Horst D. Deckert

Sieben Fake News aus der Ukraine

Die russische Militäroperation in der Ukraine läuft erst seit wenigen Tagen, und schon drehen sich die Propagandazahnräder blitzschnell und produzieren «Nachrichten», Meinungen und Inhalte für die Medienmühlen.

Allein in den letzten 48 Stunden sind Dutzende von Berichten, Bildern, Erzählungen und Videos in Umlauf gebracht worden, die angeblich von den Kämpfen in der Ukraine stammen und von denen ein grosser Teil gefälscht ist.

Einiges davon könnte auf Missverständnisse, Verwechslungen oder falsche Zuordnungen zurückzuführen sein, doch oft sind es wahrscheinlich bewusste Täuschungen, die eine Reaktion hervorrufen sollen. Tauchen wir also gleich ein.

1. «Das Gespenst von Kiew»

Am frühen Morgen des 25. Februars wurde berichtet, dass ein einzelnes ukrainisches Flugzeug, eine MiG-29, am Himmel über Kiew patrouillierte. Die englischsprachige Presse nannte den Piloten «The Ghost of Kiev» (Der Geist von Kiew) und behauptete, er habe in weniger als zwei Tagen sechs russische Jets im Luftkampf abgeschossen, was ihn zu einem offiziellen «Fighter Ace» mache, und wahrscheinlich zu einem der schnellsten, die diesen Titel je errungen haben. Das Problem ist, dass es fast keine Beweise dafür gibt, dass dies überhaupt geschehen ist. Um Newsweek zu zitieren:

«Es gibt keinerlei Beweise für die Existenz des ‹Gespenstes von Kiew›.»

Keine der beiden Seiten kann bestätigen, dass Russland insgesamt sechs Flugzeuge verloren hat, geschweige denn an einem einzigen Tag an einen Mann. Und ein von den ukrainischen Streitkräften verbreitetes Video, das angeblich «das Gespenst» im Kampf zeigt, hat sich in Wirklichkeit als Videoaufnahme aus einem Videospiel erwiesen.

Trotzdem hat er bereits seine eigene Wikipedia-Seite. Ein Beweis dafür, wie schnell sich eine Lüge verbreiten kann, während sich die Wahrheit erst die Stiefel anzieht.

2. «Russische Flugzeuge fliegen über Kiew»

Viele Menschen haben ein kurzes Video von russischen Flugzeugen geteilt, die angeblich tief über Kiew fliegen. Die Times hat ein Standbild daraus in ihrem Bericht «Will sanctions stop a Russian shell?» (Werden Sanktionen einen russischen Panzer stoppen?) verwendet:

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Quelle: OffGuardian/Times

Das Problem dabei ist, dass es sich nicht um Kiew, sondern um Moskau handelt. Und es ist nicht aktuell, sondern zwei Jahre her. Es handelt sich um Aufnahmen, die wahrscheinlich eine Probe für die Flugparade zum Tag des Sieges 2020 zeigen.

3. «Selenskyj besucht die Truppen»

Wahrscheinlich hat kein Politiker in der Geschichte eine so schnelle PR-Veränderung erfahren wie Wolodymyr Selenskyj. Letzte Woche war er einfach nur irgendein beliebiger Typ – diese Woche ist er ein Kriegsheld. Es gibt Gerüchte, dass Statuen von ihm erbaut werden. In einem (überhaupt nicht inszenierten) «durchgesickerten» Telefongespräch lehnte er das Angebot der USA ab, sich per Flugzeug in Sicherheit zu bringen.

Auf Twitter werden Fotos von ihm in Kampfmontur geteilt. Er wird mit Trump und Trudeau verglichen und gefragt: «Welche anderen Leader würden an der Seite ihrer Truppen kämpfen?».

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Quelle: OffGuardian/Twitter

Problematisch dabei ist jedoch, dass die Fotos alle fast ein Jahr alt sind, aufgenommen bei seinem Truppenbesuch im vergangenen April:

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Quelle: OffGuardian/Reuters

4. «Explosion im Kraftwerk Luhansk»

Bereits zu Beginn der Konfrontation machte dieses Video in den sozialen Medien die Runde. Das Video ging viral und wurde über 200’000-mal aufgerufen. Hunderte von Nutzer teilten es, sogar grosse Nachrichtensender verwendeten es. Alle behaupteten, es zeige ein Kraftwerk in Luhansk, das nach dem Einschlag russischer Raketen explodiert. Das ist nicht der Fall, es handelt sich um eine explodierende Chemiefabrik in Tianjin, China, im Jahr 2015.

