Es ist so weit: Was lange eine diffuse Befürchtung vieler Chinesen war, scheint nun Realität zu werden: Nach Shanghai und weiteren Multi-Millionen-Metropolen droht nun Chinas Hauptstadt Peking ein radikaler Lockdown. Weil dort gerade einmal 150 Corona-Fälle registriert wurden, musste sich– ganz im Sinne der Zero-Covid-Politik – der Großteil der 22 Millionen Einwohner bis Samstag mehrfach testen lassen. Erste Maßnahmen eines Totalshutdowns wurden bereits eingeleitet.
Von Daniel Matissek
Da es so vor über vier Wochen auch in Shanghai begann, deutet alles darauf hin, dass nun auch in Peking mit militärischer Präzision und Härte die Lockdownmaßnahmen beginnen. Entsprechende viral gegangene Bilder lassen daran keinen Zweifel.
So wurde teilweise bereits Online-Schulunterricht angeordnet, weil rund ein Drittel der Infektionen bei Schülern aufgetreten ware. Die Bewohner von Wohnanlagen wurden aufgefordert, diese nicht mehr zu verlassen. Viele Einwohner haben bereits mit Hamsterkäufen begonnen. Ein Pekinger Onlinehändler berichtete, dass er bereits vergangene Woche an einem Tag bis zu 300 Gefrierschränke verkauft habe – so viel wie sonst in einem Monat. Viele Einwohner Pekings versuchten bereits, aus der Stadt zu fliehen, was von der Polizei durch Überwachung der Ausfahrtsstraßen verhindert wurde.
Shanghai als abschreckendes Beispiel
Das Schicksal Shanghais, dessen über 25 Millionen Einwohner seit Wochen nahezu vollständig von der Außenwelt abgeschnitten sind und wo kaum noch die Lebensmittel-und Arzneiversorgung gewährleistet werden kann, dient als abschreckendes Beispiel – allerdings mittlerweile auch innerhalb der politischen Führungsclique selbst, wo man aus Angst vor landesweiten Unruhen oder unkontrollierbaren Reaktionen des 1,4-Milliarden-Volkes Zustände wie in der wichtigsten Wirtschaftsmetropole des Landes vermeiden will. Das brutale Vorgehen der Shanghaier Behörden schwebt als Menetekel über der Bevölkerung: Die dortige Führung hatte Ende März aufgrund der immensen wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt noch einen Lockdown ausgeschlossen; kurz darauf wurde dieser dann – mutmaßlich als Machtdemonstration oder Bestrafungsaktion für die zu liberale Metropole – von der Zentralregierung angeordnet.
Alptraumhafte Exzesse
Seither litten Menschen, die ihre Wohnung nicht verlassen durften, Hunger. Kinder wurden ihren Eltern entrissen und Infizierte in riesige Quarantänelager einpfercht. Vor den Hauseingängen positiv getesteter Personen wurden grüne Zäune aufstellt, und Militär patrouillierte in den Straßen. Wochenblick berichtete wiederholt über die unerträglichen Shanghaier Zustände (siehe hier und hier).
Wenn es nun in Peking zu einer Wiederholung dieser alptraumhaften Exzesse kommt, dann nicht mehr aus machttaktischen Gründen, sondern eher, weil die Regierung in ihrem Zero-Covid-Wahn keinen Weg zurück mehr findet und daher die Flucht nach vorne antritt. Allerdings könnte dieser fatale Kurs durchaus zu noch mehr Verbitterung im Volk führen, die am Ende dazu angetan sein könnte, das Vertrauen in die totalitär herrschende Kommunistische Partei nachhaltig zu erschüttern.
Massive Schäden für die Weltwirtschaft
Die strengsten Corona-Beschränkungen seit Beginn der Corona-Pandemie gelten derzeit außer Shanghai auch in Guangzhou und Hangzhou, wo die Regierung ebenfalls millionenfache Massentests befohlen hatte, bevor mit dem Lockdown ernstgemacht wurde. Bereits jetzt ergeben sich aus der Zero-Covid-Lockdownpolitik massive Schäden für die Weltwirtschaft: Das Schifffahrtsanalyse-Unternehmen Windward geht davon aus, dass derzeit 20 Prozent der weltweit rund 9.000 aktiven Containerschiffe vor überlasteten Häfen im Stau stehen – davon mindestens 30 Prozent alleine in China. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges drohen damit auch Deutschland und Europa weitere Lieferengpässe.
Maximilian Butek, der Delegierte der deutschen Wirtschaftsverbände in Shanghai, hatte bereits vergangene Woche gewarnt, die Verknappung des Angebots an Lieferungen aus China werde die „bereits jetzt schon hohe Inflation in Deutschland weiter negativ beeinflussen.“ Die „Schockwellen, die der Stillstand hier in China“ auslöse, seien „noch gar nicht im vollen Umfang fassbar.“
Knast für jeden, der über Lockdown spekuliert
Fast identisch hatte sich auch der US-Experte John Bre geäußert: Unternehmen gerieten zunehmend in Panik. „Die aktuellen China-Lockdowns, zusammen mit dem Russland-Ukraine-Krieg“, seien „eine zu schwere Last.“ Das „globale Chaos“ werde die Erschütterungen noch verschärfen und die Inflation „auf ein neues Niveau“ heben. Jacques Vandermeiren, der Chef des Hafen von Antwerpen sagte, er rechne mit einem „größeren Chaos als letztes Jahr.“
Peking setzt seinen harten Kampf gegen die Pandemie fort, insbesondere über das Feiertagswochenende, und schließt Fitnessstudios und Kinos. Schanghai wird trotz sinkender Fallzahlen die Virusmaßnahmen beibehalten, berichtet Bloomberg in diesem Video:
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Ob ein Lockdown in Peking noch zu verhindern ist, hängt – jedenfalls nach inoffiziellen chinesischen Angaben – davon ab, wie sich das weitere Infektionsgeschehen entwickelt. Um eine Massenpanik zu vermeiden, lässt die Regierung die Meldung verbreiten, dass die Lebensmittelversorgung „definitiv gesichert” sei. Und wie schon in den Tagen vor dem Shanghai-Lockdown wird jeder verhaftet, der auch nur Gerüchte über einen bevorstehenden Lockdown verbreitet – obwohl dessen Bevorstehen ein offenes Geheimnis ist.
Ende der Globalisierung?
Sophie Richardson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte: „Die Regierung kann nicht einfach tun, was sie will. Wenn sie einen Lockdown verhängt, muss sie gewährleisten, dass Menschen immer noch Lebensmittel, Trinkwasser, Medizin und medizinische Behandlung für andere Krankheiten als Covid-19 erhalten.“ Zudem hätten die Menschen kaum Zugang zu Informationen. Dies führt dazu, dass es in der ohnehin brodelnden Stadt noch mehr von Gerüchten wimmelt: Obwohl bislang offenbar nur wenige Stadtviertel unter Quarantäne stehen, verbreitet sich zunehmend die Überzeugung, dass die ganze Stadt abgeriegelt werden soll.
Ob diese Vorgänge auch zu innenpolitischen Erschütterungen in China führen, ist noch nicht absehbar. Im Rest der Welt setzt jedoch bereits ein grundsätzliches Überdenken der derzeitigen wirtschaftlichen Zusammenhänge ein: Lorenzo Berbo, Chef eines mexikanischen Unternehmens für die Entwicklung von Industriegebäuden sagte, all das habe „die drängende Notwendigkeit für regionalere Lieferketten“ gesteigert. „Die Globalisierung, wie wir sie kannten, könnte an ihr Ende gekommen sein.“