Horst D. Deckert

Spott & Hohn: 19 Minuten Miteinander

Zeichensetzer mit Haltung überall (Foto:Imago)

Seit Jahren schon behaupte ich, daß in Deutschland eine schlimme Zerebralseuche grassiert. Es handelt sich um die Zeichensetzerei. Jeden Tag wollen irgendwelche Leute Zeichen setzen. Es ist nur noch zum Schreien. Wo du auch hinschaust: Zeichensetzer und ihre gesetzten Zeichen allüberall.

In einer bayerischen Regionalzeitung erschien nun im Lokalteil eine Veranstaltungsankündigung, die nur noch Realsatire ist. Mit „19 Minuten Miteinander“ ist sie überschrieben. Im Teaser dann: „ANDACHT Christen möchten am Montag ein Zeichen für den Frieden setzen.“ – das ist schon sehr nett von den Christen, daß sie am Montag ein Zeichen für den Frieden setzen möchten. Noch netter ist es, daß die Lokalzeitung schon am Samstag in einem eigenen Artikel darauf hinweist, daß die Christen am Montag ein Zeichen für den Frieden setzen „möchten“ – und zwar exakt 19 Minuten lang. Es handelt sich wahrscheinlich um eines dieser besonders kleidsamen 19-Minuten-Zeichen, welches sie am Montag derartig dringend setzen möchten, daß man im Städtchen schon am Samstag wissen muß, was sie wieder vorhaben. Da möchte der Christenmensch gar keine anderen Zeichen mehr setzen. 19 Minuten sind genau richtig für den Frieden.

In schwierigen Zeiten ein gemeinsames Zeichen für den Frieden setzen möchten die evangelische, katholische und neuapostolische Kirche in ****, die **** und die Landeskirchliche Gemeinschaft.“ – yeah, je mehr Zeichensetzer, die – wichtig: „gemeinsam“ – ein Zeichen für den Frieden setzen möchten, desto wirkmächtiger wird das gesetzte Zeichen dann auch „gemöchtet“ worden sein. „Sie alle laden …“ – „gemeinsam“ vergessen! – „… deshalb für Montag, 24. Januar, um 19 Uhr unter dem Motto ’19 Minuten Miteinander‘ in die Kirche **** ein ‚zum Innehalten, zum Gedenken und Gebet‘.“ Foto dazu, Bildtext: „Die Kirche **** ist am Montag Schauplatz der Andacht„. Im Bundestagswahlkampf 2009 habe ich neben der Autobahn 3 in der Gegend von Friedberg ein Wahlplakat der CDU gesehen, Slogan: „Für ein neues Miteinander“. 2022 sind die Resultate der Absicht von damals zu besichtigen. Das „neue Miteinander“: Miteinander gegeneinander. Genauer: Miteinander gemeinsam gegeneinander. Zusammen auch. Ganz Deutschland ist ein einziger Schauplatz des neuen Miteinanders geworden.

Selbstgebastelte Illusion

Im Vorfeld der Zusammenkunft …“ – alter Schwede: Früher kannte man des Vorfeld des Flugplatzes, heute kennt man schon das Vorfeld des Schauplatzes der Andacht – „… erklären hierzu Dekanin ****, Pfarrer Dr. ****, ****, **** und ****: ‚Als Christinnen und Christen“ – ok, als geschlechtsemanzipatorische Christenmenschen also – „… in und um **** sind wir dankbar, daß wir in unserem Land in Freiheit und Frieden leben dürfen„. Es ist ein Wahnsinn: erst wollen die „Christinnen und Christen“ nicht erkennen, daß sie mitnichten noch in einem Land der Freiheit leben, als nächstes beanspruchen sie wahrscheinlich für sich, daß sie es dennoch glauben dürfen, und dann sind sie auch noch dankbar dafür, daß sie in ihrer selbstgebastelten Illusion leben dürfen. Da bleibt ihnen logischerweise kaum etwas anderes übrig, als ein 19-Minuten-Zeichen zu setzen. Miteinander.

