Horst D. Deckert

Zweiter Lockdown macht für depressive Menschen alles noch schlimmer

Depressive Menschen haben zurzeit besonders zu kämpfen. Zu diesem Ergebnis kommt das kürzlich veröffentlichte Deutschland-Barometer Depression. Im Februar 2021 wurden dazu 5135 Personen zwischen 18 und 69 Jahren befragt.

«Jeweils 16 Prozent der depressiv Erkrankten berichten von einem Rückfall oder einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik. Acht Prozent hatten Suizidgedanken oder suizidale Impulse», teilt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit, die gemeinsam mit der Deutsche Bahn Stiftung das Barometer lanciert hat.

Insgesamt habe sich im zweiten Lockdown bei fast der Hälfte der Teilnehmer die Situation in den vergangenen sechs Monaten deutlich verschlechtert. 13 der 1994 Befragten, die als depressiv eingestuft wurden, gaben an während des vergangenen halben Jahres einen Selbstmordversuch unternommen zu haben. «Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung würde das allein für diese Gruppe Betroffener circa 140’000 Suizidversuche innerhalb eines halben Jahres ergeben», heisst es weiter.

Aber nicht nur für depressive Menschen, auch für die Allgemeinbevölkerung ohne psychische Erkrankungen sei die gegenwärtige Lage «deutlich belastender» als noch während des ersten Lockdowns. «Immer mehr ziehen sich zurück, die Sorgen um die berufliche Zukunft und die familiäre Belastung nehmen zu.»

Während des ersten Lockdowns nahmen laut der Umfrage noch 59 Prozent (im Sommer 2020 36 Prozent) der Teilnehmer die Situation als belastend und bedrückend war. Inzwischen seien es 71 Prozent. Auch der Anteil derjenigen, die ihre Mitmenschen als rücksichtsloser erlebten, sei um sechs auf 46 Prozent gestiegen.

Als beeinträchtigend werden zudem die fehlende Alltagsstruktur, Sorgen um die berufliche Zukunft, familiäre Belastungen, Bewegungsmangel und das Wegbrechen sozialer Kontakte wahrgenommen. Insbesondere der Verlust strukturierter Abläufe sei gerade für depressive Menschen besonders schwerwiegend.

Eine zusätzliche Herausforderung für depressive Menschen sei auf den Umstand zurückzühren, dass im zweiten Lockdown deutlich häufiger Behandlungstermine ausgefallen wären.

«22 Prozent der Befragten in einer depressiven Phase berichten von ausgefallenen Facharzt-Terminen in den letzten sechs Monaten…, bei 18 Prozent fiel ein Termin beim Psychotherapeuten aus. 21 Prozent der Betroffenen geben an, von sich aus Behandlungstermine aus Angst vor Ansteckung abgesagt zu haben.»

Angesichts dieser Ergebnisse zieht Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, folgendes Fazit:

«Es ist dringend notwendig, bei der Entscheidung über Massnahmen gegen Corona den Blick nicht nur auf das Infektionsgeschehen zu verengen. Es müssen auch Leid und Tod systematisch erfasst werden, die durch die Massnahmen verursacht werden.»

Ähnliche Nachrichten