Horst D. Deckert

Washingtons gescheiterter Vorstoß für einen globalen antirussischen Konsens

Die Regierung Biden hat das Ausmaß der internationalen Empörung über den Einmarsch Russlands in die Ukraine eindeutig überschätzt.

Vertreter der Biden-Regierung behandeln Russland als internationalen Paria und drängen die Weltgemeinschaft, sich hinter die Führung Washingtons zu stellen, um den Kreml zu zwingen, seine Streitkräfte aus der Ukraine abzuziehen. Die Strategie der Regierung war nur teilweise erfolgreich. Kritik an Russlands Vorgehen ist bei ausländischen Staats- und Regierungschefs relativ leicht zu finden, aber wenn es um eine direkte Verurteilung geht – oder um die Unterstützung der NATO-Position, dass der Krieg nicht provoziert wurde und allein Moskaus Schuld war -, zögern die Regierungen in aller Welt.

Sie sind noch weniger geneigt, sich der von den USA geführten Kampagne zur Verhängung außerordentlich strenger Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Außerhalb der NATO und der bilateralen Sicherheitsbündnisse der USA in Ostasien ist die Unterstützung für Sanktionen sogar bemerkenswert gering. Das war schon während des ersten Kriegsmonats der Fall und hat sich seitdem noch weiter verstärkt.

Der Wissenschaftler des Hudson Institute, Walter Russell Mead, fasst den mangelnden Erfolg Washingtons bei der Ausweitung der Anti-Russland-Koalition über das Netzwerk der traditionellen US-Verbündeten hinaus treffend zusammen. „Der Westen war noch nie so eng zusammengerückt. Er war aber auch selten so allein. Die Verbündeten in der Nordatlantikvertrags-Organisation sowie Australien und Japan sind sich einig in ihrer Abscheu gegen Wladimir Putins Krieg und kooperieren mit den umfassendsten Sanktionen seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Rest der Welt nicht so sehr.“

Die Anzeichen für Probleme traten fast sofort zutage. Am 2. März 2022 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, in der der Einmarsch Russlands in die Ukraine verurteilt und der sofortige Rückzug der russischen Streitkräfte gefordert wurde: 141 Länder stimmten für die Resolution, und wie US-Vertreter zu betonen pflegten, stimmten nur fünf dagegen.

Erstaunliche 35 Länder – darunter 17 afrikanische Staaten – enthielten sich der Stimme, obwohl ein positives Votum zur Beschwichtigung der Vereinigten Staaten die einfachste Lösung gewesen wäre. Die Resolution hatte rein symbolischen Charakter, da sie die UN-Mitglieder nicht zu substanziellen Maßnahmen verpflichtete. Dennoch entschied sich eine beträchtliche Anzahl von Ländern in Asien, dem Nahen Osten und Afrika südlich der Sahara dafür, Washington zu brüskieren. Mehr als 20 Prozent der Mitglieder der Generalversammlung weigerten sich, eine reine Wohlfühlmaßnahme anzunehmen, deren Verabschiedung von der Regierung Biden nachdrücklich gefordert wurde. Von Anfang an wirkte die von den USA geförderte globale Koalition gegen Russland zerbrechlich und wenig enthusiastisch. Im Laufe der Zeit ist sie noch zerbrechlicher geworden.

Vor allem die afrikanischen Länder sehen keinen Vorteil für sich darin, die Politik des Westens zu unterstützen. Obwohl Washington darauf besteht, dass die Abwehr der russischen Aggression gegen die Ukraine für den Erhalt der „auf Regeln basierenden, liberalen internationalen Ordnung“ unerlässlich ist, sehen Regierungen und Bevölkerungen in Afrika die Dinge anders. Für sie sieht der Krieg eher wie ein banaler Machtkampf zwischen Russland und einem westlichen Klientenstaat aus. Ein afrikanischer Wissenschaftler drückte es so aus: „Viele in Afrika und im übrigen globalen Süden betrachten die liberale internationale Ordnung nicht als besonders liberal oder international – und haben sie auch nie als solche betrachtet. Sie halten sie auch nicht für besonders geordnet, wenn man bedenkt, wie sehr ihre Länder in Einflusssphären und Arenen für geostrategischen Wettbewerb verwandelt wurden.“

Auch handfestere wirtschaftliche Interessen drängen Afrika zur Neutralität. In einer Analyse der New York Times vom 3. Juni heißt es dazu lapidar: „Ein Treffen am Freitag zwischen dem Chef der Afrikanischen Union und dem russischen Präsidenten Wladimir W. Putin machte deutlich, welchen akuten Bedarf jeder hofft, dass der andere ihn decken kann: Afrika braucht Nahrung, und der Kreml braucht Verbündete.“ In der Tat hat der Chef der Afrikanischen Union, Präsident Macky Sall aus Senegal, ausdrücklich die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland gefordert.

