Horst D. Deckert

Nord-Stream-Yacht-Geschichte ist ein Ablenkungsmanöver

Anm. der Redaktion: Seymour Hersh ist im Februar zum Schluss gekommen, dass die US-Regierung hinter der Nord-Stream-Sabotage steckt. Zuletzt wollen die New York Times und die Zeit in eigenen Recherchen herausgefunden haben, dass Ukrainer hinter dem Anschlag stehen. In einem jüngsten Beitrag auf Substack, den wir ins Deutsche übersetzt haben, nimmt Hersh ausführlich dazu Stellung.

Der amerikanische Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) führt ständig verdeckte Operationen auf der ganzen Welt durch. Diese müssen stets auch als Tarngeschichte standhalten. Nämlich für den Fall, dass die Dinge schlecht laufen, was oft der Fall ist.

Genauso wichtig ist es, dass die Dienste eine Erklärung bereit haben, wenn die Dinge gut laufen. So wie im letzten Herbst in der Ostsee. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung meines Berichts, der aufzeigte, dass Joe Biden die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines angeordnet hatte, produzierte die Agentur eine Titelgeschichte. Sie fand willige Abnehmer in der New York Times und zwei grossen deutschen Publikationen.

Mit der Erfindung einer Geschichte über Tiefseetaucher und eine Besatzung, die nicht existierte, folgte die Agentur dem Protokoll (…). Im Zentrum der Geschichte stand eine mythische Yacht, die den ironischen Namen Andromeda trug – benannt nach der schönen Tochter eines mythischen Königs, die nackt an einen Felsen gekettet war. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) unterstützte diese Tarngeschichte.

Mein ursprünglicher Bericht hat weltweit Beachtung gefunden. In den grossen Zeitungen und Fernsehsendern in den Vereinigten Staaten wurde er jedoch ignoriert. Just in dem Moment, wo meine Geschichte in Europa und anderswo im Ausland an Fahrt aufgenommen hatte, veröffentlichte die New York Times am 7. März ihren Bericht.

Darin wurden US-Beamte zitiert, die behaupteten, der amerikanische Geheimdienst habe Informationen gesammelt, die darauf hindeuten, dass eine pro-ukrainische Gruppe die Pipelines sabotiert habe.

Beamte, die die neuen Informationen «geprüft» hätten, bezeichneten diese als «einen Schritt zur Feststellung der Verantwortung» für die Sabotage der Pipelines, hiess es in dem Bericht.

Die Times-Story erregte weltweites Aufsehen. Doch seitdem hat die Zeitung nichts mehr darüber gesagt, wer was getan hat. In einem Interview für einen Times-Podcast erklärte einer der drei Autoren des Artikels versehentlich, warum die Geschichte von Anfang an tot war.

«Wie kommen Sie darauf, dass das passiert ist?», fragte der Moderator den Journalisten und wollte mehr über die Beteiligung der angeblichen pro-ukrainischen Gruppe wissen. Darauf antwortete der Journalist: «Ich sollte ganz klar sagen, dass wir wirklich sehr wenig wissen. Richtig?»

Am 3. April berichtete die Washington Post, dass einige europäische Ermittler inzwischen bezweifeln, dass die Pipeline mit der Andromeda sabotiert worden sei. Denn ohne die Hilfe eines zweiten Schiffes sei dies eigentlich unmöglich. Auch fragen sich einige Leute in Europa, ob die Rolle der Andromeda «etwas zur Ablenkung oder nur ein Teil des Bildes» sei.

In dem Artikel wurde nicht behauptet, dass die Biden-Administration in die Zerstörung der Pipeline verwickelt war. Dafür wurde ein ungenannter europäischer Diplomat zitiert. Er sagte: Jeder könne sehen, dass dort eine Leiche liege, aber alle täten so, als sei alles normal.

«Es ist besser, nichts zu wissen», sagte der Diplomat. Kein amerikanischer Beamter wurde, auch nicht einmal anonym, von der Post zitiert. Die Biden-Administration ist zu einer Nord Stream-freien Zone geworden.

