
Von URSULA STENZEL | Ein erstes Aufatmen in der Ukraine-Krise ist spürbar in den Kabinetten von Washington bis Paris, Berlin und Kiew. Der Verhandlungsmarathon hat sich offenbar ausgezahlt, wobei bemerkenswert ist, dass Putin das Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Scholz dazu benützte, vor der Weltpresse klar zu machen, dass er Verhandlungslösungen anstrebe und keine militärisch Aktion und dieses dadurch unterstrich, dass das Treffen von einem Teilabzug russischer Truppen begleitet wurde. In der Dramaturgie der diplomatischen Inszenierung nahm also Scholz die führende Rolle ein und nicht Macron. Dies hat nicht nur mit dem Prinzip ‚Divide et Impera‘ – teile und herrsche – zu tun, sondern vor allem mit handfesten wirtschafts- und energiepolitischen Interessen.
Putin bietet Deutschland fünf Mal billigeres Gas an
Putin geht es darum, den Deutschen und Europa über Northstream 2, zusätzliches Erdgas zu liefern. Er betonte, dass Russland dies fünf Mal billiger täte, als alle anderen, er vermied es die USA beim Namen zu nennen, die ihre aus Fracking gewonnenen Erdöl und Flüssiggasüberschüsse über zusätzliche zwei Terminals in Niedersachsen und Schleswig- Holstein an Deutschland verkaufen möchten und Northstream 2 zwei am liebsten nie in Betrieb sehen möchten. Das taten sie bereits unter Trump und das tun sie auch unter Biden.
Wie mir ein Insider der Börse sagte, ginge es Biden längst nicht mehr um die Ukraine, für die er – das machte er deutlich – keinen Weltkrieg riskieren würde – es geht ihm ausschließlich um den Verkauf technisch aufwendig und teuer gewonnenen Erdöls.
Die Ukraine kann einem fast schon leidtun. Denn durch den Betrieb von Northstream 2 würde die durch die Ukraine führende Pipeline überflüssig, und der Ukraine würde eine wichtige Einnahmequelle entgehen. Ganz abgesehen davon, dass die Ukraine immer wieder illegal diese Pipeline angezapft hat.
Northstream 2, dessen Röhren in Mecklenburg-Vorpommern direkt an der polnischen Grenze aus dem Boden ragen und nur mehr der Montage der Druckventile harren, ist nicht nur eine Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses, es ist auch ein Prüfstein für die deutsch-russischen Beziehungen und nicht zuletzt eine Zerreißprobe für die deutschen Sozialdemokraten, also eine schwere Belastung für Kanzler Scholz. Denn ausgerechnet sein Vorgänger Gerhard Schröder ist Putins bestes Pferd im Stall, der Macher und Umsetzer von Northstream 2, fürstlich bezahlt von dem staatlichen russischen Energiegiganten Gazprom, in dessen Aufsichtsrat er kommenden Juni ziehen wird. Genossen in der SPD überlegen aus diesem Grund sogar einen Parteiausschluss Schröders. Es war auffallend, welche Lobeshymne Putin während der gemeinsamen Pressekonferenz auf Schröder hielt, der sich ja auch mit der Kritik an der Ukraine als Konflikttreiber nicht zurückgehalten hat. Scholz hingegen begnügte sich nur mit eine knappen Satz: Schröder sei ein Privatmann, dessen Äußerungen kommentiere er nicht. Genauso zog er sich schon in den USA aus der Affäre. Zu einer Absage an Northstream2 ließ er sich nie hinreißen. Der Altkanzler ist für ihn zweifellos eine Belastung. Aber auf Northstream2 verzichten, auch das wäre dumm und eine Selbstbeschädigung. Abgesehen davon dürfte Schröder, der auch privat mit Putin befreundet ist, bei der Suche nach einem politische Ausweg eine nicht unbedeutende Rolle spielen.
Was ist also der sich abzeichnende Ausgang der wohl schwersten Krise für Europa nach dem Ende des 2. Weltkriegs?
Putin will weniger NATO Präsenz im Osten Europas
Putin wurde klar gemacht, dass der Preis für ein weiteres militärisches Eingreifen in der Ukraine ein sehr hoch wäre, nicht nur Northstream steht auf dem Spiel, sondern vor allem die Teilnahme an dem globalen Zahlungssystem Swift. Dafür hat der Westen, um auf diesen etwas obsoleten Begriff zurückzugreifen, klar gemacht, dass ein NATO Beitritt der Ukraine auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird. Gut so: Dafür wird die Ukraine großzügig entschädigt, vor allem von Deutschland. Natürlich muss dies alles noch in Form gegossen werden – Putin will es schriftlich und er will eine Reduzierung der NATO Streitkräfte im Baltikum und Polen.
