Horst D. Deckert

Warschau und Brüssel haben einen schwierigen Waffenstillstand erreicht

Polen wird die EU nicht sprengen und die EU kann der PiS-Macht in Polen nicht den Todesstoß versetzen – nur ein Kompromiss sei derzeit erreichbar, schreibt der Auslandskolumnist der Tageszeitung Rzeczpospolita Jędrzej Bielecki

Bis an die Zähne bewaffnet kamen Mateusz Morawiecki und Ursula von der Leyen am Montagabend zu ihrem Treffen in Brüssel.

Der Premierminister kam mit der Drohung, dass das Verfassungsgericht ein Urteil über die Überlegenheit staatlicher Gesetze über die europäischen fällen würde, was für den EU-Justizkommissar Didier Reynders die Zerstörung der EU-Konstruktion bedeuten würde.

Der Präsident der Europäischen Kommission tauchte mit der Option auf, den EU-Konjunkturfonds für Polen einzubehalten, der die Grundlage der polnischen Deal-Wirtschaftsstrategie ist und den Machterhalt von PiS (Recht und Gerechtigkeit) nach den nächsten Wahlen sichern soll.

Als sich das Treffen der Delegationen nach zweistündigen Gesprächen dem Ende zuneigte, verließen alle bis auf Morawiecki und Von der Leyen den Raum. Was sie sich gegenseitig sagten, bleibt ein Geheimnis.

Dennoch schrieb Von der Leyen kurz darauf auf Twitter von einem „guten Austausch“ und nannte die Themen Ökologie, Rettungsfonds und Rechtsstaatlichkeit. Dies wurde von der polnischen Botschaft bei der EU bestätigt – allerdings ohne den letzten Punkt. Keiner griff zu seinen letzen Wafffen.

Als sich das Treffen der Delegationen nach zweistündigen Gesprächen dem Ende zuneigte, verließen alle bis auf Morawiecki und Von der Leyen den Raum. Was sie sich gegenseitig sagten, bleibt ein Geheimnis.

Der schwierige Modus Operandi zwischen Warschau und Brüssel beginnt auf diese Weise Gestalt anzunehmen. Nach Informationen der Rzeczpospolita haben sich beide Seiten über die Details der Verwendung des Konjunkturfonds geeinigt. Obwohl sich Polen nicht unter dem Dutzend Ländern befindet, die grünes Licht aus Brüssel erhalten haben, soll dies bald geschehen.

Im Gegenzug wird die polnische Seite versuchen, die Bedeutung des Urteils des Verfassungstribunals zu nuancieren. Wenn es erklärt, dass die polnische Verfassung Vorrang vor europäischem Recht hat, wird klar sein, dass dies keinen Einfluss auf die Änderung der derzeitigen EU-Regelungen in Polen haben wird. Das Urteil soll sich auf Bereiche beziehen, in denen Brüssel keine Kompetenzen hat.

Der französische Conseil d’État hat im April etwas Ähnliches getan, was die Speicherung von Daten betrifft. Er entschied, dass die EU zwar das Recht hat, sich um die Privatsphäre der Franzosen zu kümmern, weil sie mit einer solchen Aufgabe betraut wurde, aber Paris kann die Gewährleistung der Sicherheit in diesem Bereich nicht ignorieren, weil das seine Pflicht war und ist.

Deshalb will Warschau auf die Komplexität des Abkommens hinweisen, in dem sich staatliche und EU-Kompetenzen manchmal überschneiden werden. Warschau will jedioch keine offene Rebellion gegen Brüssel ankündigen.

Der Kompromiss soll für eine Annäherung in einem anderen wichtigen Bereich sorgen: der Ökologie. Von der Leyen hatte am Mittwoch ein unglaublich ehrgeiziges Paket zur Begrenzung des Schadstoffausstoßes in Europa vorgestellt: „Fit for 55“. Die Verhandlungen zwischen Brüssel und Warschau über dieses Projekt zogen sich über die letzten 6 Monate hin. Polen ist das Land, das sich mit der EU wohl am schwersten tut, wenn es um die Umstellung auf eine emissionsarme Wirtschaft geht.

Das Ergebnis der Verhandlungen war ein Kompromiss, der laut polnischen Entscheidungsträgern die meisten polnischen Forderungen erfüllt. Das bedeutet, dass die Regierung in dem jetzt begonnenen längeren Prozess der Bestätigung der Vorschläge der Europäischen Kommission nicht die Rolle der Hauptbremse spielen wird.

Viel schwieriger wird es sein, den Konflikt um den amerikanisch geführten Sender TVN zu lösen. Von der Leyen ist daran interessiert, nicht nur aus Angst, den freien Fluss des Kapitals zu blockieren, sondern auch aus Angst, den Medienpluralismus in Polen zu erhalten. Hier hat sie in Washington einen sehr mächtigen Verbündeten. Es geht um die grundlegendste Konditionierung unseres Landes: den Verbleib in der westlichen, demokratischen Zivilisationssphäre und die Aufrechterhaltung der Allianz mit den USA. Die Entscheidung, Abrams-Panzer zu kaufen, signalisiert, dass zumindest Letzteres der polnischen Regierung wichtig ist.

Derweil ist der seit sechs Jahren andauernde Streit um die Rechtsstaatlichkeit zu weiterem Kampf verdammt. Am Mittwoch ordnete der EuGH die sofortige Aussetzung der Tätigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts an. Am Donnerstag wird er auch ein Urteil zu den angeblichen „LGBT-freien Zonen“ veröffentlichen.

Die westliche Öffentlichkeit ist inzwischen davon überzeugt, dass die Rechtsstaatlichkeit in Polen bedroht ist, und das Europäische Parlament setzt Von der Leyen unter Druck, härter mit Warschau umzugehen. Das schließt einen ernsthafteren Schritt aus Brüssel aus, und die sich vertiefende politische Polarisierung in Polen lässt keinen Kompromiss zu. Die Pattsituation wird weitergehen.

Das alles läuft nicht auf einen Frieden, sondern auf einen Waffenstillstand hinaus. Angela Merkel wird im September zurücktreten, und sie ist die letzte westliche Führungspersönlichkeit, die sich die Mühe macht, zu versuchen, Mitteleuropa in der EU zu halten. Im April wird Emmanuel Macron um seine unsichere Wiederwahl kämpfen.

Wenn sich die neue Macht sowohl in Berlin als auch in Frankreich gefestigt hat, wird die nächste Runde im Kampf zwischen Polen und der EU beginnen.

Quelle: Rzeczpospolita


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