Horst D. Deckert

Spanien schafft die Gewaltenteilung ab

Das spanische Verfassungsgericht und der Abbau des Rechtsstaats. Die linksliberale digitale Zeitung eldiario.es erscheint heute mit der Schlagzeile: „Das Verfassungsgericht erwürgt das Parlament“. Das spanische Verfassungsgericht hat seiner unrühmlichen Rolle beim Abbau des Rechtsstaats einen weiteren historischen Meilenstein hinzugefügt. Die bisherigen Höhepunkte seiner Arbeit waren ja das Begraben des Autonomiestatuts von Katalonien im Jahr 2010, Auslöser des andauernden Kampfes für die katalanische Unabhängigkeit, das Verbot des Referendums in Katalonien im Jahr 2017, die spätere Absegnung der hohen Haftstrafen für die Akteure, viele weitere Absegnungen von skandalösen Urteilen, die später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte annulliert wurden (darunter das gegen den baskischen Politiker Arnaldo Ortegi) usw. usf. Es ist zu befürchten, dass wie alle früheren Skandale auch dieser in Europa weitgehend unbemerkt über die Bühne gehen wird, im Unterschied zum „Dauerbashing“ gegen Polen und Ungarn. Von Eckart Leiser.

Seit vier Jahren außerhalb der Verfassung

Was war geschehen? Die spanische Regierung hatte nach wiederholten Verwarnungen durch den Justizkommissar der Europäischen Kommission einen weiteren Versuch gemacht, einem seit über vier Jahren andauernden verfassungswidrigen Zustand in der spanischen Justiz ein Ende zu setzen. Das Mandat von deren Schlüsselorgan, des „Generalrats der rechtsprechenden Gewalt“ (CGPJ), der u.a. für die Besetzung von Richterstellen der höheren Gerichte zuständig ist, ist nämlich seit 2018 abgelaufen, und die spanische Rechte, die mehrheitlich rechtsgerichteten Richter im CGPJ eingeschlossen, blockiert seitdem die Berufung neuer Richter, die nach den veränderten Kräfteverhältnissen in der spanischen Politik ihrer Mehrheit ein Ende setzen würde.

Was das Verfassungsgericht betrifft, ist die Berufung von zwei neuen Richtern überfällig, und die von der Regierung ausgewählten Kandidaten (ihr steht die Auswahl von zwei Richtern zu) würden die „konservative“ Mehrheit von 6:5 in eine „fortschrittliche“ Mehrheit von 6:5 umkehren. Und auf der Tagesordnung des Verfassungsgerichts stehen folgenschwere Entscheidungen wie die Anfechtung der liberalen Abtreibungsgesetze.

Neues Gesetz zu Überwindung der Blockierung

Diese Blockadepolitik der spanischen Rechten hat Tradition: In den über 40 Jahren nach Ende der Franco-Diktatur war es ihr immer wieder gelungen, anstehende Erneuerungen der Justizorgane, die ihre Mehrheit gefährdeten, zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Aber dieses Mal erreichte die Manipulation eine neue Qualität: Um der Blockade ein Ende zu setzen, hatte die Regierung aus sozialistischer Partei und dem linken Wahlbündnis Unidas Podemos ein Gesetz eingebracht, das die 3/5-Mehrheit im CGPJ bei der Wahl von Kandidaten in eine einfache Mehrheit veränderte. Was das Verfassungsgericht betrifft, betraf das die Ablösung von zwei Richtern; Pedro González Trevijano (Präsident des Verfassungsgerichts) und Antonio Narváez, beide seinerzeit von der Rechtspartei eingesetzt. Deren Mandat ist seit Monaten abgelaufen. Als Nachfolger hatte die Regierung den Exminister Juan Carlos Campo und Laura Díez (Professorin für Rechtswissenschaft) ausgewählt. Das von der Regierung eingebrachte Gesetz wurde am 15. Dezember vom Parlament mit einer für spanische Verhältnisse soliden Mehrheit von 184 der 350 Abgeordneten verabschiedet, gegen den wilden Protest der Opposition, die die Abstimmung boykottierte.

Zeitenwende: Zum ersten Mal suspendiert das Verfassungsgericht die Legislative

Stand noch die Zustimmung im Senat, der zweiten Kammer der spanischen Volksvertretung, an. In diesem Moment beantragte die Rechtspartei PP beim Verfassungsgericht, die Verabschiedung des Gesetzes im Senat „vorsorglich“ zu blockieren. Niemals in seiner Geschichte hatte das Verfassungsgericht in die Verabschiedung eines Gesetzes vor dessen Inkrafttreten eingegriffen, also der Legislative das Recht entzogen, Gesetze zu verabschieden. Rechtsgutachten des Verfassungsgerichts und der Staatsanwaltschaft sprachen sich klar gegen die Zulassung des Antrags aus.

Das hinderte den Präsidenten des Verfassungsgerichts, Pedro González Trevijano, für den ja seine Ablösung auf dem Spiel stand, nicht daran, ein Plenum des Gerichts für vergangenen Montag einzuberufen, um über den Antrag der Rechtspartei zu entscheiden. Um Schlimmeres zu verhindern, forderten die sozialistische Partei PSOE und Unidas Podemos daraufhin in letzter Minute die zur Ablösung anstehenden beiden Richter, darunter den Präsidenten, auf, sich zumindest wegen Befangenheit der Stimme zu enthalten. Immerhin stand ihr Posten im Verfassungsgericht, dotiert mit 12.000 bis 13.000 Euro im Monat, Dienstwagen und Sekretären, auf dem Spiel. Bei ihrer Enthaltung wäre der Antrag der Rechtspartei mit 5:4 Stimmen abgelehnt worden. Die beiden weigerten sich, obwohl aufgrund vieler Präzedenzfälle ihre freiwillige Stimmenthaltung zwingend gewesen wäre. Der Antrag, die beiden wegen Befangenheit per Votum des Plenums von der Abstimmung auszuschließen, wurde erst gar nicht zugelassen.

Unidas Podemos wird den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Auch der PSOE berät darüber, wie innerhalb des spanischen Rechtssystems oder auf europäischer bzw. internationaler Ebene gegen die Aushebelung der Gewaltenteilung in Spanien vorgegangen werden kann. Das alles kümmert die spanische Rechte (außer dem PP die faschistische Partei VOX) wenig. Sie setzt darauf, die Erneuerung der Rechtsorgane weiterhin zu blockieren und spätestens nach den nächsten Wahlen mit neuen Mehrheiten die Karten neu zu mischen.

Titelbild: Mehaniq/shutterstock.com

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