Vorsicht ist allerdings angebracht: Denn 1. kann die Ankündigung des Teilabzugs auch nur ein Signal sein, um ein wenig Spannung aus dem Treffen mit Scholz zu nehmen und 2. weil das russische Parlament in einer Resolution von Putin forderte, er möge die abtrünnigen ukrainischen Provinzen im Osten der Ukraine als Volksrepubliken anerkennen – dies wäre ein glatter Bruch des Minsker Abkommens, dies hat Scholz klar gemacht und die Folgen eines Bruchs ebenso. In der gemeinsamen Pressekonferenz hat Putin diesen abenteuerlichen Vorstoß heruntergespielt und eine verklausulierte Absage erteilt. Und natürlich gibt nicht die Duma den Kurs vor, sondern Putin, der in dieser Krise alle Register zieht. Aber so unwillkommen war dieses Manöver der Duma für Putin auch nicht. Es zeigt eine Option auf. Der Nervenkrieg geht also weiter.
Ein Teilrückzug ist aber ein erster, wichtiger Schritt einer Deeskalation. Und die ist in der Krise um die Ukraine auch dringend nötig, denn diese Krise hat, wenn sie außer Kontrolle gerät, alle Ingredienzien für einen Weltkrieg, da sie bei einem Überschwappen auf Polen, Litauen und / oder die Türkei NATO Partner beträfe und damit der Bündnisfall einträte. Ein Szenario, das sich niemand vorstellen will und das unbedingt vermieden werden muss.
USA wollen ihr Gas nach Deutschland verkaufen
Eine Nichtinbetriebnahme von Northstream 2. wäre für Russland ein empfindlicher Verlust. Letztere könnte zur schmerzlichen Realität werden, für Deutschland ebenso wie für Russland, denn Russland könnte sein Erdgas nicht verkaufen und Deutschland wäre auf das viel teurere Flüssigerdgas aus den USA angewiesen. Die USA schwimmen in Öl und Ergas, das sie durch Fracking aus großen Tiefen gewinnen und verkaufen möchten. Wie mir ein Börseninsider sagte, dem US Präsidenten Biden gehe es in dieser schwersten Krise seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht um die Ukraine, sondern nur um den Verkauf des durch Fracking aus großen Tiefen gewonnenen amerikanischen Erdöls und Erdgases. Die USA drängen darauf, neben den Terminals in den Niederlanden auch einen zusätzlichen Terminal in Deutschland zu errichten um ihr teureres Erdgas anliefern zu können und der grüne Wirtschaftsminister Habeck ist auch bereit dies zu tun, Klimaneutralität hin oder her. Übrigens auch Präsident Biden hat im Wahlkampf Umweltschwüre geleistet und angekündigt dem umweltschädlichen Fracking den Kampf anzusagen. Aber was Northstream 2 anbelangt, konterkariert er es ebenso wie sein republikanischer Vorgänger Trump.
Wenn Scholz, der wohlinszeniert von Putin, ebenso wie Macron, weit entfernt am anderen Ende des Konferenztisches im Kreml Platz nehmen musste, klug ist, nimmt er beides: Russisches Erdgas über die faktisch betriebsfertige von seinem sozialdemokratischen Vorgänger und Ex-Kanzler Schröder lobbyierte Erdgaspipeline und amerikanisches Flüssiggas aus zwei neuen Terminals in Niedersachsen und Schleswig Holstein. Dass diese Terminals die ‚Grünen‘ entzweien, ist klar. Weltpolitik ist Energiepolitik, das hat die Ukrainekrise gezeigt und sie ist zwar entschärft, aber noch nicht bewältigt.
Zur Autorin:
Ursula Stenzel war von 1972 bis 1995 ORF Auslandsredakteurin, vielen Zuschauern der Zeit im Bild als Moderatorin bekannt, von 1996 bis 2005 Abgeordnete zum Europaparlament und Leiterin der ÖVP Delegation, von 2005 bis 2015 Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks in Wien, von 2015 bis 2020 Stadträtin für die FPÖ im Wiener Rathaus. Da sie nun unabhängig und parteiungebunden schreiben will, ist sie aus der Freiheitlichen Partei ausgetreten, der sie aber nach wie vor nahe steht. Stenzel schreibt regelmäßig auf ihren Blog ursula-stenzel.at.