Matilde Kimer ist eine der bekanntesten Reporterin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks DR in Dänemark. Erst im November dieses Jahres erhielt sie aus den Händen der Königin den „Ebbe Munck Award“, einen der renommierteste Journalistenpreis des Landes. Doch seit August 2022 darf sie nicht mehr in der Ukraine als Korrespondentin tätig sein. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU betrachtet sie als „prorussische Agentin“. Begründung? Sie hätte als Auslandskorrespondentin des DR jahrelang in Moskau gelebt und erst kürzlich ein Foto mit einer russischen Puppe auf Instagramm veröffentlicht. Vom SBU erhielt sie nun ein bezeichnendes Angebot: Neue Akkreditierung, wenn sie dafür auf Grundlage von SBU-Dokumenten “gute Geschichten über die Ukraine” veröffentlichen würde. Von Florian Warweg
Der Fall der dänischen Korrespondentin Matilde Kimer schlägt derzeit hohe Wellen, die allerdings die Berichterstattung in Deutschland erstaunlicher (?) Weise noch nicht erreicht haben. So zeigte sich Lars Løkke Rasmussen, der dänische Außenminister, besorgt über die Situation und erklärte, dass seine Aufgabe in seiner neuen Position (er wurde erst vor einer Woche ernannt) darin bestehe, “den ukrainischen Behörden klar zu machen, dass wir der Pressefreiheit große Bedeutung beimessen”. Die Präsidentin des Dänischen Journalistenverbandes (DJ) Tine Johansen nannte den Entzug der Akkreditierung “einen Schlag gegen die Pressefreiheit” und kritisierte das Vorgehen der ukrainischen Behörden scharf:
“Ich bin empört über diesen Angriff auf die freie Presse. Wenn ein Land darauf besteht, sich als Demokratie zu bezeichnen, muss es die Unabhängigkeit der Medien schützen. Wir alle brauchen dringend talentierte Journalisten, die unsere Augen und Ohren vor Ort in der Ukraine sind, und die ukrainischen Behörden müssen das natürlich respektieren.”
Ähnlich äußerte sich auch die Europäische Journalisten-Föderation (EJF), die sich den Worten von Johansen anschloss, die „Bedrohung für den unabhängigen Journalismus“ verurteilte und die Rücknahme des Akkreditierungsentzugs forderte. Der Chefredakteur für Außenpolitik des öffentlich-rechtlichen DR, Niels Kvale, nannte die ukrainischen Vorwürfe “völlig unbelegt und verrückt”. Auch die internationale Nachrichtenagentur Reuters berichtete bereits über den Fall.
Was war geschehen?
Matilde Kimer arbeitet seit 2006 als Journalistin in Russland, der Ukraine und Zentralasien und seit 2009 als Korrespondentin für den öffentlich-rechtlichen dänischen Rundfunk. Mehrere Jahre lebte sie als Russlandkorrespondentin des DR in Moskau. Im Juni 2022 beschloss der DR, wieviel andere westliche Medien auch, mit Kimer ein Korrespondentenbüro in Kiew zu eröffnen. Die dänische Journalistin pendelte ab diesem Zeitpunkt zwischen Kiew und Moskau. Am Morgen des 1. August wurde Matilde Kimer bei ihrer Ankunft auf dem Moskauer Flughafen Vnukovo ein Dokument ausgehändigt, in dem stand, dass ihr die Einreise in die Russische Föderation “aus Sicherheits- und Verteidigungsgründen” für zehn Jahre verweigert und sie umgehend abgeschoben werde. Sie wurde dann an Bord eines Flugzeugs nach Istanbul gebracht.
Drei Wochen später, am 22. August, erhielt die dänische Reporterin von der Presseabteilung der ukrainischen Streitkräfte eine Mail, in der ihr erklärt wurde, dass ihre Akkreditierung „gemäß der Aufforderung des Sicherheitsdienstes der Ukraine“ aufgehoben sei. Weiter begründet wurde dies in der Mail nicht:
Quelle des Screenshot: dr.dk/nyheder/udland/drs-matilde-kimer-maa-ikke-laengere-arbejde-i-ukraine-beskyldt-lave-russisk
Nach eigener Darstellung hakte sie umgehend beim Pressesprecher des SBU, Artem Dekhtyarenko und dem Verteidigungsministerium nach, erhielt aber über Monate keine Antwort. Kimer appellierte daraufhin an das dänische Außenministerium und die dänische Botschaft in Kiew. Die Mitarbeiter der Botschaft kontaktierten den SBU und arrangierten ein Treffen zwischen der Journalistin und dem ukrainischen Inlandsgeheimdienst. Das Treffen im SBU fand am 8. Dezember statt, begleitet wurde Kimer von zwei Vertretern der dänischen Botschaft. Laut Kimer fragte sie ein SBU-Offizier namens Oleg, unter anderem warum sie in ihrer Tätigkeit als Ukraine-Korrespondentin nach Transnistrien und Russland gereist sei.
