Die ungute Kontinuität zwischen alter Hausherrin und neuem Hausherr im grotesk überblähten Bundeskanzleramt reicht vermutlich viel weiter, als dies selbst Pessimisten vor der Regierungsbildung befürchtet haben: In einer der seltenen gesellschaftspolitischen Einordnungen zeigt Olaf Scholz gleich zu Beginn seiner Kanzlerschaft dieselne ausgeprägte Taub- und Blindheit gegenüber der realen Stimmungslage, den inneren Befindlichkeiten der Bevölkerung, wie dies schon Angela Merkel tat. Anscheinend hat er doch zulange als Vizekanzler neben ihr im Kabinett gesessen. Denn es war Merkel, die die durch ihre einsamen Entscheidungen und widersprüchliche politische Kehrtwenden selbst verursachte extreme Polarisierung bis zuletzt nicht wahrhaben wollte und ausnahmslos alle, die inner- wie außerparlamentarisch Fundamentalopposition dagegen übten, wahlweise als feindselige Extremisten oder irrelevante Minderheitler marginalisierte.
Was Scholz nun auf die Frage antwortete, ob er so etwas wie eine „Spaltung der Gesellschaft” erkenne – konkret vor allem beim Thema Impfpflicht -, das atmet jedenfalls genau dieselbe Arroganz und Ignoranz, die Merkels Führungsstil bis zuletzt kennzeichnete: Eine Spaltung erkenne er nicht, er halte auch „nichts von dieser Sicht”, sagte Scholz – und schob dann noch eine geradezu leninistische Begründung nach: „Weil eine lautstarke Minderheit sehr radikal vorgeht, dürfen wir nicht für die gesamte Gesellschaft eine Spaltung unterstellen. Das halte ich für eine falsche Betrachtung.” So redet mit Sicherheit keiner, der sich als Kanzler aller Deutschen versteht – wohl aber ein Kanzler der Geimpften. Respektive, in weiterer Folge, als Kanzler der dann jeweils „vernünftigen Mehrheiten“ bei allen kommenden linken Leib- und Magenthemen, vor allem beim „Klimaumbau“ der Gesellschaft, der den Gegnern seiner Politik sogar die Relevanz abspricht, die „unteilbare“ Masse der Selbstgerechten entzweien zu können. Nur die schlimmsten Spalter leugnen die Spaltung. Scholz hat unter Merkel bei der besten gelernt, was bösartige Agitprop anbelangt.
Nichts trübt die beschworene Harmonie
Auch hier bricht wieder die Hybris durch, die Gegner der eigenen Überzeugung als angeblich verschwindend kleinen Außenseitersaum an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu drängen, dem es schon rein zahlenmäßig gar nicht möglich sein könne, die Harmonie der übergroßen Volksgemeinschaft zu trüben. Duktus und Wortwahl erinnern, wie so viele O-Töne dieser Tage, auch bei Scholz wieder an das Geraune dunkler Zeiten, dessen Paraphrasierung mit Gegenwartsbezug dann etwa so klänge: „Eine ganze kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Impfgegner hat ein Komplott geschmiedet, um den Impfwillen der übergroßen Volksmehrheit zu brechen und praktisch die deutschen Impfkampagne auszurotten.“ Wer wann das zugrundegelegt Originalzitat sagte, dürfte allgemein bekannt sein.
Vielleicht sollte man es Scholz gleich ganz zu Anfang seiner Amtszeit ins Stammbuch schreiben: Eine „Spaltung“ setzt nicht die Teilung in zwei gleichgroße Gruppen mit glatter Frontstellung voraus. Auch auch bei anderen Mengenverhältnissen, bis hin zur Zersplitterung, kann von Spaltung die Rede sein. Gerade beim Thema Impfung sind die Diskriminierung, Ausgrenzung, Anfeindung und schleichende Entrechtung eines bloßen Fünftels oder auch nur Sechstels der Deutschen mit Sicherheit gravierend genug, um den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft nachhaltig zu (zer)stören – mit unabsehbaren Folgen. Und die Impfung ist beileibe nicht die einzige, wenn derzeit auch die wesentlichste Sollbruchstelle der Gesellschaft; es gibt wenig Hoffnung, dass Scholz, der bezeichnenderweise schon alle „roten Linien“ für seine Politik ausschloss, hier integrativ oder brückenbauend wirken wird. Im Gegenteil.