Horst D. Deckert

Will Smith-Ohrfeige wäre nach deutschem Recht möglicherweise legal gewesen

Die Welt diskutiert über die Ereignisse der Oscar-Nacht. Der „Komiker“ Chris Rock machte einen unangemessenen Scherz über die Haare der an einer Krankheit leidenden Frau von Will Smith, woraufhin dieser in der Livesendung aufstand, nach vorne ging und dem Witzbold eine scheuerte. Speziell Linke und Liberale sind trotz der Hautfarbe von Smith aufgebracht, denn für seine Rechte einzutreten ist im Westen verpönt. In Deutschland wäre die Tat möglicherweise rechtlich gedeckt.

Ob Deutsche das wissen? Wir als österreichisches Magazin wussten es jedenfalls bis zu unserer Recherche nicht. Die „Ehre“ gilt in Deutschland neben Leib, Leben und Eigentum als notwehrfähiges Gut. Es gibt sogar einige Urteile, die sich damit beschäftigen, ob Notwehr durch körperliche Gewalt im Falle schwerer, anhaltender Beleidigungen gerechtfertigt ist.

Vor Millionen Zuschauern schlug #WillSmith dem Komiker Chris Rock ins Gesicht. Während die Academy inzwischen angekündigt hat, den Vorfall zu prüfen, übt sich der Schauspieler in Reue. ? https://t.co/EA6ce2ODpT pic.twitter.com/2qF4GjAH1w

— DW Deutsch (@dw_deutsch) March 29, 2022

Notwehr ist in Deutschland im § 32 StGB festgehalten:

Strafgesetzbuch (StGB)
§ 32 Notwehr

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

In § 34 StGB heißt es zum rechtfertigenden Notstand:

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Die Fragestellung wurde schon verhandelt

Im Jahr 2018 beschäftigte sich ein deutsches Gericht mit der Frage, ob es sich um Notwehr handelte, als ein geistig behinderter Mann sich gegen wiederholte Beleidigungen mit mehreren Messerstichen zur Wehr setzte. Sein Kontrahent hatte ihn als Penner und Hurensohn, seine Eltern als Huren bezeichnet. Das Vorliegen von Notwehr wurde bejaht, allerdings aufgrund der doch etwas übertriebenen Mittel als Exzess. In einem spannenden Kommentar führt Rechtsanwalt Carsten Oehlmann dazu aus:

Daran schließt sich die Frage an, ob die Notwehrhandlung überhaupt geeignet war. Während man zunächst bezweifeln kann, ob die Anwendung körperlicher Gewalt überhaupt dazu geeignet ist, die Äußerung von ehrverletzenden Äußerungen zu unterbinden, vermögen diese Überlegungen jedenfalls dann nicht zu überzeugen, wenn dem Angegriffenen keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Denn als einzig wirklich geeignete Maßnahme ließe sich allein das Zuhalten des Mundes denken. Ist dies aber nicht möglich – beispielsweise hier bereits aufgrund der körperlichen Überlegenheit des Angreifers – kann einem körperlichen Angriff jedenfalls nicht gänzlich die Eignung abgesprochen werden, den Angriff auf die Ehre zu beenden, weil der körperliche Angriff mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Reaktionen hervorrufen wird, als die Fortsetzung der Beleidigung. Da hier die Beurteilung aus ex ante-Sicht erfolgt und nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Unterbindens oder der Abschwächung des Angriffs verlangt (vgl. Rosenau in: SSW-StGB, 3. Aufl. 2016, § 32 Rn. 23) wird man die Eignung damit annehmen können.

Somit ist bei fortgeführten Beleidigungen nach deutschem Recht eine Situation gegeben, auf die Notwehr prinzipiell anwendbar ist: Ein andauernder bzw. weiterhin drohender Angriff auf die Ehre. Hier muss allerdings die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Waffeneinsatz kommt nicht in Frage – wie der Rechtsanwalt aber ausführt, darf man dem Angreifer unter Umständen einfach den Mund zuhalten – oder bei körperlicher Unterlegenheit möglicherweise sogar zuschlagen.

Auch Oliver Pocher fing sich eine Maulschelle

Kurz zuvor fing sich der Brachial-„Komiker“ Oliver Pocher, der gerne Witze auf Kosten anderer Menschen macht, eine ordentliche Backpfeife ein. Diese Attacke ist allerdings auch in Deutschland nicht mit Notwehr zu rechtfertigen.

Oliver Pocher kriegt einfach aufs Maul von Fatcomedy pic.twitter.com/YlbKui7zIF

— zeldaking? (@Zelda_king13) March 27, 2022

Rechtlich haltbar und weitaus souveräner war vor längerer Zeit die Zurechtweisung, die Harald Schmidt dem nicht satisfaktionsfähigen Clown angedeihen ließ:

Der Pocher, verbal verhauen. Von Harald Schmidt. https://t.co/GFGqLKiuuO

— Uwe Jelting (@UweJelting) March 28, 2022

Für unsere österreichischen Leser noch ein Hinweis: Ehre ist in Österreich nicht so wichtig, dass man sie mit Gewalt verteidigen darf. Wird man in der Ehre beleidigt, kann man allerdings klagen. Die Rechtsgrundlage für erlaubte Notwehr bietet der § 3 StGB Notwehr:

(1) Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.

(2) Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (Abs. 1) bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschieht, nur strafbar, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist.

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