporus gelaufen, was laut Kiew die Vorstufe einer Seeblockade sein könnte.

Atomare Abschreckung

Auch Manöver mit atomwaffenfähigen Raketen derzeit in Weißrussland finden statt. Putin betritt damit die Bühne auf einem Kriegsszenario, das sich unmittelbar vor den Küsten der NATO-Mitglieder Rumänien und Bulgarien befindet, wo auch Kriegsschiffe Frankreichs kreuzen, die Macron dort hinbeordert hat, nach Großbritannien, der zweiten europäischen Atommacht. Das alles fällt unter das Kapitel atomarer Abschreckung und ist, so paradox das klingen mag, nicht so beunruhigend wie die Situation im Donbass.

Wer die Stellungnahmen Putins in seinen diversen öffentlichen Auftritten mit Macron und Scholz verfolgt hat, muss zur Kenntnis nehmen, dass er keinen Angriff auf die Ukraine plant, aber versucht sein könnte, in einer begrenzten militärischen Aktion den Donbass, einzunehmen und zu annektieren, sowie die Duma dies in ihrer Resolution gefordert hat. Dies würde die Welt vor vollendete Tatsachen stellen und den Prozess vollenden, der mit der Annexion der Krim begonnen hat. Dazu kommt, dass die Streitkräfte der Ukraine denen Russlands in allen Waffengattungen hoffnungslos unterlegen sind.

Sanktionen nicht glaubwürdig

Die angedrohten Sanktionen scheinen Putin nicht abzuhalten. Für sein Öl und Erdgas findet er auch andere Abnehmer, z. B. China und was den Ausschluss von Swift betrifft, der Society for Worldwide Interbank Telecommunication, so kann er dies verschmerzen. Er baut bereits an einem eigenen, alternativen Zahlungssystem und Deutschland wird kaum daran interessiert sein, die Zahlungen für russisches Erdgas einzustellen, das allein im Jahr 2020 Erdgas im Wert vom 18. Milliarden € nach Europa pumpte, noch ohne Northstream 2.

Eine Annexion der Ostukraine würde zwar die Ukraine amputieren und den Minsker Prozess scheitern lassen, aber warum sollte Putin diese Gelegenheit nicht ergreifen, noch dazu, wo der Westen keinerlei Bereitschaft zu einer militärische Konfrontation erkennen lässt und die ukrainischen Streitkräfte den russischen hoffnungslos unterlegen sind?

Alle Indizien sprechen daher für eine begrenzte militärische Aktion Russlands in der Ostukraine. Ich berufe mich in diesem Zusammenhang auf eine hervorragende Darstellung des Konflikts von dem Militäranalysten Georg Mader in der Zeitschrift „Militär aktuell“.

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