von Fritz Vahrenholt auf Sandwirt.de
Anfang Dezember ist in Europa von Polen über Deutschland bis Frankreich etwas eingetreten, das unsere Regierung und viele Bürger gar nicht mehr auf dem Schirm hatten: Auf einmal war der Winter mit Schnee und Kälte da.
Eigentlich sollte das im Dezember niemanden verwundern, aber in diesem Lande haben die meisten doch mit einem warmen Winter gerechnet. Weil wir ja ständig von der Klimaerwärmung reden, haben wir den echten Winter fast vergessen, und in der Politik kommt er schon kaum noch vor.
Gasvorräte schrumpfen
Der Deutsche Wetterdienst hatte die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit im November tatsächlich noch beruhigt:
„Wir erwarten einen vergleichsweise milden Winter. Sollte das Modell recht behalten, können wir dadurch Heizenergie einsparen.“
Das hörte sich mittlerweile wie regierungsamtliches Pfeifen im Walde an, denn auf einmal sah es anders aus, und die neue Wetterlage zehrte unmittelbar an unseren Gasvorräten. Der Füllstand der Gasspeicher in Deutschland war am 15.12. auf 89,21 Prozent gefallen, das waren 1,02 Prozentpunkte weniger als am Vortag und nahezu 4 Prozentpunkte weniger als am 10.12.
Jeder kann sich ausrechnen, wie lange Speicher, die nach Vorgabe der Bundesregierung im Februar noch 40 Prozent Speicherstand haben sollen, bei anhaltender Kälte reichen werden (Sie können die Entwicklung übrigens, und ich empfehle Ihnen das sehr, täglich im Netz nachverfolgen: ).
Wenn wir uns nur mal kurz vorstellen, wir hätten länger andauernde Kälte und jeden Tag ginge dabei ein Prozent weg: Bei 50 Tagen hätten wir noch 39 Prozent im Speicher, bei 80 Tagen hätten wir nur noch 9 Prozent!
Gas nach Frankreich
Der Grund für die schelle Speicherleerung liegt nicht zuletzt in zwei Fehlern der Regierung: Zum einen hat sie eben den Winter nicht einkalkuliert, sie hat ihre Prognosen an den milden Wintern der letzten Jahre orientiert.
Und der zweite Fehler war: Sie hat sich auf die Kernenergie in Frankreich verlassen. Es war eh schon ein starkes Stück, dass sich ein Land, das aus der Kernenergie aussteigen will, energiepolitisch nur über Wasser halten kann, wenn es Kernenergie aus einem anderen Land importiert.
Aufgrund von technischen Probleme und Wartungsarbeiten hat nun aber zudem die Stromproduktion in Frankreich in den vergangenen Monaten einen historischen Tiefstand erreicht: Die zurzeit laufenden Kernkraftwerke liefern nur 39 Gigawatt von normalerweise möglichen 61 Gigawatt. Die Folge: Frankreich importiert deswegen mehr Strom als sonst üblich aus Deutschland.
Und das hat wiederum auch mit der Wetterlage zu tun, denn die Franzosen heizen mit Strom und brauchen wegen der Kälte davon mehr als sonst. Und Deutschland liefert diesen Strom auf der Basis von: Gas!
Sonne und Wind sind nicht immer da
Aber der Wettergott spielte bei den grünen Wunschvorstellungen auch auf andere Weise auf einmal nicht mehr so richtig mit. Denn es war nicht nur kalt, sondern wir hatten auch noch eine Hochdrucklage, und das heißt: Es war kein Wind da! Die Flaute hielt 18 Tage an.
Auch das war eigentlich überhaupt keine Überraschung, aber auch wieder von der Regierung nicht eingeplant. Die geht stillschweigend davon aus, dass irgendwie immer genug Sonne und Wind zur Verfügung stehen.
In meinen Vorträgen erwähne ich deswegen immer wieder gerne, dass die Sonne nachts nicht scheint. Dann lachen alle, und vielen von ihnen scheint da erst bewusst zu werden, was das für die Sonnenenergiegewinnung bedeutet. Und im Winter verschärft sich das Problem: Da scheint die Sonne vielleicht drei Stunden am Tag und mit schwacher Kraft – wenn sie überhaupt scheint.
Jetzt, so meinen viele, kann aber ja der Wind einspringen. Aber wenn der wie zuletzt auch nicht da ist, dann ist das nicht etwa ein unglücklicher Ausnahmefall, sondern eine Situation, die meteorologisch sehr häufig vorkommt: Kälte plus Windstille, oder, anders ausgedrückt: Dunkelflaute.
