Die Hilfsorganisation Open Doors, die sich weltweit für verfolgte Christen einsetzt, hat kürzlich ihren jährlich erscheinenden Weltverfolgungsindex für das Jahr 2022 präsentiert. Und auch im abgelaufenen jahr verschlimmerte sich die Situation fr Christen auf der ganzen Welt, die immer brutaler und konsequenzloser verfolgt und getötet werden. Der jahrelange Spitzenreiter Nordkorea wurde dabei ertmals von Afghanistan abgelöst. Nach der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban ist es ein Todesurteil, in dem Land seinen christlichen Glauben auszuleben. Folgend geben wir den Weltverfolgsungsindex weiter.
Neuer Weltverfolgungsindex: Verfolgung nimmt in allen Regionen zu
Afghanistan ist derzeit der gefährlichste Ort der Welt, um Christ zu sein, so die heute veröffentlichten Zahlen des Weltverfolgungsindex 2022. Das Land am Hindukusch löst Nordkorea nach 20 Jahren an der Spitze der Rangliste ab – und das, obwohl die Verfolgung von Christen auch dort in diesem Jahr weiter zugenommen hat. Unterdrückung, Kontrolle und Gewalt breiten sich in neue Regionen aus und nehmen weltweit zu.
Über 360 Millionen Christen leiden wegen ihres Glaubens in einem hohen Maß unter Verfolgung und Diskriminierung – ein Anstieg von 20 Millionen im Vergleich zum Vorjahr. Das berichtet das internationale Hilfswerk für verfolgte Christen Open Doors anlässlich der Veröffentlichung des neuen Weltverfolgungsindex (WVI) für den Berichtszeitraum 1.10.2020 bis 30.9.2021. Diese Zahl entspricht einem von sieben Christen weltweit. In diesem Jahr wird das höchste Verfolgungsniveau seit der ersten Veröffentlichung der Rangliste vor 29 Jahren verzeichnet, in den letzten Jahren war ein stetiger Anstieg auszumachen.
Afghanistan – die brutale Realität
Der Bericht zeichnet ein schockierendes Bild der Situation der wenigen, im Untergrund lebenden Christen im Land. Sie stehen in ständiger Gefahr, entdeckt zu werden, was fatale Folgen hätte:
- Christlichen Männern droht der fast sichere Tod, wenn ihr Glaube entdeckt wird.
- Frauen und Mädchen entgehen meist dem Tod, werden allerdings entweder als „Kriegsbeute“ mit Taliban-Kämpfern zwangsverheiratet oder unmittelbar vergewaltigt und verschleppt.
- Die neue Taliban-Regierung erhielt Zugang zu Aufzeichnungen und Berichten, mit deren Hilfe Christen identifiziert werden können, die dann verhaftet werden, um Netzwerke weiterer Christen auszumachen, bevor sie getötet werden.
- Talibankämpfer sind aktiv auf der Suche nach Christen und gehen dabei häufig von Tür zu Tür.
- Die meisten Christen sind in ländliche Regionen oder in Flüchtlingslager in Nachbarländern geflohen, die laut WVI ebenfalls Christen gegenüber ein feindliches Umfeld darstellen.
Die „Talibanisierung“ Westafrikas
Der Fall von Kabul hat bei anderen dschihadistischen Gruppen auf der ganzen Welt ein neues Gefühl der Unverwundbarkeit ausgelöst. Die Gruppen werden darin bestärkt, für ihre Expansionspläne keinen ernsthaften Widerstand vom Westen zu erwarten und nutzen die Ohnmacht von Staaten mit schwachen oder korrupten Regierungen aus. Die Auswirkungen sind im aktuellen Berichtszeitraum noch nicht in vollem Umfang zu erkennen, aber es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass ihre Aktivitäten die Gewalt in Ländern wie Nigeria (Rang 7), Mali (24), der Zentralafrikanischen Republik (31), Burkina Faso (32), Niger (33, neu auf der Liste) und der Demokratischen Republik Kongo (40) weiter anheizen wird.