SBU findet Reisen der Auslandskorrespondentin verdächtig
“Sie fragten mich auch, warum ich auf die Krim gereist bin”, erklärt die dänische Reporterin in einem Gespräch mit dem ukrainischen Medienportal Zaborona und führt dann weiter aus:
“Ich habe während der Annexion von der Krim berichtet und bin am Jahrestag der Annexion über Russland dorthin gefahren – aber dies war, bevor die Ukraine ein Gesetz verabschiedet hatte, das die Einreise auf die Krim durch Russland verbietet. Ich wurde auch gefragt, warum ich in die “LPR” (“Volksrepublik Luhansk”) und “DPR” (“Volksrepublik Donezk”) gereist bin. Ich antwortete, dass ich als Journalistin gearbeitet habe und darüber berichtet habe, was dort passiert. Nach Meinung des SBU bedeutete dies, dass ich mit den Besatzern zusammenarbeitete”.
Während ihres Treffens so Kimer, wurde ihr zudem mitgeteilt, dass man im SBU der Ansicht sei, ihre Abschiebung aus Russland sei nur ein “Deckmantel” für ihre Aktivitäten, “russische Narrative” zu fördern. Manche ihrer Veröffentlichungen in den Sozialen Medien sähen laut SBU so aus, als würde sie mit Russland sympathisieren. Als Beispiel wurde ein Facebook-Post aus dem Jahr 2015 von der Krim verwiesen. Sie hatte damals auf Facebook eine Reihe von Fotos veröffentlicht, darunter ein Bild mit tanzenden Frauen. Auf einem Banner im Hintergrund dieses Fotos kann man die Aufschrift „Krimfrühling“ lesen:
Neue Akkreditierung bei wohlwollender Berichterstattung
Was dann nach Darstellung der dänischen Journalistin zu Ende des Gesprächs mit dem SBU erfolgte ist wohl bezeichnend für das aktuelle Verständnis von „Pressefreiheit“ in der Ukraine:
“Am Ende des Treffens fragte ich, wie Vertrauen wiedererlangen könne, und der SBU-Offizier sagte, dass er ernsthafte Argumente brauche, um meinen Fall zu überdenken. Er schlug vor, dass ich “gute Geschichten über die Ukraine” mache und einige SBU-Dokumente verwende, die mir helfen könnten, solche Geschichten zu verfassen”.
Matilde Kimer lehnte diesen Vorschlag vehement ab. Ihr Arbeitgeber DR zitiert sie mit folgenden Worten:
„Als unabhängiger Journalistin werde ich keine Geschichten mit Material präsentieren, das von jemand anderem als mir selbst produziert wurde. Ich kann nicht an meinem Schreibtisch in einem DR-Länderbüro sitzen und Propaganda für irgendeinen Geheimdienst posten. Auch nicht für den ukrainischen.“
Das bereits zitierte ukrainische Portal Zaborona (finanziert unter anderem von der Open Society Foundation, Free Press Unlimited und National Endowment for Democracy), welches die bisher umfangreichste Recherche zur Causa Kimer vorgelegt hat, befragte auch ihren bisherigen ukrainischen Übersetzer, Ivan Kravtsov, zu dessen Einschätzung. Laut ihm seien die Probleme Kilmers darauf zurückzuführen, dass sie viele Jahre in Moskau gearbeitet und “umstrittene” Beiträge in den sozialen Medien veröffentlicht habe – Fotos aus Russland:
“Ich denke, es gab ein Problem mit der Kommunikation, und der SBU hat überreagiert. Schließlich macht die Tatsache, dass Matilde in Moskau gearbeitet hat, weil sie eine Auslandskorrespondentin ist, sie nicht zu einer russischen Spionin. Früher durfte sie Petro Poroschenko [während seiner Präsidentschaft], Außenminister Dmytro Kuleba, interviewen und war in Volodymyr Zelenskyys Journalistenpool – es ist unwahrscheinlich, dass die Geheimdienste ihren Hintergrund vorher nicht überprüft haben. Sie hatten keine Beschwerden, und dann ziehen sie plötzlich Schlussfolgerungen über ihre Ansichten, basierend auf einem Instagram-Foto mit einer russischen Puppe mit einer ironischen Beschriftung in dänischer Sprache, die sie nicht verstehen.“
Doch trotz aller hochrangigen Proteste und Beteuerungen von Kimer bleiben die offiziellen ukrainischen Stellen bei ihrem Entschluss und verteidigen den Entzug der Akkreditierung weiterhin. Erst am 20. Dezember erklärte der ukrainische Botschafter in Dänemark, Mykhailo Vydoinyk, öffentlich:
„Matilde Kimer hat dreimal gegen unsere Gesetze und Reisevorschriften verstoßen (…) Leider haben wir unter den Journalisten Beispiele russischer Agenten gesehen, die die Positionen der ukrainischen Armee teilten. Daher müssen wir tiefer graben und alles überprüfen. Wir sind im Krieg, Leute, das ist echt.“
Titelbild: shutterstock / SkazovD