Wir sind stolz auf unseren heutigen medizinischen Fortschritt. Doch es gibt unzählige Zeugnisse einer vorzeitlichen Heilkunst, die den Vergleich mit unserer Zeit nicht zu scheuen braucht.
Da gab es „Rituale“ im alten Ägypten, die sich als Anwendungen moderner Notfallmedizin erwiesen. Ähnliches beherrschten auch die Ureinwohner der Kanarischen Inseln.
An steinzeitlichen Schädeln findet man Bohrungen, wie sie heute zum Einsetzen von Elektroden für Gehirnschrittmacher gebräuchlich sind, und bei einigen Exemplaren findet man sogar die Spuren perfekt eingeheilter Transplantate.
Woher aber stammt dieses revolutionäre Wissen, das schon in grauer Vorzeit Anwendung fand?
Auszug aus dem Buch „Steinzeit-Medizin: Unmögliche Operationen in der Vorzeit
Meisterstücke altsteinzeitlicher Gehirnchirurgie
Dafür, dass es sich bei der Schädeltrepanation um eine der kniffligsten Operationstechniken handelt, gibt es sie bereits unfassbar lange. Um zu den ersten Anfängen zu kommen, wird man zeitlich bis in das obere Jungpaläolithikum – also in die ausgehende Altsteinzeit vor etwa 17.000 bis 12.000 Jahren – zurückgehen müssen.
Eine der ältesten derzeit bekannten Trepanationen kennen wir aus dem nordafrikanischen Raum. Ein Schädel, ausgegraben in der epipaläolithischen Nekropole von Taforalt im östlichen Marokko, wird auf ein Alter von nicht unter 12.000 Jahren datiert.
In etwa gleichalte Funde dieser Art machte man nach Angaben russischer Archäologen bei Ausgrabungen im Gebiet von Dnjepr. Die Anfänge der dort entdeckten Stätten sollen gleichfalls um etwa 10.000 v.Chr. liegen.
Den erwähnten „Schädel von Taforalt“ hatte man in der 1908 entdeckten „Grotte des Pigeons“ ausgegraben, welche sich nordwestlich der unweit von der algerischen Grenze gelegenen Stadt Oujda befindet. Unter den mehreren hundert Fossilien menschlichen Ursprungs, die man dort im Laufe mehrerer Ausgrabungskampagnen fand, nimmt er wirklich eine herausragende Stellung ein.
Dieses nach aktuellem Wissensstand älteste Beispiel chirurgischer Eingriffe zeigt bereits sämtliche Merkmale einer perfekt gelungenen Operation an einem lebenden Menschen. Die Knochenränder sind ohne jedes sichtbare Anzeichen für Komplikationen vernarbt und die Neubildung des Knochengewebes an jener Stelle ist weit fortgeschritten. Man tut sich schwer mit der Vorstellung, dass es keine Sepsis, keine Infektion gegeben hat. Jener vorzeitliche Operateur muss wirklich ein Meister seines Faches gewesen sein, hat doch der Patient diesen Eingriff auf längere Sicht überlebt.
In der Jungsteinzeit, die je nach geographischem Raum sowie dem dort herrschenden Entwicklungsstand vom 7. bis zum 2. vorchristlichen Jahrtausend angesetzt wird, erlebte diese Art der Schädelchirurgie dann ganz plötzlich einen ungeheuren Aufschwung. Die schiere Anzahl der Funde beweist, dass vor rund 5.000 Jahren Schädeltrepanationen beinahe an der medizinischen Tagesordnung gewesen sein müssen.
Im Jahre 1959 beschäftigte sich der deutsche Arzt Dr. Peter Hein mit der Häufigkeit und Verbreitung der Trepanation in der Vor- und Frühgeschichte Europas. Für seine Dissertation untersuchte er insgesamt 334 steinzeitliche Schädel. Damals schon gelangte Hein zu dem Ergebnis, dass stolze 73 Prozent diesen Eingriff überlebt hatten. In neueren Untersuchungen ist sogar die Rede von einer Überlebensrate von bis zu 88 Prozent.
