In Deutschland sehen inzwischen wohl sogar die bislang regierungsloyalen Haus- und Hofökonomen ihre Felle schwimmen – und versuchen ihre Verluste zu begrenzen, indem sie das Propaganda-Wandlitz der Durchhalteparolen verlassen und versuchen, ihre Glaubwürdigkeit zu retten: In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hat der “Wirtschaftsweise” Marcel Fratzscher, der als Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Dauergast in Deutschlands öffentlich-rechtlichen Mainstream-Talkshows ist, ungewohnt düstere Prognosen für die wirtschaftliche Zukunft des Landes abgegeben.
Die Rezession werde nicht nur „unvermeidbar“ sein, so Fratzscher, sondern das Land befinde sich bereits in einem Abschwung. Dabei sei seine Sorge weniger „dass wir in den nächsten zwei Quartalen schrumpfen werden, sondern dass es auch danach keine Erholung geben wird.“ Für 2023 rechne sein Institut mit einer schrumpfenden Wirtschaft. Auch 2024 werde „nicht so ein gutes Jahr werden.“ Man werde sich „auf einige Jahre Stagflation einrichten müssen.“
Das klingt noch ganz anders als bisher; vor noch keinem Jahr hatte Fratzscher etwa beschwichtigt, die Inflation sein eine Art Rechenfehler und statistisches Artefakt, und bewege sich im unteren einstelligen Prozentbereich. Eine Verschärfung um den Faktor 10 – peinlich für einen angeblich renommierten und topqualifizierten Vorzeige-Ökonomen.
Zweckoptimismus nicht völlig passé
Auch jetzt will Fratzscher noch nicht den Teufel an die Wand malen – und gibt seine Zweckoptimismus nicht vollends auf: Er rechnet noch nicht mit einem zweistelligen Wirtschaftseinbruch wie im zweiten Quartal 2020 (damals infolge der Corona-Krise); allerdings werde man „auf breiter Front weniger Aktivität sehen“, so Fratzscher kryptisch. Da viele Menschen den Gürtel enger schnallen müssten, gehe der private Konsum zurück. Dies mache diese Krise so “besonders”, weil es ein flächendeckendes Problem sei, dass „letztendlich die gesamte Wirtschaft“ treffe. In einer solchen Situation lasse sich auch eine Zunahme der Insolvenzen nicht vermeiden.
Die „bittere Wahrheit“ sei, dass wir „einen riesigen Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft erleben. Viele energieintensive Unternehmen werden es nicht überleben.“ Der Anstieg der Kosten für Gas und andere fossile Energieträger sei nicht nur vorübergehend. Er werde sich „so lange fortsetzen, bis wir den Umstieg auf erneuerbare Energien ausreichend gemacht haben.“
Und immer wieder das Hohelied auf “erneuerbare Energien”
Von dieser Chimäre lässt Fratzscher sich offenbar nicht abbringen. Erst kürzlich hatte er gefordert, das Autofahren noch teurer zu machen. Zudem hatte er die Russland-Sanktionen verteidigt und prophezeit, diese würden in Russland noch in diesem Jahr zu einer „tiefen Rezession“ führen. Für Deutschland könnten sie sich seiner Meinung nach als Segen erweisen, weil sie ein „Weckruf“ seien, der zeige, dass wir „schneller auf erneuerbare Energien umsteigen“ müssten.
Dem RND sagte er weiter, viele Unternehmen würden insolvent gehen, und der Staat könne nicht alle retten. Dies sei jedoch ohnehin nicht wünschenswert. Man müsse „jetzt aufpassen, dass eine so tiefe Krise nicht die falschen Unternehmen“ treffe, wobei er Start-ups und andere innovative Firmen ohne große Rücklagen als Beispiele nannte, die der Staat vorrangig unterstützen sollte. Ansonsten sei es sinnvoller, die Energiekosten zu begrenzen und die Unternehmen bei der Transformation durch Technologieförderung sowie eine gute Infrastruktur zu unterstützen. Fratzscher erklärte, Privatinsolvenzen seien seine größte Sorge.
Die faule Lösung: Noch mehr Umverteilung, noch mehr Wohlfahrtsstaat
Wegen der explodierenden Strom- und Gaspreise würden viele Bürger ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Trotz guter Elemente seien die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung nicht ausreichend. Ihr Volumen müsse über die nächsten sechs Monate verdoppelt oder sogar verdreifacht werden, forderte er. Dies hält er für möglich, wenn die Regelungen der Schuldenbremse erneut ausgesetzt würden. Diese sei „mal gemacht worden, damit der Staat in schlechten Zeiten handeln kann. Wenn nicht jetzt, wann dann?“.
Wenn die Prognosen des dezidiert linken Fratzscher auch mit großer Vorsicht zu genießen sind, könnten die schweren Zeiten, die er nun ankündigt und die sich in ihrem grimmigen Realismus von den regierungstreuen Durchhalteparolen unterscheiden, die er sonst oft von sich gab, vielleicht doch in seinen Kreisen für einen gewissen Realismus sorgen, was bei Ökonomen aus der „neoliberalen“ Ecke niemals der Fall wäre.