Selbst Teile Lateinamerikas sträuben sich dagegen, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland zu führen. Besonders besorgniserregend für die von den USA geführte Anti-Russland-Strategie ist, dass sowohl Brasilien als auch Mexiko – die beiden wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Akteure der Region – nach wie vor anderer Meinung sind. Die Spannungen haben sich sogar so weit ausgeweitet, dass sie die allgemeinen Beziehungen Washingtons zu diesen beiden Regierungen negativ beeinflussen. Der mexikanische Präsident weigerte sich sogar, an dem von der Biden-Administration mit großem Tamtam veranstalteten „Gipfel der Amerikas“ im Juni teilzunehmen. Das war eine ostentative Brüskierung.

Besonders bedrohlich für die Ziele der USA ist die Tatsache, dass sowohl China als auch Indien im Hinblick auf die Auseinandersetzung des Westens mit Russland an der Seitenlinie geblieben sind. Zwar hat sich auch die Regierung von Xi Jinping Moskaus Forderungen nach mehr Solidarität und konkreter Unterstützung widersetzt. Die Führung der VR China hat stattdessen versucht, auf dem schmalen Grat zu bleiben, einen allgemein neutralen Kurs mit einer leichten Neigung zu Russlands Position zu verfolgen. Am wichtigsten ist jedoch, dass sowohl Peking als auch Neu-Delhi an ihrer Weigerung festgehalten haben, Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen.

Die Regierung Biden hat auf den Versuch eines Landes, eine neutrale Haltung einzunehmen, nicht gut reagiert. Diese Verärgerung richtete sich sogar gegen Großmächte wie China und Indien. US-Beamte haben zunehmend Druck auf beide Regierungen ausgeübt, sich der Sanktionsstrategie des Westens anzuschließen. Einige der Äußerungen Washingtons kamen dabei einer offenen Drohung gleich. Mehrmals warnte die Regierung Indien, dass es „Konsequenzen“ haben würde, wenn es keine Sanktionen gegen Russland verhängen würde. Die unsubtile Botschaft lautete, dass Indien selbst zum Ziel von Sanktionen der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Verbündeten werden könnte, wenn Neu-Delhi nicht kooperiert.

Trotz der viel umfangreicheren bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zur VR China hat Washington Peking sogar mit Sanktionen gedroht, falls es Moskaus Vorgehen in der Ukraine unterstützen sollte. Darüber hinaus wurde „unterstützen“ zunehmend zu einem impliziten Synonym für „sich nicht widersetzen“. Peking hat auf diesen Druck nicht passiv reagiert. Stattdessen warnte die VR China, dass sie Vergeltungssanktionen gegen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verhängen würde.

Washingtons schikanöses Verhalten kommt international nicht gut an. Die Drohungen der Regierung Biden, China wegen der Beziehungen Pekings zu Moskau mit Sanktionen zu belegen, haben beispielsweise Thailand, Indonesien und andere kleinere Mächte in Ostasien sofort aufgeschreckt. Die Reaktion bestand jedoch nicht in einer Kapitulation vor den Forderungen Washingtons. Vielmehr schien das ruppige Vorgehen der USA die Entschlossenheit dieser Länder zu stärken, im russisch-ukrainischen Krieg neutral zu bleiben. Südafrika und andere Länder des globalen Südens beschwerten sich ebenfalls lautstark über den unnachgiebigen Druck der USA und weigerten sich, ihre Positionen zu ändern.

Die Regierung Biden hat das Ausmaß der internationalen Empörung über den Einmarsch Russlands in die Ukraine eindeutig überschätzt. Angesichts der zahlreichen Militäraktionen des Westens gegen souveräne Länder wie Serbien, Irak und Libyen ist es kaum verwunderlich, dass andere Regierungen die Haltung des Westens gegenüber Moskaus Verhalten als Inbegriff selbstsüchtiger Heuchelei betrachten könnten. Die US-amerikanische Führung hat auch das Ausmaß des amerikanischen Einflusses überschätzt, mit dem sie Staaten, die nicht in Washingtons geopolitischer Umlaufbahn liegen, dazu zwingen kann, sich an einer Strafpolitik gegenüber Russland zu beteiligen. Es sollte eine ernüchternde Erfahrung sein, aber die Regierung und die Mitglieder der außenpolitischen Blase, die sie bevölkert, zeigen keine Anzeichen dafür, dass sie etwas Lohnenswertes gelernt haben. Stattdessen gehen die Arroganz der USA und das aufgeblasene Machtgefühl Washingtons unvermindert weiter.

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