In den Ländern in Subsahara-Afrika, in denen die Gewalt gegen Christen schon bisher weltweit am höchsten ist, hat die dschihadistische Gewalt allerdings bereits jetzt erneut stark zugenommen. Das führt zu einer weiteren Destabilisierung der gesamten Region. So verschlechtert sich die gesellschaftliche Situation in Mali zusehends, es steht die Befürchtung im Raum, dass das Land zum „nächsten Afghanistan“ werden könnte, wenn die Aufstände vollständig auf die Nachbarländer Niger und Burkina Faso übergreifen. Auch die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik befinden sich mittlerweile unter den Top Ten der Länder mit der höchsten Zahl an Gewaltakten gegen Christen. In Nigeria ist immer deutlicher eine gezielte, religiös motivierte Destabilisierung von Sicherheit und Ordnung durch politische Akteure und Stammesgruppen auszumachen, die von Experten als konzertierte Strategie der „Talibanisierung“ bezeichnet wird.
Die anhaltende Gewalt in diesem Gebiet dürfte schwerwiegende Folgen haben, da weltweit Hunderttausende Menschen auf der Suche nach Sicherheit aus ihrer Heimat fliehen. „Der Aufstieg Afghanistans an die Spitze des Weltverfolgungsindex ist zutiefst beunruhigend“, erklärt Kurt Igler, Geschäftsführer von Open Doors Österreich. „Abgesehen von dem unermesslichen Leid, das verursacht wird, sendet diese Veränderung ein sehr klares Signal an islamische Extremisten überall auf der Welt: ‚Ihr könnt euren brutalen Kampf um Einfluss ungehindert fortsetzen.‘ Gruppierungen wie der IS und ADF (Allianz der Demokratischen Kräfte) sehen ihr Ziel eines islamischen Kalifats – das im Irak und in Syrien vereitelt wurde – nun wieder als erreichbar an. Die Kosten in Form von Menschenleben und Elend, die dieses neue Gefühl der Unbesiegbarkeit bereits verursacht hat und weiterhin verursachen wird, sind kaum zu überschätzen.“
Die Kirche der Flüchtlinge
Schätzungsweise 84 Millionen Menschen waren im Berichtszeitraum gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen, entweder als Binnenvertriebene oder als Flüchtlinge in andere Länder (rund 26,6 Millionen). Eine große Zahl davon sind Christen, die vor religiöser Verfolgung fliehen:
- In Teilen Subsahara-Afrikas wurden ganze Landstriche entleert, die gesamte christliche Bevölkerung wurde getötet oder gewaltsam vertrieben. Hunderte Kirchen in Burkina Faso, Mali, Niger und allein 470 in Nigeria wurden aus diesem Grund geschlossen.
- Hunderttausende Menschen sind vor islamistischer Gewalt geflohen (u.a. in der Sahelzone) oder vor Zwangsrekrutierung (Eritrea, Rang 6), Bürgerkrieg (Sudan, 13), staatlicher Repression (Iran, 9) und/oder familiärer Unterdrückung aufgrund ihres christlichen Glaubens.
- Christliche Binnenvertriebene und Flüchtlinge leben weiterhin beispielsweise im Irak (14), in Syrien (15) im Libanon und in Jordanien (39). Immer wieder wird ihnen als Christen von staatlichen Stellen humanitäre und andere praktische Hilfe verweigert.
- In Myanmar (12) wurden mindestens 200.000 Christen vertrieben. 20.000 sind aus dem Land geflohen, da christliche Regionen in dem anhaltenden Konflikt zum Ziel wurden.
Wenn Menschen ihre Heimat verlassen mussten, sind sie häufig noch verletzlicher. Geflohene christliche Frauen auf der Suche nach Schutz geben sexuelle Übergriffe als Hauptform der Verfolgung an. Es liegen zahlreiche Berichte über Frauen und Kinder vor, die sowohl in Lagern als auch direkt auf der Flucht vergewaltigt und sexuell versklavt wurden. Armut und Unsicherheit verschärfen ihre Verwundbarkeit zusätzlich, einige werden in die Prostitution getrieben, um zu überleben.
Mit der zunehmenden Ausbreitung des Dschihadismus und der einhergehenden Destabilisierung von Staaten ist zu erwarten, dass die Abwanderung von Christen weiter fortschreiten wird.
Ein Land, ein Volk, ein Glaube – die Auslöschung der Vielfalt
In dem Maße, wie sich Chinas (Rang 17) wirtschaftlicher Einfluss in der Welt ausbreitet, wächst auch die autoritäre Verpflichtung seiner Bürger zur Konformität. Das erstreckt sich auf praktisch jeden Bereich des Lebens: Redefreiheit, Glaubensüberzeugung und Verhalten.
