Bilder von Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und 25 Journalisten maskenfrei nach Kanada fliegend sorgten Ende August für eine Welle der Empörung. Die damalige Begründung, man sei in einem Regierungsflieger nicht an das „Infektionsschutzgesetz“ gebunden, wird von vielen Staatsrechtlern jedoch als nicht haltbar bezeichnet. Hinzu kommt ein weiteres aufschlussreiches Detail: Wie das Verteidigungsministerium jetzt einräumte, musste die Besatzung (Servicepersonal und Piloten) im Gegensatz zu den Regierungs- und Medienvertretern, sehr wohl verpflichtend Maske tragen. Ein Lehrstück über den Klassencharakter der Maßnahmenpolitik – nicht nur bei der Maskenpflicht. Von Florian Warweg
Es ist den zwei WELT-Journalisten Martin Lutz und Benjamin Stibi, Ehre wem Ehre gebührt, zu verdanken, dass die Vorfälle um den Regierungsflug am 21. August nach der ersten Empörungswelle von der Bundesregierung nicht einfach ad acta gelegt werden konnten. Denn vieles harrt nach wie vor der Aufklärung. So hat deren Anfrage an das Verteidigungsministerium unter anderem ergeben, dass an Bord des Regierungs-Airbus A340 ein Zwei-Klassen-System herrschte. Während Kanzler, Wirtschaftsminister und deren Stäbe sowie begleitende Journalisten vom eigentlich im Infektionsschutzgesetz verpflichtend vorgeschriebenen Maskentragen aufgrund einer angeblichen geltenden „Sonderregelung“ befreit waren, galt dies nachdrücklich nicht für das Kabinenpersonal und die Piloten.
Im #Kanzlerflugzeug gelten so ganz eigene Regeln…
“Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen” https://t.co/z09DYaiuNI— Florian Warweg (@FWarweg) August 22, 2022
Die Flugbereitschaft der Bundesregierung teilte diesbezüglich auf Anfrage mit:
„Für die Besatzung bestand während des Aufenthaltes in der Kabine und bei der Durchführung des Services zum Eigenschutz die Verpflichtung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.“
Zudem ergänzte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, dem die Flugbereitschaft untersteht, dass bei Gängen in die Passagierkabine und dortigem Aufenthalt diese Maskenpflicht auch für die Piloten gegolten habe.
Doch es kommt noch härter. Auf Nachfrage, welche Corona-Regeln bei der Luftwaffe (wie bereits erwähnt zuständig für den Betrieb der Flugbereitschaft der Bundesregierung), für den Transport von Soldaten und zivilen Passagieren gelten, erklärte das verantwortliche „Kommando Luftwaffe“ unmissverständlich und ohne jede Einschränkung:
„In den Transportmaschinen A400M des Lufttransportgeschwader 62 gilt grundsätzlich für alle Passagiere wie auch Soldatinnen und Soldaten während der Flüge (z.B. bei Truppentransporten in die Einsatzgebiete) eine Maskenpflicht.“
Rufen wir uns in Erinnerung, dass die Bundesregierung die Sonderregelung damit begründet hatte (bezeichnender Weise oft 1:1 völlig unhinterfragt übernommen von vielen der Scholz und Habeck begleitenden Journalisten), dass die im Infektionsschutzgesetz festgeschriebene Maskenpflicht angeblich nur für „kommerzielle Anbieter“ gelte. Für die Flieger der Regierungsflotte käme eine „Eigenvollzugskompetenz“ der Bundeswehr zum Tragen. In deren Rahmen könne man von den gesetzlich festgelegten Regelungen abweichen. Konkret wurde auf einen mutmaßlichen „Geschwaderbefehl“ (den bis heute kein Journalist hat einsehen können) verwiesen, welcher einen negativen, maximal 24 Stunden alten PCR-Test vorschreibt, aber gleichzeitig die Maskenpflicht zu einer Empfehlung herabstuft.
Diese Argumentation wird aber von prominenten Staatsrechtlern buchstäblich in der Luft zerrissen und als rechtswidrig eingestuft. So erklärt unter anderem Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre in Köln, dass die Argumentation à la Maskenpflicht gelte nur auf kommerziellen Flügen juristisch nicht haltbar sei:
„Im Infektionsschutzgesetz ist eindeutig vorgeschrieben, dass in Verkehrsmitteln des Luftverkehrs grundsätzlich alle Fluggäste eine Maske zu tragen haben – und zwar unabhängig davon, ob es sich um kommerzielle Flüge handelt oder nicht. Anders als bei militärischen Aufträgen (z.B. Alarmrotten) handelt es sich bei den Reisen der Flugbereitschaft unzweifelhaft um einen solchen Luftverkehr, denn sie dienen dem Personentransport und nicht als Einsatzmittel.“
Diese Einschätzung bestätigt gegenüber der WELT auch Anna Leisner-Egensperger, Professorin für Öffentliches Recht in Jena. Laut Ihrer Einschätzung stimme es zwar, dass die Bundeswehr für Maschinen der Flugbereitschaft eine eigene Vollzugskompetenz habe. Diese berechtige die Bundeswehr, für sämtliche Personen, die sich an Bord einer Regierungsmaschine befinden, strengere Hygieneregeln als im Infektionsschutzgesetz bestehen einzuführen, aber nicht diese abzuschwächen. Sie betont abschließend:
„Diese Eigenvollzugskompetenz reicht aber nicht so weit, die im Infektionsschutzgesetz allgemein angeordnete Maskenpflicht auszusetzen. Hierfür wäre eine Rechtsverordnung der Bundesregierung erforderlich gewesen.“
Der Oldenburger Staatsrechtler Boehme-Neßler findet in seiner rechtlichen Bewertung noch deutlichere Worte:
„Die Vorstellung, ein Bundeswehrbefehl könne ein Gesetz ändern, ist in der rechtsstaatlichen Demokratie völlig absurd. Eine Ausnahme zur Maskenpflicht kann nur das demokratisch gewählte Parlament beschließen.“
Man fühlt sich angesichts dieses Vorgangs unwillkürlich an die Szene in Joseph von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erinnert, in welcher die Sentenz „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“ (im Original „Quod licet Iovi, non licet bovi“) erstmals breitere Bekanntheit erlangte.
In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts erläuterte der deutsche Philosoph Wilhelm Traugott Krug diesen Sinnspruch mit den Worten:
„Ein Grundsatz, der sagen will, dass sich großen Herren über die gemeine Moral, nach der wir uns zu richten haben, wohl hinwegsetzen dürfen, wenn es ihnen so beliebt.“
Auch ziemlich genau 200 Jahre menschlicher und gesellschaftlicher Entwicklung später scheint sich an diesem „Grundsatz“ nicht viel geändert zu haben. q.e.d.
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