5. Videospiele – schon wieder

Dieses Video, das angeblich den Abschuss eines russischen Flugzeugs durch ukrainische Bodentruppen zeigt, ging kürzlich ebenfalls viral und wurde sogar in den spanischen TV-Nachrichten gezeigt:

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… Es stammt aus dem Videospiel «ARMA 3».

6. «Russisches Kriegsschiff, fick dich»

Dies war die erste grosse Propaganda-Narrative nach dem Vorstoss Russlands auf ukrainisches Gebiet. Angeblich durchgesickerte Tonaufnahmen zeigen, wie ukrainische Grenzsoldaten auf der winzigen Schlangeninsel im Schwarzen Meer mit einem russischen Kriegsschiff kommunizieren. Als sie aufgefordert werden, sich zu ergeben, entgegnen die Wachen: «Russisches Kriegsschiff, fick dich» («Russian warship go fuck yourself»).

Die westliche Presse berichtete, dass alle 13 Männer getötet wurden. Die ukrainische Regierung gab eine Erklärung ab, in der es hiess, dass sie alle posthum geehrt werden würden.

Doch während die angeblich gefallenen Helden in der ganzen westlichen Welt heiliggesprochen wurden, meldete Russland, dass sie gar nicht getötet, sondern lebendig und unversehrt auf das Festland zurückgebracht worden sind. Sowohl die Presse als auch die ukrainische Regierung haben inzwischen widerwillig zugegeben, dass dies wahrscheinlich stimmt.

7. Filmmaterial von Drohnenangriffen in Syrien

Ein weiteres Video, das die Runde machte und ebenfalls von offiziellen ukrainischen Stellen verbreitet wurde, waren Drohnenaufnahmen, die angeblich die Zerstörung einer Kolonne russischer Fahrzeuge zeigen.

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Quelle: OffGuardian/Twitter

In Wirklichkeit handelt es sich um Aufnahmen eines türkischen Drohnenangriffs in Syrien aus dem Jahr 2020.

Andere Benutzer teilten unter dem Hashtag #StandWithUkraine Filmmaterial von Kämpfen in Libyen oder israelischen Bombardierungen des Gazastreifens. Middle East Eye hat eine Liste zusammengestellt.

Es ist gewissermassen eine schöne Ironie, dass so viele der Clips, die bei Linken im Westen Empörung auslösen, aus Kriegen stammen, die ihre eigenen Regierungen begonnen haben.

Da haben wir sie, sieben Geschichten über den Krieg in der Ukraine, die nachweislich gefälscht sind – und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt noch tonnenweise andere Fälschungen, ganz zu schweigen von Fälschungen von Fälschungen, die dazu dienen, Zweifler zu diskreditieren oder einfach nur Verwirrung zu stiften.

Letztendlich ist das alles eine Erinnerung daran, dass die Propaganda in Zeiten, in denen die Nachrichten schnelllebig und die Menschen emotional sind, am stärksten ist. Das ist der Grund, warum die Medien Furcht, Angst und Hass schüren. Denn in diesem emotionalen Zustand sind die Menschen weniger geneigt, kritisch zu denken.

Es sollte selbstverständlich sein, dass dies für beide Seiten gleichermassen gilt. Wir sollten die Behauptungen der russischen Seite nicht blindlings übernehmen, nur weil wir wissen, dass die NATO lügt. Beide Seiten betreiben Propaganda, und einäugige Skepsis ist nur eine andere Art der Voreingenommenheit.

Kurz gesagt, wenn Sie etwas sehen, das eine emotionale Reaktion hervorrufen soll – lassen Sie es nicht zu. Lassen Sie sich niemals von Erzählungen mitreissen, halten Sie sich immer zurück, bleiben Sie ruhig und stellen Sie rationale Fragen. Verweigern Sie den Glauben, verlangen Sie Fakten. Nur so können Sie Ihren Geist frei halten. Oder, um H. L. Mencken zu zitieren:

«Glaube nichts von dem, was du hörst, und nur die Hälfte von dem, was du siehst.»

Zum Originalartikel (auf Englisch)

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OffGuardian wurde im Februar 2015 ins Leben gerufen und verdankt seinen Namen der Tatsache, dass seine Gründer alle von der englischen Zeitung Guardian zensiert und/oder aus deren «Comment is Free»-Seiten verbannt worden waren.

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