Ein neues Schreckgespenst macht seit Tagen die Runde. Die Virusvariante «Delta», die zuerst in Indien festgestellt wurde. Zuletzt habe die Variante in Grossbritannien über 60 Prozent aller Corona-«Fälle» ausgemacht. Grosses Thema war die Variante auch an der Pressekonferenz des Bundesamts für Gesundheit (BAG) vom Dienstag.
In den Augen der Task-Force könnte die britische Impfstrategie Schuld daran sein, dass sich die Mutation in Grossbritannien derart schnell ausgebreitet hat. Knapp 80 Prozent der Erwachsenen haben dort eine Dosis erhalten, 57 Prozent sind bereits doppelt «geimpft». Zum Vergleich: In der Schweiz wurde bisher jede vierte Person vollständig «geimpft», insgesamt haben 3,7 Millionen Menschen mindestens eine Dosis bekommen.
Die Variante sei sehr ansteckend, weil viele Engländer erst eine Impfdosis erhalten hätten, sagte Jan-Egbert Sturm, der Vizepräsident der Covid-19-Task-Force. Erst eine vollständige Impfung zeige gegen die Delta-Variante eine gute Wirksamkeit. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Gefahr der indischen Variante aufgrund der tieferen Impfquoten nicht auch für die Schweiz gross sei, entgegnete Sturm: «Jetzt gilt es, die Variante in Schach zu halten.» Für die Schweiz sehe er derzeit nur wenig Gefahr angesichts der Delta-Variante.
Pikant: Sturm zeichnete ein optimistisches Bild der wirtschaftlichen Lage. Der Vizepräsident der Covid-19-Task-Force hielt zwar fest, dass wegen der Massnahmen die Ungleichheit angestiegen sei, sagte aber auch: «Dank der fiskalischen Massnahmen zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Strukturen finden wir heute ein Umfeld vor, in dem die Unternehmen positiv in die Zukunft schauen und wieder bereit sind, mehr zu investieren.»
Auch betonte Sturm, dass die Task-Force die Wirtschaft seit Beginn der Pandemie immer berücksichtigt habe. «Die Task-Force hat von Anfang an die Position vertreten, dass sich der Schutz der Gesundheit der Bürger und der Schutz der Wirtschaft sich nicht automatisch gegenseitig ausschliessen, sondern sich einander bedingen.»
Dazu muss man wissen: Sturm war bis Ende Januar noch Vorsitzender der Expertengruppe Economics innerhalb der Task-Force. Unter seiner Leitung machte sich die Gruppe für einen Lockdown stark. Nach den Berechnungen der Expertengruppe wären auch Lockdowns von mehreren Monaten sinnvoll gewesen. Dies, weil der Nutzen dadurch höher als die Kosten gewesen wäre. Die Gesundheitsökonomen Konstantin Beck und Werner Widmer deckten jedoch auf, dass die Expertengruppe bei ihren Modellrechnungen von falschen Annahmen ausgingen (Corona-Transition berichtete).
Interessant ist auch die Eischätzung des BAG hinsichtlich der Nebenwirkungen der mRNA-Injektionen. Auf die Frage eines Journalisten, wie das BAG die teils heftigen Nebenwirkungen nach der zweiten Dosis beurteile, entgegnete Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle des BAG: «Das sind gute Zeichen.» Das bedeute, dass das Immunsystem in Ordnung sei. Die Nebenwirkungen seien weder gefährlich noch kritisch, auch wenn sie teilweise stark seien. Zudem seien sie nach eins/zwei Tagen vorbei. «Das ist normal.» Auch sei das nicht beunruhigend.
Beunruhigender ist in den Augen Massereys – Immunsystem hin oder her – das künftige Infektionsgeschehen angesichts der Virusmutationen. Auf die Frage, ob es wegen der Delta-Variante nicht möglicherweise wieder schärfere Massnahmen brauche, sagte Masserey: Für den Moment sei dies nicht nötig, aber: «Das könne sich auch wieder ändern.»
Masserey verkündete vor den Medien auch, dass der Bund jetzt eine Wirksamkeit des Impfschutzes von 12 Monaten anerkenne. Dies, weil wissenschaftliche Erkenntnisse darauf deuten würden, dass die Impfung länger wirkt als sechs Monate. Die Gültigkeit des Covid-Zertifikats werde deshalb in den nächsten Wochen angepasst.
Kommentar Corona-Transition:
Die Aussagen von Masserey werfen Fragen auf. Nebenwirkungen nach mRNA-Injektionen als «gute Zeichen» zu interpretieren, weil somit das Immunsystem funktioniere, ist nichts weiter als ein schlechter Witz. Die derzeitige Datenlage zeichnet ein ganz anderes Bild, Corona-Transition berichtete mehrfach. Auch negiert Masserey mögliche langfristige Nebenwirkungen konsequent. Sie sind aber eine reale Gefahr (wir berichteten). Doch sie scheinen in den Augen der Leiterin der Sektion Infektionskontrolle des BAG überhaupt nicht zu existieren.