Erstmals wurde auf deutschem Boden eine „Rede an die Nation“ von einem augenscheinlichen entweder medikamentös sedierten oder anderweitig ruhiggestellten Kanzler gehalten. Als hier zum letzten Mal ein SPD-Kanzler regierte (der heute zum Putin-Paria degradierte Gerhard Schröder), war noch die „Politik der ruhigen Hand“ angesagt. Sie scheint mittlerweile von der Politik der matten Scheibe abgelöst worden zu sein. Was Olaf Scholz in seiner heutigen Ansprache auftischte, war nicht nur mutlos, kraftlos, uninspiriert. Es war auch eine Aneinanderreihung von Unaufrichtigkeiten und Lügen, wie man sie in einer vergleichbaren Deutlich- und Dreistigkeit selten sah. Offenbar gerät die hohe Kunst der politischen Täuschung, des „Das eine sagen, das andere tun / meinen„, unter Scholz mit seinem schlingernden Ukraine-Kurs mehr zur Tugend als Merkels Paternalismus in ihrer schlafwandlerischen Corona-Chaospolitik. Außerdem scheint sich der deutsche Bundeskanzler inzwischen mehr für die Ukraine als für die Deutschen verantwortlich zu fühlen, wenn er sagt: „Die Ukraine wird bestehen! Putin wird diesen Krieg nicht gewinnen!” Ist hier eigentlich Deutschland im Krieg oder die Ukraine?
Vier Aussagen, die alle unwahr sind, tischte Scholz heute seinen deutschen Zuschauern (sofern sie nicht weggezappt hatten oder weggedämmert waren) auf. Die erste lautete: „Es darf keine deutschen Alleingänge geben”. Tatsächlich ist Deutschland seit jeher, auch innerhalb der EU, für seine Alleingänge bekannt – und sie wurden fast immer mit der Fortschreibung einer historischen eigenen Bring- bzw. ausländischen Holschuld begründet. Weil es nunmal Deutschland ist, „gerade wir als Deutsche”, wurde 2015 die Flüchtlingsmaschinerie in Gang gesetzt – zum Entsetzen und Leidwesen unserer Nachbarn. An diesem Alleingang hält Scholz bis heute fest – auch wenn er durch den Ukraine-Konflikt in einen anderen Kontext gehoben wurde.
Verhängnisvoller Kurs
Deutschland hatte auch keine Schwierigkeiten, „Alleingänge” bei seiner Klimapolitik und der Energieversorgung zu vollführen – auch wenn sie uns in immer größere Abhängigkeiten vom Ausland gebracht haben. Und: militärische „Alleingänge“ waren bei fast allen bisherigen westlichen Kriegseinsätzen Wesensmerkmal der wiedervereinigten Deutschen gewesen – mit Ausnahme des Kosovokriegs, und damals waren genau die Parteien hiergegen Sturm gelaufen, die heute am lautesten für die weitere Eskalation des Ukraine-Konflikts plärren. Mein Scholz, wenn er „Alleingänge“ ausschließt, in Wahrheit, dass sich Deutschland von einem verhängnisvollen Kurs nicht souverän lossagen kann, den ihm Washington oder Brüssel vorgeben?
Die zweite freche Lüge Scholz war die, Deutschland würde „keine Waffenlieferungen“ unterstütze, die „unsere eigene Verteidigungsfähigkeit“ gefährden könnten. Das sagt Scholz schon seit Monaten – doch bis letzte Woche fielen für ihn unter dieses Tabu auch die jetzt von ihm freigegebenen schweren Panzerwaffen. Jetzt plötzlich werden alle Bestände, auch die der Industrie, außer Landes geschafft, während die Bundeswehr eine nach wie vor nur extrem reduzierte Verteidigungsfähigkeit aufweist. Tatsächlich ist jede Patrone, die Deutschland verschenkt oder verkauft, eine faktische Gefährdung unserer Abwehrmöglichkeiten. Würde Scholz seine Aussage ernst meinen, dann dürfte Deutschland gar nichts an die Ukraine liefern – weder 5.000 Helme noch die Baerbock’schen „Großkatzen”.
Nur ins eigene Fleisch geschnitten
Scholz‘ dritte Lüge ist noch bodenloser: Man dürfe „unternehmen, was uns und unseren Partnern mehr schadet als Russland”. Die Widerlegung dieser Aussage erleben wir derzeit fast stündlich – in den Warnungen, Prognosen und Einstimmungen auf die Sanktionsfolgen. Russland entsteht zumindest aus der Nichtabnahme von Gas und Öl überhaupt kein direkter Schaden, weil es diese auch in Asien verkaufen kann. Das Land ist dank seiner Rohstoffe völlig autark; nicht umsonst kostet dort der Liter Sprit derzeit 36 Cent, die Gaspreise liegen bei rund einem Zehntel der Deutschen. Mit soviel Borniertheit wie über die des Westens mit seinen unausgereiften, kontraproduktiven Sanktionen dürfte man nicht einmal im Kreml gerechnet habe. Wir schneiden uns NUR ins eigene Fleisch.
Die vierte objektive Falschaussage von Scholz indes ist die verhängnisvollste: Man dürfe „keine Entscheidung treffen, die die NATO Kriegspartei werden lässt”. Genau dies ist längst geschehen – und auch ohne die Tatsache, dass auf deutschem Boden ukrainische Soldaten für Kampfhandlungen trainiert werden und dass Deutschland militärische Einweisungshilfe für sein geliefertes Kriegsgerät erteilt, haben wir diese kritische Linie bereits überschritten. Spätestens mit der Bereitstellung schwerer Panzerwaffen mitsamt Spezial-Knowhow und Bedienungseinweisung hat sich Deutschland – und das nicht nur aus Sicht führender Generäle – womöglich bereits zur faktischen Kriegspartei gemacht. Es ist noch keine zwei Wochen her, dass derselbe Scholz genau vor dieser Schwelle warnte und die schweren Waffenlieferungen kategorisch ablehnte. Jetzt fallen sie für ihn anscheinend nicht mehr in diese Grau- oder Tabuzone. Worauf wird er seine Definition dann bis Ende des Monats ausgeweitet haben? Vielleicht sogar auf Atomwaffen, die bis dahin vielleicht der Ukraine „zu Selbstverteidigungszwecken” zu liefern seien?
Vergessenswert wie die ganze Amtszeit
Niemand, auch Scholz nicht, kann definieren oder wissen, ab wann sich Russland in einem Maße in die Enge getrieben fühlt, dass es zum großen Gegenschlag ausholt. Dass dies anlässlich der morgigen Siegesfeiern in Moskau zum Jahrestags des letzten Weltkriegsendes geschieht, ist eher unwahrscheinlich; wichtig ist jedoch zu verstehen, dass nicht die beschwichtigende Selbsteinschätzung der NATO, die deutsche Regierung oder neunmalkluge TV-Plaudertaschen in enervierenden Talkshows darüber entscheiden, ab wann ein Land Kriegspartei ist. Die einzige Einschätzung, auf die es ankommt, ist die des gegnerischen Generalstabs und deren Lagebeurteilung.
Fazit: Scholz‘ Rede an die Deutschen war so vergessenswert und unaufrichtig wie seine gesamte bisherige Amtszeit. Für diese Regierung könnten, wenn nur ein wenig mehr schiefläuft, die Deutschen einen ebenso hohen Preis zahlen wie zuletzt vor 80 77 Jahren.
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