Reporter und Aktivist Christian Rüegg hatte noch vor wenigen Tagen gemeinsam mit Mass-Voll! und den Freiheitstrychlern für heute zu einer weiteren Demo gegen die Massnahmen auf dem Bundesplatz aufgerufen. Doch dazu soll es nun doch nicht kommen. Der Grund: Die Lage sei zu gefährlich. In seinem Telegram-Kanal «StandPunkt» schreibt er:
«Wir, die Freiheitstrychler und Mass-Voll!, ziehen uns vom Aufruf zur Kundgebung am Donnerstag, dem 23. September 2021, zurück. Der Grund ist, dass wir weder die Sicherheit der Freiheitstrychler noch die der Kundgebungsteilnehmer garantieren können.»
Wie angespannt die Lage ist, erklärte Rüegg in einem kurzen Video, das er auf seinem Telegram-Kanal am Mittwoch teilte. Es gebe handfeste Morddrohungen, die man ernst nehmen müsse:
«Aus diesem Grund sehe ich mich in der Verantwortung, diese Kundgebung abzusagen. Ich kann aus moralischen Gründen nicht mehr dahinterstehen. Ich könnte nicht damit leben, wenn es morgen einen Todesfall geben würde.»
Rüegg wurde bereits letzte Woche an der Demo vor dem Bundeshaus durch einen Gegendemonstranten der radikalen Szene verletzt. Die Verletzungen sind noch immer deutlich sichtbar.
Tatsächlich ruft ein Sympathisant der radikalen Szene mit dem User-Namen «Claus John» öffentlich zu Waffengewalt gegen Kundgebungsteilnehmer auf. Laut eigenen Angaben gehört «Claus John» dem linksextremistischen «schwarzen Block» an.
Der «schwarze Block» setzt sich gemäss dem Politologen Mark Balsiger aus apolitischen, gewalttätigen Krawallmachern im Alter zwischen 16 und 20 Jahren zusammen. Die Bundespolizei hat die Szene seit Jahren im Auge.
Andreas Benz von den «Freiheitstrychlern» fand dieses Schreiben in seinem Postfach:
Das Wort «debil» findet man sowohl im Telegram-Post von «Claus John» als auch im Schreiben an Andreas Benz. Ein möglicher Zusammenhang müsste durch die Polizei und die zuständige Staatsanwaltschaft aufgeklärt werden. Ob diese ihrer Aufgabe nachkommen, werden wir zu einem späteren Zeitpunkt in Erfahrung bringen.
Bürgerrechtsbewegung solle Zaun schützen
Rüegg weiss aus sicheren Quellen, dass auch Stich- und Wurfwaffen im Spiel sein werden:
«Auch die Polizei wird bestimmt radikal durchgreifen. Sie werden Personenkontrollen machen, Wegweisungen aussprechen und es wird Anzeigen geben.» Dies sei zwar rechtswidrig und widerspreche dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Aber: «Es ist nur eine Frage, unter welchen Bedingungen man sich dieses Recht erkämpfen will.»
Er könne die Menschen nicht ins offene Messer laufen lassen. Zudem habe der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, Reto Nause, klar gemacht, dass er die Sicherheit an der Demo nicht garantieren könne.
Das seltsame Spiel von Nause
Michael Bubendorf, Mediensprecher des Vereins «Freunde der Verfassung», berichtet über die Details aus den Verhandlungen zwischen der Sicherheitsdirektion und den Organisatoren der Demo, die am Dienstag stattgefunden haben. Nebst dem Sicherheitsdirektor Reto Nause nahmen auch Vertreter der Kantonspolizei und der Bürgerrechtsbewegung teil: Unter anderem war auch Nicolas A. Rimoldi von der Jugendbewegung «Mass-Voll!» dabei. Das Sitzungsprotokoll liegt Corona-Transition ebenfalls vor.
