Horst D. Deckert

Verspäteter CDU-Chef Merz: Eigentlich eher eine Tragödie

21 Jahre zu spät am Ziel: Friedrich Merz (Foto:Imago)

Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Stunde gekommen ist – und nichts trauriger als eine verpasste historische Chance. Vor rund gut 20 Jahren wäre der Moment gewesen, in dem die CDU unter Friedrich Merz einen Neuanfang hätte wagen können, der sie ganz gewiss nicht in eine andauernde Selbstentleibung, programmatische Aushöhlung und sozialistische Leichenstarre geführt hätte. Bekanntlich kam es anders, Merkel setzte sich damals durch, Merz ging resigniert ins – zuerst innere, dann wörtliche – Exil und machte jenseits der Bundespolitik Karriere bei Blackrock, derweil die Union zunächst zu einem Schatten ihrer selbst wurde und schließlich sogar SPD und Grüne links überholte. Dass Friedrich Merz glücklich heute, zwei Jahrzehnte zu spät und selbst weit jenseits des Rentenalters, zum aus seiner Zeit gefallenen CDU-Vorsitzenden gemacht wurde und fortan versuchen wird, dem von Merkel restlos abgenagten und zurückgelassenen Gerippe wieder Leben einzuhauchen, ist eigentlich eine Tragödie, kein Anlass für Aufbruchstimmung.

Wie großartig sich die Bundesrepublik unter einem Realpolitiker, Pragmatiker, vernunftbasierten Wirtschaftsexperten wie Merz hätte entwickeln können – sein Aufstieg ins Kanzleramt als Nachfolger des abgehalfterten Rotgrün-Pioniers Gerhard Schröder vorausgesetzt, kann man man nur mutmaßen. Was aus Deutschland im 21. Jahrhundert geworden wäre unter ihm, der im freien Westen und nicht in der DDR sozialisiert wurde und damals in der Blüte seiner Durchsetzungs- und Gestaltungskraft stand – es bleibt für immer ein Gedankenspiel des historischen Irrealis.

Merkels Gift wird wirken

Leider kam es anders, die Union und mit ihr Deutschland wurden unter einer kaltherzigen, rückgratlosen und machtversessenen Opportunistin zuerst gelähmt und dann demontiert, und das Gift, das Merkel in dieses Volk geträufelt hat – ideell durch Spaltung und ethnisch durch eine destruktive Masseneinwanderung – wird seine eigentliche Wirkung erst noch entfalten. Sicher ist: Es wird final tödlich wirken, und Deutschland als große Geistes- und Kulturnation mit einem autochthonen Volk als Abstammungsgemeinschaft, das in vielen Jahrhunderten von Christentum und Aufklärung geprägt wurde, mit einer reichen Sprache und Geschichte, wird aufhören zu existieren. Das ist eine biologische ebenso wie mathematische Gewissheit.  Für eine Umkehr ist es zu spät.

Und selbst wenn Merz, was nicht der Fall ist, einen radikalen Kurswechsel schrittweise anstrebte: Es würde ihm nie gelingen – weil jeder Schritt in diese Richtung zwangsläufig in öffentlichen Empörungsstürmen zerfräst würde, als „Rechtsruck“ und verteufelt als scheinbare Annäherung an die toxischen Forderungen der AfD (in der heute das fortlebt, wofür die Union einst stand), und weil die CDU diese abermalige Kurskorrektur nicht mehr mittragen würde. Und selbst wenn Merz es in homöopathischen Dosen versuchte (so wie ja auch Merkel ihre Linksverschiebung nicht ruckartig, sondern in unmerklichen Kleinetappen vollendete): 16 Jahre Zeit werden Merz kaum bleiben. Und der unumstrittene Lichtbringer ist in der CDU auch keineswegs.

Sein traumhaftes heutiges Wahlergebnis von fast 95 Prozent der Delegierten des digitalen CDU-Parteitags spiegelte zum einen die Erleichterung darüber wider,  dass die unsägliche Fehlbesetzung seines Vorgängers Laschet endlich ihr Ende fand, doch es war zum anderen auch eine Folge der Selbstweichspülung von Merz‘ während seiner über zwei Jahre langen Ochsentour, auf der er seinem Lebensziel des Parteivorsitzes nachjagte und darüber so manche Kröte schluckte. Wenn es ihm jetzt endlich gelang, diese biographische Scharte von einst auszuwetzen, so war dies nur unter Verstellung und schließlich Anpassung möglich; der Zwang zum Konsens nötigte auch ihm buchstäblich die Aufgabe früherer liberal-konservativer Kernpositionen ab. Hätte Merz nämlich an all dem festgehalten, was er einst vertrat – von der Ablehnung des gesetzlichen Mindestlohns, über Kritik an der Willkommenskultur bis zum Nein zur Abschaffung der Wehrpflicht oder des Atomausstiegs -, dann wäre er auch heute in seiner Partei noch ein Paria. Der „neue Merz“ hingegen hat nicht einmal mehr ein Problem mit 2Gplus, Masken- und sogar Impfpflicht.

Wie ergeht es fortan der Werte-Union?

Da überraschte es wenig, dass das erste war, was er nach seinem heutigen Kantersieg (mit dem der zuvor eingeholte Wille der Parteibasis endlich exekutiert worden war) tat, Eintracht zu bekunden und „Offenheit für alle Lager” zu signalisieren. Er wolle, so Merz, als Vorsitzender „die gesamte Partei repräsentieren”. Man darf gespannt sein, was dies für die unter Merkel und ihren installierten Interims-Nachfolgern marginalisierten innerparteilichen Oppositionsgruppierungen wie vor allem die Werte-Union bedeutet. Werden diese bei Merz nun ein offenes Ohr finden, oder setzen sich Zwangsdistanzeritis und Ausgrenzung fort? Und wie will Merz er die Gräben zwischen substanzentfremdeten einstigen Unionsanhängern und der linksmutierten Zeitgeistjüngertruppe schließen, die diese Partei inzwischen bis in die kommunalen Niederungen hinab dominiert? Wie will er die verlorenen Wähler remobilisieren?

„Volkspartei ist immer ein Spagat“, sagte Merz heute – und definiert in seiner Antrittserklärung den Konservatismus gleich mal eben nonchalant neu: Konservativ sein bedeute heutzutage, „das Gute zu bewahren und offen für Neues zu sein”. Eine kaum merkliche, jedoch subtil vermerkelte Variation der korrekten Definition, nach der „konservativ“ dafür steht, das „Alte (im Sinne von Bestehendem/Tradierten) zu bewahren und offen für Neues zu sein“. Moralbegriffe tauchen in dieser Beschreibung aus gutem Grund nicht auf – denn „das Gute“ ist ein ebenso wachsweicher und beliebiger Begriff wie „Wahrheit“.  Und wer immer meint, beides gepachtet zu haben, ist bereits auf dem ideologischen Holzweg. Man könnte hier auch noch „Alternativlosigkeit“ mit aufzählen.

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