Trepanationszentren
Bleiben wir zunächst noch im europäischen Raum, obwohl diese Operationstechnik buchstäblich als steinaltes Beispiel für den bei uns so strapazierten Begriff der Globalisierung stehen könnte. Von der Südsee bis nach Südamerika, von Asien über den Schwarzen Kontinent bis in unsere Gefilde war sie omnipräsent. Um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. entstand im süd-französischen Tal der Lozère, im Zusammenhang mit der dortigen Megalithkultur, ein regelrechtes Trepanationszentrum.
Der französische Landarzt Dr. Prunières stieß dort im Jahre 1873 auf ein ganzes Dutzend dieser so charakteristisch durchbohrten Schädel. Im Jahr darauf erntete er reichlich Skepsis und Ungläubigkeit, als er die Artefakte der „Association Francaise pour l’Avancement des Sciences“ – das ist die französische Gesellschaft für den Fortschritt der Wissenschaften – in Lille vorlegte.
Vom Tal der Lozère in den südfranzösischen Cevennen aus gelangte die Operationsmethode in das Pariser Becken, und weiter an die Westküste unseres Nachbarlandes. Die Seine-Oise-Marne-Kultur am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. dürfte ein weiteres Verbreitungszentrum gewesen sein, von welchem eine Ausbreitung nach Südengland, Dänemark, Südschweden und nach Mitteldeutschland erfolgte. Als ältester trepanierter Schädel des west- und mitteleuropäischen Raums gilt ein zwischen 5200 und 4900 v.Chr. datierter, männlicher Schädel, der 1996 im elsässischen Ensisheim ans Tageslicht kam.
Der älteste, in Deutschland gefundene und ebenfalls zu einem Mann gehörige Schädel datiert zurück in die mittlere Steinzeit; er wurde in Jechtingen am Kaiserstuhl ausgegraben. Und es ist fast nicht zu glauben: In den 1950er Jahren wurde in der Nekropole von St. Urnal en Plomeur (Département Finistère) eine Trepanation mit Heilungsspuren entdeckt, bei der beinahe die gesamte Schädeldecke fehlte.
Später wurden, was den europäischen Raum betrifft, Trepanationen noch während der Bronzezeit auf dem Gebiet der heutigen Länder Schweiz, Österreich, Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien durchgeführt, bis sie schließlich in frühgeschichtlichen Zeiten und in der Antike zunehmend seltener wurden. Ging damals uraltes Wissen, aus welchen Quellen es auch immer stammen mochte, langsam verloren?
Werfen wir nun einen Blick in andere Regionen unserer Welt. Auf dem südamerikanischen Kontinent kann man das alte Peru guten Gewissens als weiteres Trepanationszentrum bezeichnen. Der peruanische Archäologe Julio C. Tello – nach ihm ist ein großer Obelisk im Archäologischen Museum von Lima benannt, den er in den Ruinen von Chavin de Huantar fand – stieß im Jahre 1925 auf der Halbinsel Paracas auf eine riesige Anzahl trepanierter Schädel.
Unter 400 Fällen konnte man von mindestens 250 sicheren Heilungen ausgehen. An manchen dieser Schädel konnten sogar bis zu sieben einzelne Operationen nachgewiesen werden. In jüngerer Zeit wurden in diesem Teil Südamerikas noch weitere 3.000 Trepanationen medizinisch untersucht.
Neben schier unübersehbaren Mengen trepanierter Schädel kam in altperuanischen Gräbern auch eine stattliche Anzahl chirurgischer Instrumente ans Tageslicht. Da waren Obsidianklingen, die einen präziseren Schnitt erlauben als manches Skalpell aus unseren Tagen, Schabeinstrumente mit halbrunder Klinge (sogenannte Tumi), Stichel, Nadeln sowie Klammern zum Fixieren der Wundränder. Anhand dieser Funde ließ sich der operative Ablauf der geradezu „in Serie“ betriebenen Schädelöffnungen gut nachvollziehen. Denn bei der schieren Menge an „Material“ waren sämtliche Stadien des Eingriffes vertreten.