Der Luftdruck macht den Unterschied
Das liegt an der Nordatlantischen Oszillation, der NAO, dem Luftdruckunterschied zwischen dem Island-Tief und dem Azoren-Hoch. Wenn der Unterschied groß ist, also wenn das Hoch und das Tief besonders stark ausgeprägt sind, liegt eine positive NAO vor. Wenn der Unterschied im Luftdruck geringer ist, befindet sich die NAO in der negativen Phase.
Diese Druckunterschiede sind für das europäische Winterklima von entscheidender Bedeutung. Sie bestimmen, wo die vom Atlantik hereinkommenden Westwinde an Land kommen. Bei einer positiven NAO erreichen die Westwinde, die jede Menge Feuchtigkeit und milde Meeresluft vom Ozean mitbringen, Europa weiter im Norden und ziehen über die Britischen Inseln, Deutschland und Mitteleuropa. Die Winter sind dort dann feuchter und wärmer als normal.
Bei einer negativen NAO lassen die Westwinde es auf der Iberischen Halbinsel kräftig regnen, in Mittel- und Nordeuropa macht sich gleichzeitig kalte Polarluft breit. Und das hat zur Folge: Es ist kalt UND es ist kein Wind da. Eine solche negative Nordatlantische Oszillation hatten wir in den letzten Wochen und dies führte zu erheblichen Problemen bei der Stromerzeugung.
Wie lange reicht das Gas?
„Die Verfügbarkeit von Energie für die elektrische Stromerzeugung ist für diesen Winter gesichert“,
sagte Robert Habeck auf einer Pressekonferenz in Süd-Afrika zur Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland. Doch wenn man analysiert, woher der Strom in diesen Tagen in Deutschland kommt, ist das alles andere als beruhigend. Im folgenden Diagramm sehen wir die Stromerzeugung seit dem 1.12.
Stromproduktion Energy Charts
Die Solarenergie lieferte praktisch kaum etwas, Windenergie litt unter einer anhaltenden Flaute. Am 10.12. um 15 Uhr wurden zum Beispiel 60 Gigawatt Strom verbraucht. Solar (hellgelb) lieferte 0,7 GW, Wind onshore (hellgrün) 1 GW, offshore (graugrün) 1,6 GW. Die Hoffnungsträger der Energiepolitik unserer Regierung trugen an einem Tag im Dezember tagsüber zusammen gerade mal 3,3 GW, also nur 5,5 Prozent zur Stromerzeugung bei!
Die von allen in Gedanken schon abgeschriebene Steinkohle dagegen lieferte (dunkelbraun) 12 GW, also 20 Prozent, und die Braunkohle (mittelbraun) 14,6 GW – das sind 24 Prozent.
Selbst die im Streckbetrieb befindliche Kernenergie (rot) lieferte mit 3,8 GW (6,3 Prozent) mehr als Solar- und Windenergie zusammen.
Ein Gas- und ein Stromproblem
Und was ist momentan die Hauptstütze unserer Stromerzeugung? Das Erdgas – die knappste Energie, die wir haben! Im Diagramm ist das die hellbraune Fläche mit 16 GW. Das sind 26,7 Prozent des Stromverbrauchs (auch das können Sie täglich aktuell mitverfolgen. Klicken Sie oben links auf „Leistung“ und dann auf „Stromerzeugung“).
Früher lag der Gasanteil in der Stromerzeugung im Durchschnitt bei 10 bis 12 Prozent. Jetzt sind wir bei mehr als der doppelten Menge. Wenn man wie Deutschland Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke abschaltet und sich auf Wind und Sonne verläßt, hat man eben nicht nur ein Gas-, sondern auch ein Stromproblem, sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister …
Wie soll Deutschland in solchen Wetterlagen wie zuletzt versorgt werden, wenn im Jahre 2024 die kurzfristig hinzugeschalteten Stein-und Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen und die Kernkraftwerke schon im April 2023 abgeschaltet worden sind ?
Denken Sie sich mal diese ganze braunen Flächen auf dem Diagramm weg. Die machen jetzt zwei Drittel bis drei Viertel aus. Wo soll dieser Strom herkommen – in zwei Jahren, in fünf Jahren? Wie soll das passieren, durch was?
3 x 0 = 0
Der Kanzler würde sagen: Wir arbeiten an einer Wind- und Solaroffensive, dazu haben wir Gesetze geschaffen. Und was sagt er, wenn man dann anmerkt, dass wir zu unregelmäßig Sonne haben und zudem eine Windflaute, bei der auch eine Verdreifachung der Windräder nichts nutzt, denn drei mal Null ist immer noch Null?
Dann wird er auf die Wasserstoffinitiative verweisen und behaupten, wir würden über Wasserstoff Flauten abpuffern. Das hört sich toll an, aber jetzt muss man sich klarmachen, was eigentlich 12 oder 14 Tage Flaute ausmachen. Für 14 Tage Flaute brauchen wir jeden Tag 1,8 Terawattstunden, also 2.520 Terawattstunden. Das ist eine Wahnsinnsmenge und die Hälfte des österreichischen Energieverbrauchs in 14 Tagen. Wie wollen wir das durch Wasserstoff ersetzen?