Bubendorf berichtet:
- «Die Teilnehmer der Kundgebung sollen den Zaun ‹schützen›. Der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern ist sich offenbar nicht bewusst, dass in der Schweiz das Gewaltmonopol bei den Staatsorganen liegt. Mit welchen Mitteln die Organisatoren einer Demo gegen randalierende Gegendemonstranten vorgehen sollen, darüber schweigt sich die Sicherheitsdirektion aus und präzisiert einzig, dass ‹keinerlei Hunde› zum Einsatz kommen dürfen.
- Die Sicherheitsdirektion fordert weiter ein Moratorium für weitere Kundgebungen bis einschliesslich 22. Oktober 2021.
- Weiter geht es im Stil eines Kamel-Bazars: nach Ablauf des Moratoriums darf bis zur Abstimmung nur noch eine weitere Kundgebung stattfinden, schreibt der Generalsekretär der Sicherheitsdirektion im Protokoll.
- Abschliessend wird versprochen, das Engagement in der Öffentlichkeit positiv zu würdigen.»
Man sei sich in der Bürgerrechtsbewegung hingegen einig, dass man gegen gewaltbereite Aktivisten aus der radikalen Szene nicht vorgehen könne. Das könne einzig die Polizei, habe Nicolas A. Rimoldi folgerichtig klar gemacht und das Protokoll deshalb zurückgewiesen.
Mit einem Tweet erklärte Rimoldi auch, dass sich «Mass-Voll!» von einer möglichen Demonstration am Samstag in Bern distanziert. Auch Alex Baur von der «Weltwoche» hat über das kuriose Verhalten der Berner Regierung berichtet: «Demos auf dem Bundesplatz: Jahrelang liess Bern die Chaoten von der Reitschule gewähren – beim Bürger-Protest will sie hart durchgreifen.»
In den Augen von Michael Bubendorf ist Nause inzwischen zum «Unsicherheitsdirektor» mutiert.
«Spätestens hier mutiert Reto Nause zum ‹Unsicherheitsdirektor›. Er möchte unbedingt, dass die Demo stattfindet. Er möchte unbedingt seinen Zaun hinstellen. Und er möchte unbedingt sein Gewaltmonopol an die Freiheitstrychler abtreten.»
Der Mediensprecher der Verfassungsfreunde machte auch darauf aufmerksam, dass Nause am Dienstagabend nicht weniger als dreimal bei Nicolas A. Rimoldi angerufen habe. Dies mit dem Ziel, ihn von seinen Bedingungen zu überzeugen. Bedingungen, die nur die Totaleskalation zum Ziel haben können. Auch weitere Sitzungsteilnehmer hätten nächtliche Anrufe von Nause erhalten.
Andreas Benz wurde von Reto Nause nach der Sitzung nicht weniger als achtzehn Mal angerufen – auch mitten in der Nacht. Offensichtlich bereitet die abgesagte Demo dem «Unsicherheitsdirektor» schlaflose Nächte.
Zur Erinnerung: Nach den Rangeleien vor dem Bundeshaus letzte Woche sprachen Politik und Medien von einem «möglichen Sturm auf das Bundeshaus». Mit diesen Worten zitierten die Boulvardzeitung Blick und die Berner Zeitung Reto Nause. Sie machten unter anderem auch Bundesrat Ueli Maurer dafür verantwortlich, weil er «mit einem Trychler-Hemd» provoziert habe (wir berichteten).
Bubendorf schrieb über den «möglichen Sturm auf das Bundeshaus»: «Gemeinderat Reto Nause brachte den Mythos von einem ‹möglichen Sturm auf das Bundeshaus› mit einem Tweet in Umlauf. Im bekannten Zitate-Karussell wurden in einer Weise Fakten geschaffen, die im staatlich-medialen Komplex zum Alltag gehören. Der Rest – so hätte man denken können – ist Geschichte. Falsch gedacht.» Wenn ein Regierungsmitglied zur Durchführung einer Demonstration aufrufe, sei dies zumindest kurios, so Bubendorf.