Tatsächlich ist es so: Mehr gehorsames Untertanentum geht nicht – und die Untertanen in ihrem „Göttinnen- oder Gottglauben“ („grad wie man ihn nennen möchte“ – Katrin Göring-Eckardt) wollen dennoch ein Zeichen setzen. Meine Prognose: Wenn es eine Veranstaltung gibt, bei der sich keine Versammlungsbehörde überlegt, mit welchen fadenscheinigen Argumenten sie die verbieten könnte, dann ist es eine, welche im „Vorfeld des Schauplatzes der Andacht“ zum Zwecke der Zeichensetzerei „angedacht“ wurde. „Wir beten, daß dieses hohe Gut (Anm.: Freiheit und Frieden) erhalten bleibt„. Da sagt der Experte: Ein Gebet ist ein schön gesetztes Zeichen für den Wunsch, weiterhin in seiner Illusion leben zu dürfen. Allerdings offenbart die von den „Christinnen und Christen“ gewählte Formulierung, daß auch bei ihnen bereits wenigstens eine Ahnung davon angekommen zu sein scheint, wie sehr  Freiheit und Frieden gefährdet sein könnten. Das ändert aber nichts daran, daß „Gefahr“ sich immer auf einen zukünftigen Zustand bezieht, und daß die „Christen und Christinnen“ der Zeichensetzerkirche deswegen arg spät dran sind. „Wir sind nicht unkritisch gegen politischen Entscheidungen, sondern wache und aufmerksame Zeitgenossinnen und Zeitgenossen“ – wobei schon das „Christinnen und Christen“ sowie das „Zeitgenossinnen und Zeitgenossen“ die Behauptung Lügen straft, „wach“ zu sein, es sei denn, das „wach“ hätte im erweiterten Sinne als eine Erscheinungsform von „Wokeness“ verstanden werden sollen.

Verspätete Christen der Zersetzerkirche

Gerade deshalb halten wir die derzeitigen Maßnahmen – Abstand halten, Maske tragen und sich impfen lassen, sofern nicht medizinische Gründe dagegensprechen – für dringend geboten. Denn wir wollen so bald wie möglich aus dieser Situation herauskommen, die unser Leben einengt und gefährdet.“ – womit wir dann beim Kardinalproblem – ein schönes Wort, gerade in klerikalen Zusammenhängen- wären. Der „gute Glauben“ an den Wert einer Selbstbespiegelung mit dem Resultat „zeichensetzungsqualifiziert“ ersetzt nicht die Notwendigkeit, sich jeden Tag neu zu informieren und sich zu fragen, ob noch stimmt, was man zu wissen glaubt. Und es ist einfacxh gelogen, wenn man behauptet, man sei „politischen Entscheidungen“ gegenüber „kritisch eingestellt“, wenn an im nächsten Atemzug behauptet, „gerade deshalb“ halte man die „derzeitgien Maßnahmen“ für sinnvoll. Außerdem ist es von nationaler Arroganz, da zwingend die Behauptung damit einhergeht, daß die „politischen Entscheidungen“ in anderen Ländern von ausgesprochenen Dummköpfen getroffen werden, was dann wiederum zu der Frage führen müsste, welche Zeichen die „Christinnen und Christen“ in anderen Ländern auf dem „Vorfeld des Schauplatzes der Andacht“ setzen sollen. Nein, es ist gerade die selbstgefällige Ignoranz der „Christinnen und Christen auf dem Vorfeld des Schauplatzes der Andacht“ in einer bayerischen Kleinstadt, die verhindert, daß „unser Leben“ nicht länger mehr „eingeengt und gefährdet“ ist.

Jedenfalls geht es am Montag, 24. Januar, um 19 Uhr – dann also, wenn das Vorfeld überwunden – und die Kirche zum Schauplatz der Andacht geworden sein wird – um eine „ökumenische Andacht mit Stille, leiser Musik, Worten zum Frieden, Gebet und Segen„, bei der angeblich „alle willkommen“ sind, um – na ja – ein Zeichen zu setzen. Wer sich an der Zeichensetzerei beteiligen will, die für dieselbe Uhrzeit angesetzt wurde, zu der sich vor genau dieser Kirche die Montagsspaziergänger versammeln, der wird in dieser Kirche „auch mit dem nötigen Abstand und mit Mund-Nasen-Schutz genügend Platz finden„. Das ist eine evangelische Kirche und rein mengenmäßig ist die Gemeinde der Evangelischen nicht mehr so besonders kirchgangfreudig. Deshalb werden in der Kirche auch „viele Menschen genügend Platz finden“, und zwar „gleich welcher Religion, Konfression“ und „Weltanschauung“. Daß es sich dabei um eine hinterfotzige Einmischung der Kirche in politische Angelegenheiten ganz im Sinne jener Regierung handeln könnte, der gegenüber man angeblich „nicht unkritisch“ eingestellt ist, wird im „zeitlichen Vorfeld des räumlichen Schauplatzes der politisierten Andacht für den Erhalt von Freiheit und Frieden“ prophylaktisch schon einmal bestritten. Die Dekanin: Keinesfalls, also „absolut nicht„, wolle man „einen Beitrag zur Polarisierung leisten„. – Logo. Vor allem an einem Montag um 19 Uhr nicht. Da kann man eigentlich nur noch sagen: Wer am Montag um 19 Uhr auf dem Vorfeld des Schauplatzes der Andacht eintrifft, möge sich noch einmal überlegen, wo er tatsächlich ein Zeichen setzen könnte für „Freiheit und Frieden“. Wenn er schon einmal da ist und es mit seiner Zeichensetzerei ernstmeint, dann soll er sich für den Spaziergang entscheiden und den Schauplatz der scheinheiligen Andacht links liegen lassen.

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