Und was alle zudem immer noch vergessen: Wasserstoff ist ja keine Primärenergie, er muss erstmal erzeugt werden aus Wind- und Solarenergie. Bei der Herstellung verliert man 30 Prozent und bei der Wiederverstromung mehr als die Hälfte. Da bleiben nur 25 bis 30 Prozent über. Anders ausgedrückt: Der Strom ist 3 bis 4 mal so teuer.
Einige Neunmalkluge weisen auf die Autobatterien der E-Autos hin. Doch selbst wenn wir 40 Millionen E-Autos hätten, reichte die im Notfall zurückgespeiste Strommenge gerade mal für einen Tag. Und am nächsten Tag kann keiner mehr Auto fahren.
Mit der AMO rechnen
Dabei müssen wir in Zukunft nicht weniger, sondern wieder vermehrt mit weniger Erwärmung rechnen. Das liegt an einem Ozeanzyklus, der auch der Klimaerwärmung durch CO2 – die ja keineswegs zu bestreiten ist – entgegenwirken kann: der Atlantischen Multidekadischen Oszillation (AMO). Die hat einen sinusartigen Verlauf mit 60-jährigem Zyklus: 30 Jahre Erwärmung und 30 Jahre Abkühlung. Wir befinden uns seit 30 Jahren in einem Warm-Zyklus, der Nordatlantik ist 0,3 Grad wärmer als im Durchschnitt und 0,6 Grad wärmer als Ender 70er Jahre.
Ein Teil der Erwärmung Europas, die dem Klimawandel zugeschrieben wird, hat also seinen Ursprung in diesem ganz natürlichen Zyklus. Und klar ist: Die AMO wird wieder abknicken, und dann bekommen wir wieder diese Verhältnisse wie Ende der 70er Jahre.
Wir müssen mit der AMO rechnen, und das nicht nur für ein oder zwei, sondern für 30 Jahre. Das ist ein Muster, das sich natürlich nicht auf ein Jahr genau berechnen läßt, das dauerte auch schon mal 25 oder 35 Jahre. Aber der Peak des augenblicklichen Zyklus ist erreicht.
Es wird nicht wärmer
Die Entwicklung der AMO zu verfolgen ist spannend (das können Sie hier tun: ). In den letzten Monaten ist der Atlantik schon kälter geworden. Wenn Sie das Mittel der letzten 40 Jahre nehmen, ist der Nordatlantik genauso warm oder genauso kalt wie vor 40 Jahren. Er hat sich in diesem Jahr richtig schön abgekühlt, und der Mittelatlantik fängt jetzt auch an, kälter zu werden (das können Sie hier schön verfolgen:).
Außerdem ist die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) seit 2017 zurückgegangen. Im November 2022 betrug die globale Temperaturabweichung nur noch 0,17 Grad Celsius gegenüber dem 30 jährigen Mittel (siehe folgende Grafik). Die durchschnittliche Temperatursteigerung pro Jahrzehnt beträgt seit 1979 nach wie vor 0,13 Grad Celsius – kein Hinweis auf eine besorgniserregende oder gar katastrophale Entwicklung.
Globale Temperaturabweichung, sat. Messungen der University of Alabama (UAH)
Was müßte getan werden?
Es kann in diesem Winter noch einmal gut gehen. Aber was ist mit dem nächsten und dem übernächsten Winter? Und wohin entwickeln sich die Preise, wenn Gas und Strom zu knapp sind? Auf Dauer werden sich industrielle Arbeitsplätze und der damit verbundene Wohlstand in Deutschland nicht halten lassen, wenn die Preise von Strom und Gas hierzulande ein Vielfaches der Preise in den USA oder China betragen. Das Angebot an preiswerter, umweltfreundlicher, versorgungssicherer Energie muss erhöht werden.
Es braucht eine Zeitenwende der Energiepolitik, die uns in diese missliche Lage gebracht hat. Die Regierung muss den Krieg gegen den Kohlenstoff beenden. Sie muß sich damit befassen, den vorhandenen Erdgasschatz in der norddeutschen Tiefebene und unter der Nordsee zu fördern, Kohlekraftwerke durch CO2-Abscheidung zu grünen Energiequellen zu machen und die noch bestehenden Kernkraftwerke preiswerten CO2-freien Strom produzieren zu lassen. So, wie es sogar der Weltklimarat gefordert hat: Ja zur Kernenergie, ja zu fossilen Quellen mit CO2-Abscheidung und ja zu Erneuerbaren Energien. Dann kommen wir gut durch die Winter der nächsten Jahre.