
Seit Jahren gleicht der 1. April einem öffentlichen Test, wie viel Absurdität sich mittlerweile in unsere Realität eingeschlichen hat. Fast wäre ich darauf hereingefallen, dass Christine Lambrecht durch Sawsan Chebli ersetzt werden soll – die Meldung erschien mir einfach so absurd, sie passte haargenau zum regierungsinternen Wettbewerb, Ministerposten möglichst unpassend zu besetzen. Interessant auch die Nachricht, künftig könnten schon böse Blicke strafrechtlich verfolgt werden. Natürlich nicht, wenn sie gesellschaftliche Parias treffen, die sich eine unpassende Meinung bezüglich des gerade aktuellen Themas zugelegt haben – in diesem Fall sind böse Blicke selbstverständlich großzügig anzuwenden. Auch das läge inzwischen im Bereich des Möglichen, also geriet ich sekundenlang in Panik. Wahrscheinlich würde ich sofort bis an mein Lebensende nach Guantanamo verfrachtet, böse gucken kann ich richtig gut.
Als dann aber die Schlagzeile der „Spiegel”-Kolumne von Sabine Rennefanz auf meinem Handy aufploppte, glaubte ich tatsächlich an einen Aprilscherz: „Was wir von der DDR lernen können!“ – dahinter konnte doch nur Satire stecken, oder? Also stellte ich mich auf einen ironischen Text ein. Allerdings wurde ich enttäuscht: Die Autorin meint alles Geschriebene bierernst. Nicht nur Hubertus Knabe war da fassunglos.
(Screenshot:Twitter)
Es geht wie immer um das Thema Konsumverzicht, zu dem wir seit Jahren penetrant aufgefordert werden: erst, um den „Klimawandel abzuwenden” und jetzt, weil durch die Ukraine-Krise Versorgungsengpässe drohen. Teilweise auch deshalb, weil Deutschland einmal wieder seine vorbildliche Haltung vor aller Welt beweisen will. Was diesen verwöhnten Ideologen – neben Humor – vollkommen abgeht, ist die Fähigkeit zu unterscheiden, ob jemand freiwillig verzichtet oder dazu gezwungen ist.
Wenn mein Konto gut gefüllt ist und die Geschäftsregale ebenso, steht mir jederzeit ein Hintertürchen offen. Man kann sich dann mal „was gönnen”, weil man schließlich artig ein paar Wochen „Konsumfasten“ betrieben hat. Auch wenn man dazu mit Sonnenbrille und hochgeschlagenem Kragen in den Feinkostladen schleicht. Aber der Feinkostladen ist da und steht zum Einkauf zur Verfügung. Auch in mancher Religion kennt man den zeitlich begrenzten Verzicht: Als Jude ist man glücklich, wenn man nach dem Pessachfest wieder ein normales Brötchen essen darf, während uns die christliche Fastenzeit die schwäbische Maultasche beschert hat. Der Mensch verzichtet nicht gerne auf seine kleinen Freuden.
Not macht bekanntlich erfinderisch. Wenn „Spiegel”-Autorin Rennefanz die DDR für ihre schlichten, unglamourösen Verpackungen feiert, dann vergisst sie vollkommen, dass mancher DDR-Bürger auch gerne einmal eine quietschbunte Schachtel besessen hätte – unsere Bekannten etwa sammelten Waschmittel-Verpackungen. Die Designer im real existierenden Sozialismus mussten sich allerdings stets etwas einfallen lassen, um aus kargen Mitteln das Mögliche herauszuholen. Ebenso die Bürger, meine Verwandten in Sachsen stellten im Wohnzimmer Wein selbst her. Aber auch wer heute nur ein geringes Einkommen hat, wird garantiert nicht zum Vertreter der Wegwerfkultur. Wenn die Kleidung kaputt ist, dann greift man nicht zu Nadel und Faden, weil man nachhaltig leben will, sondern damit man überhaupt noch etwas im Schrank hat.
Salonsozialismus jenseits der Lebensrealität
Der heute propagierte Salonsozialismus geht dermaßen an der Lebensrealität der tatsächlich Arbeitenden vorbei, dass man am liebsten irgendwo einen „DDR-Erlebnispark” eröffnen möchte, in dem die Damen und Herren ein paar Wochen überleben müssten. Schon der Verzicht auf das Internet, in dem man die eigenen Anti-Konsum-Botschaften propagieren kann, würde sie in den Wahnsinn treiben. Den Mangel an glutenfreiem Brot und Bio-Schafskäse könnte man gewiss eine Weile überstehen, aber nicht das Fehlen jeglicher Möglichkeit, die Menschheit von diesem Verzicht ausführlich zu informieren. Öffentliche Selbstkasteiung bringt nur vor Publikum das höchste Maß an Genuss ein. Insofern unterscheidet man sich nicht vom C-Promi, der im Big-Brother-Haus hockt und uns an seinen menschlichen Abgründen teilhaben lässt.
Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen. Brauche ich etwas wirklich – oder will ich es nur, weil es schick ist oder meinen (vermeintlichen) Status hebt? Und was sagt mein Bankkonto dazu… muss ich eventuell Schulden machen, die ich nicht mehr loswerde? Aber das ist eine individuelle Entscheidung, die sich bei den meisten Menschen auf ein gesundes Mittelmaß einpendelt. Vom psychologischen Standpunkt aus sind weder penetrante Produktwerbung noch ständig wiederholte Verzichtspredigten zielführend: Man ist genervt und will es nicht mehr hören.
Bisher wurde uns dieser Verzicht um „edler“ Ziele willen aufgeschwatzt, aber wenn nun auch noch die DDR als Vorbild dienen soll, gehen bei mir erst recht alle Alarmglocken an: Da kommen Zwang und Eingesperrtsein ins Spiel – die Autorin verrät damit gleichzeitig zwischen den Zeilen, wie weit man gehen würde, um die eigene Ideologie unters Volk zu bringen. Schaut man sich nun noch an, wie rabiat dieses Milieu Andersdenkende behandeln will – soll Bautzen vielleicht auch reaktiviert werden? – steuern wir auf die nächste sozialistische Katastrophe zu.
Sie können es eben nicht lassen. Und wenn wir dann irgendwann einen heruntergewirtschafteten Staat wieder aufbauen müssen, werden sie trotzdem weiter vom funktionierenden Sozialismus fantasieren. Man ist es eben wieder nur falsch angegangen. Beim nächsten Mal klappt es – ganz bestimmt!
The post „Spiegel“-Sehnsucht nach der DDR: Leider kein Aprilscherz first appeared on Ansage.