Seit Mai 2021 verpflichtet ein neues Gesetz religiöse Leiter in China dazu, „das Mutterland zu lieben, die Führung der kommunistischen Partei und das sozialistische System zu unterstützen“ sowie „die nationale Einheit nicht zu untergraben“. Der Einsatz hochentwickelter Technologien zur Überwachung und Kontrolle der Bürger durch die Regierung ermöglicht die Überprüfung des Wohlverhaltens, im Großteil der offiziellen christlichen Kirchen sind Überwachungskameras installiert. Der Zugang zur Bibel und Bibel-Apps ist weitgehend blockiert.
Dieser technologisch befeuerte autoritäre Nationalismus verbreitet sich rasch weit über China hinaus. Zahlreiche andere Länder beobachten das System von Überwachung und Kontrolle, kommunistische Staaten wie Vietnam (Rang 19) und Kuba (37) haben das Modell übernommen.
Der jüngste Bericht von Open Doors über die Situation von Christen in Indien beschreibt ein Land, das immer stärker in die nationalistische „Hindutva“-Ideologie eintaucht, nach der Inder zu sein damit gleichgesetzt wird, ein Hindu zu sein. Eine Welle der Gewalt gegen Christen und andere Minderheiten wurde von politischen Führern zugelassen oder sogar gefördert, begleitet von einem Anstieg von gezielten Desinformationen und Propaganda in Mainstream- und sozialen Medien.
Ein ähnliches Modell der strikten Forderung von Loyalität und Konformität der Bürger findet sich in so unterschiedlichen Ländern wie Myanmar (12), Malaysia (50), Sri Lanka und den zentralasiatischen Staaten. In all diesen Ländern sind Menschen, die vom Credo „ein Land, ein Volk, ein Glaube“ abweichen, verstärkten Restriktionen und Schikanen ausgesetzt.
Zunehmende Gewalt, unerbittlicher Druck
Die Zahl der registrierten Fälle von Christen, die wegen ihres Glaubens getötet wurden, stieg von 4.761 (WVI 2021) auf 5.898 (WVI 2022). Der größte Teil davon entfällt auf Subsahara-Afrika, insbesondere Nigeria (4.650 Fälle). Die Gesamtzahl der attackierten Kirchen stieg auf 5.110 Vorfälle, Festnahmen und Verhaftungen von Christen nahmen um 44 Prozent zu, auf weltweit 6.175 Fälle, davon 1.315 in Indien.
Auch wenn die offene Gewalt sichtbarer ist, wiegt der alltägliche, unerbittliche Druck auf Christen wegen ihres Glaubens ebenso schwer und steigt weiter an. Er äußert sich in einer Vielzahl von Formen, subtil oder offen: Diskriminierung am Arbeitsplatz, Druck seitens der Familie, dem eigenen Glauben abzuschwören, das Zurückstellen im Warten auf humanitäre Unterstützung und medizinische Behandlung – insbesondere während Covid-19, bürokratische Hürden bei der Zulassung von Kirchen und vieles mehr.
TOP 50 mit sehr hoher und extremer Verfolgung
In den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex (WVI) leben ca. 5,1 Milliarden Menschen, darunter rund 737 Millionen Christen, von denen rund 312 Millionen einem sehr hohen bis extremen Maß an Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Mittels einer Indexpunktzahl werden die Länder den Verfolgungsrubriken „extrem“ (81–100 Punkte), „sehr hoch“ (61–80 Punkte) und „hoch“ (41–60 Punkte) zugeordnet.
Top Ten im WVI 2022 (Rang im WVI 2021 in Klammern)
1 Afghanistan (2)
2 Nordkorea (1)
3 Somalia (3)
4 Libyen (4)
5 Jemen (7)
6 Eritrea (6)
7 Nigeria (9)
8 Pakistan (5)
9 Iran (8)
10 Indien (10)
Kurt Igler fordert angesichts dieser Entwicklungen zu verstärktem Einsatz westlicher Regierungen auf: „Der diesjährige Weltverfolgungsindex ist ernüchternd“, konstatiert er. „Mit aufstrebenden Islamisten, erneut erstarkendem Nationalismus und totaler Überwachung und Kontrolle wie in China treten wir in eine neue Ära schwindender Bedeutung der Menschenrechte ein. Da die Religionsfreiheit die Grundlage für so viele andere Freiheiten bildet, brauchen wir im Jahr 2022 dringend eine Erneuerung des Engagements zur Stärkung der Menschenrechte. In Zeiten, in denen selbst Lippenbekenntnisse zu den Menschenrechten immer seltener werden, ist der Schutz und die Förderung der Religionsfreiheit dringender denn je.“