Entstehungsgebiet: unbekannt
Sehr schnell zeigte sich, dass damals bereits perfekte Chirurgie betrieben wurde. Eine häufig angewandte Methode war der sogenannte Überkreuzungsschnitt, der sowohl dreieckig, quadratisch oder rechteckig ausgeführt wurde. Besonders bei eingedrückten Frakturen wandten die vorzeitlichen Ärzte aber auch gerne den Bogenschnitt an.
Diese Operationsart wird charakterisiert durch das Ineinandergreifenlassen kurzer Bogenlinien, bis sich nach dem Durchtrennen der Lamina externa, dem äußeren Blatt des Schädeldaches, eine sichere Schiene für das Trepanationsinstrument ergab. Wenn dann auch noch die Diploe – also die zwischen den beiden Tafeln des Schädeldaches liegende schwammartige Knochensubstanz – durchschnitten war, folgte das Aufbrechen des umschnittenen Schädelfragments, und das Glätten der Knochenränder zu einem schrägen Abfall.
Ist es die wirklich weltweite Präsenz, die es nahezu unmöglich macht, den geographischen „Nullpunkt“ jener so genialen Operationstechnik zu ergründen? Denn das Entstehungsgebiet der Schädeltrepanation ist noch immer vollkommen unbekannt. Denken wir an den „Schädel von Taforalt“: Das derzeit älteste bekannte Zeugnis dieser Technik, die einen Meilenstein der chirurgischen Kunst markiert, stammt aus dem paläolithischen Nordafrika.
Manche Befunde lassen indes den Schluss zu, dass einstmals asiatische Kulturelemente über den Norden Afrikas und die Iberische Halbinsel, wie auch über Südosteuropa nach Mitteleuropa kamen, die Trepanation also nicht in Europa entstand. Vielmehr denkt man an ein noch unbekanntes asiatisches Ursprungsgebiet, aus dem letztlich auch die Operationspraktiken des Ozeanischen Raums und Südamerikas abzuleiten wären. Sozusagen ein globaler Export aus einer Region, die sich aktuell anschickt, eine der wirtschaftlich stärksten weltweit zu werden.
Nicht nur dieses Rätsel bereitet heftige Kopfschmerzen. Was angesichts der Komplexität der Eingriffe, wie der für damalige Zeiten unglaublich hohen Überlebens- und Heilungsraten weit-aus stärker brennt ist die Frage, ob es wirklich Steinzeitmenschen waren, die eine der gefährlichsten Operationen am lebenden Individuum buchstäblich zur „Serienreife“ entwickelten.
Ich gebe ja zu, dass ich tatsächlich große Schwierigkeiten mit der Vorstellung habe, noch nicht sesshafte, also nomadisierende Sammler und Jäger seien gleichzeitig auch begnadete Chirurgen gewesen. Einmal abgesehen davon, dass ich mich ohnehin schon lange von dem Klischee jener grunzenden und lendenbeschurzten Steinzeitstoffeln verabschiedet habe, die um ein Feuer sitzend bangen, wie sie den nächsten Tag überleben sollen.
Kamen jene für damalige Zeiten so krass aus dem Rahmen fallenden, medizinisch-chirurgischen Kenntnisse und Fertigkeiten vielleicht aus einer ganz anderen Ecke? Gewissermaßen als eine Art der „Entwicklungshilfe“ – gewährt von weitentwickelten Intelligenzen, über deren Herkunft, Intentionen und Möglichkeiten wir allenfalls spekulieren können?
Kam dieses im wahrsten Sinne „unirdisch“ erscheinende Knowhow überhaupt von dieser unserer Welt?