Horst D. Deckert

Wenig überrasschendes Wahlergebnis: Flucht nach vorne ins „Weiter so“

Deutschland hat gewählt (Foto:Imago)

Es bleibt nur Ernüchterung nach dieser Wahl. Die „Gewinner“ freuen sich über Schadenminderung auf den letzten Metern, die „Verlierer“ darüber, dass es nicht noch schlimmer kam. Wer immer nächster Kanzler wird, er wird jedenfalls von mindestens Dreivierteln der Deutschen nicht gewählt worden sein.

Armin Laschets „selbstbewusster“ Vorstoß in der gestrigen TV-Elefantenrunde (die eher an die sieben Zwerge erinnerte), eine „Zukunftsregierung“ bilden zu wollen, hat wohl mehr mit dem Kampf ums eigene politische Überleben zu tun: Mit Maximalforderungen will er vom eigenen Scheitern ablenken und unionsintern Rücktrittsforderungen erst gar nicht aufkommen lassen – obwohl ihm Söder und die CSU schon erste Stöcklein in die Speichen stecken. Tatsächlich wäre sein Rücktritt mehr als angebracht, zumindest aber müsste die CDU – auch zum Behufe einer heilsamen inhaltlichen Neu- oder Wiederfindung – in die Opposition gehen, was angesichts des schlechteste Wahlergebnisses seit 1949 (selbst in Laschets Heimatland NRW überholte ihn die SPD) eigentlich eine Selbstverständlichkeit wäre. Stattdessen beansprucht der CDU-Chef, noch vor Scholz, nun stur eine objektiv nicht begründbare Prärogative zur Regierungsbildung.

Angebracht wäre Laschet-Rücktritt und heilsamer Gang in die Opposition

Alles hängt bei den nun anstehenden Dreierbündnis-Sondierungen von den kleineren Partnern ab. Der Entfall des Rot-Rot-Grün-Spuks spätestens infolge des Abschmierens der Linkspartei (die bei 4,9 Prozent nur dank ihrer drei Direktmandate weiter im Bundestag sitzt und vor allem dem Umstand zum Opfer fiel, dass SPD und Grüne sie links über- oder wenigstens eingeholt haben) zwingt alle verbliebenen möglichen Regierungsparteien definitiv zu mehr Realpolitik in den Verhandlungen. Die genuine inhaltliche Nähe von Rot-Grün einerseits und Schwarz-Gelb andererseits macht im einen Fall die FDP, im anderen die Grünen zum Zünglein an der Waage – aber eben auch zum jeweiligen Fremdkörper und Außenseiter.

Eine inhaltliche Einigung mit diesem jeweils benötigten Außenseiter könnte sich als Ding der Unmöglichkeit erweisen. Vor allem, wenn die Grünen an ihrem ideologischen Primat einer „Klima-Regierung“ festhalten, der alle anderen politischen Herausforderungen untergeordnet werden sollen. Sollte eine Regierungsbildung hieran oder an anderen programmatischen Zumutungen scheitern, dann wird am Ende, wie schon 2017 – Claus Strunz wies gestern abend bereits darauf hin – doch wieder nur die ungeliebte Große Koalition übrig bleiben, wohl unter einem Kanzler Scholz, der sich dank eines nun doch deutlich ausgebauten Vorsprungs von knapp zwei Prozentpunkten als einziger echter „Wahlsieger“ fühlen darf. Vor allem eingedenk des demoskopischen Desasters von 13 Prozent Umfragetief, mit dem er in den Wahlkampf gestartet war – und eingedenk der nach wie vor schwelenden Lunten des Cum-Ex- sowie Wirecard-Skandals (die sich im Wahlergebnis offenbar gar nicht niederschlugen).

Am Ende wieder nur die ungeliebte GroKo?

Ehrlicherweise wäre Schwarz-Rot nicht nur das stabilste, sondern auch das natürliche und naheliegende Resultat unter angemessener Würdigung des eigentlichen Wählerauftrags. Denn der steht, bitter aber wahr, für ein „Weiter so“ – und dies trotz historischer Versündigung an Grund- und Freiheitsrechten und demokratischen Tabus, trotz Corona-Freiheitsberaubung und eines sich zum Dauerzustand verfestigenden Gesundheits- und Impfregimes, trotz eines finanz- und wirtschaftspolitischen Harakiri-Kurses und trotz eines grassierenden ressortübergreifenden Politikversagens in der Migrations-, Außen- und Sicherheitspolitik. Die Deutschen wollen es offensichtich nicht anders.

Phänomenal ist in diesem Zusammenhang, dass der beispiellose Absturz der Union in keinster Weise mit Merkels Corona-Politik in Verbindung gebracht wird. Die Hauptverantwortliche der epochalen Katastrophe, die „zuerst das Land, dann die Partei“ (um die gestern Abend von CDU-Generalsekretär Pawel Ziemiak beschworenen Formel zu verwenden) heruntergewirtschaftet hat, wird gnädigst aus allen Schusslinien genommen. Von überall her erschallen Schalmeiklänge und peinliche Elogen auf die „scheidende Kanzlerin“, die angesichts potentiell und erwartbar langwieriger Koalitionsverhandlungen gewiss noch genügend Zeit haben wird, ihr Zerstörungswerk fortzusetzen.

Merkels verschwiegene Hauptschuld

Es seien „16 erfolgreiche Jahre“ gewesen, lautet der kritikfreie Tenor vor allem in den Öffentlich-Rechtlichen. In „titel-thesen-temperamente“ wurde gestern gar Merkels wohl fatalster Satz „Wir schaffen das“ als Ausdruck ihrer typisch weiblichen Zuversicht, als bleibendes Statement für den „Mut“ von Frauen in der Politik bejubelt. Andere Kommentatoren würdigten Merkels hohes Ansehen in der Welt und vor allem in Europa – freilich ohne auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, dass die Tränen, die man ihr im EU-Ausland jetzt nachweint, bestimmt nicht ihrer politischen oder gar visionären „Größe“ gelten.

Sie entspringen vielmehr der nackten Angst, ihr Nachfolger im Kanzleramt könnte den Geldhahn zudrehen und die Pervertierung von Merkels faktisches Amtsverständnis „Europa first, Germany last“ aufkündigen – und auch sonst zur originären Zuständigkeit des deutschen Regierungschefs zurückfinden, sich vorrangig (laut Grundgesetz und Wortlaut des Amtseides sogar ausschließlich) um das Wohl Deutschland und der Deutschen zu kümmern… und nicht um das Europas bzw. einer mit „Europa“ verwechselten zentralistischen Eurokratie.

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