Hut ab vor den verschiedenen CIA-Beamten, die es geschafft haben, die Medien im In- und Ausland mit erfundenen Geschichten zu versorgen. Sie versuchten damit erfolgreich, die Aufmerksamkeit der Welt auf mögliche Verdächtige ausserhalb des logischsten Verdächtigen zu richten, nämlich des Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Ein europäischer Politiker sagte, dass die Transponder von 45 Schiffen nicht funktionierten, als sie das Gebiet passierten, in dem die Pipelines gesprengt wurden.

Diese Informationen habe er vom Geheimdienst seines Landes erhalten. Die Dienste hätten die entsprechenden Infos gesammelt. Eines dieser so genannten «Geisterschiffe» könnte die Minen platziert und später die Sprengung ausgelöst haben.

Kurz nach der Times veröffentlichte Die Zeit (…) eilig einen Bericht über eine Untersuchung zum Nord-Stream-Bombenanschlag, den die Zeitung in Zusammenarbeit mit einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender monatelang recherchiert hatte.

Die Wochenzeitung hatte etwas Neues: Sie identifizierte eine Yacht, die, wie sie berichtete, «von einer Firma in Polen gemietet wurde, die offenbar zwei Ukrainern gehört».

Zu der Gruppe, die die Yacht mietete und die die Zerstörung der Pipeline durchgeführt haben soll, gehörten angeblich ein Kapitän, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und ein Arzt.

Die «Attentäter», wie Die Zeit sie bezeichnete, deren Namen weder veröffentlicht noch bekannt sind, sollen gefälschte Pässe benutzt haben. Den benötigten Sprengstoff hätten sie zum Tatort transportiert. Die Yacht soll in Richtung der dänischen Insel Bornholm gefahren sein, die sich in der Nähe des Ortes befindet, an dem die Pipeline sabotiert wurde.

Die Yacht sei der Firma, die sie geleast hatte (…), in einem «ungereinigten Zustand» zurückgegeben worden. Dies habe dazu geführt, dass deutsche Ermittler auf einem Kabinentisch Sprengstoffspuren finden konnten, berichtete die Zeitung.

Später hiess es, die Ermittler hätten auch zwei gefälschte ukrainische Pässe auf der Yacht gefunden. In einem späteren Bericht des Wochenmagazins Der Spiegel hiess es, die fragliche Yacht habe den Namen Andromeda.

Nach der Publikation des genannten Berichts veröffentlichte ich einen Artikel, in dem ich die Vermutung äusserte, dass die Informationen, die die deutsche Bundespolizei sowohl der Zeit als auch dem Spiegel zur Verfügung gestellt hatte, vom US-Geheimdienst stammten.

Holger Stark, der Autor des Zeit-Berichts (…), wandte sich daraufhin an mich und beschwerte sich über diese Behauptung. Stark – ein erfahrener Journalist, den ich kenne, seit er vor etwa zehn Jahren in Washington gearbeitet hat – sagte mir, er habe ausgezeichnete Quellen bei der deutschen Bundespolizei. Er sagte, er habe das, was er berichtet habe, durch diese Verbindungen erfahren und nicht von irgendeinem Geheimdienst, weder dem deutschen noch dem amerikanischen. Ich glaubte ihm das und habe die Geschichte sofort korrigiert.

Ich gebe zu: Es ist für jeden Journalisten schwierig, über einen Journalistenkollegen zu schreiben – insbesondere über einen guten. Aber in diesem Fall geht es um die Annahme von Tatsachen, die hätten hinterfragt werden müssen.

Ich habe Stark zum Beispiel nicht gefragt, ob er sich nicht wundert, warum eine US-Zeitung, die fast viertausend Meilen entfernt ist, dieselbe Behauptung über eine Gruppe ungenannter Ukrainer veröffentlicht, von der Beamte in Deutschland sagen, dass sie sie verfolgt hätten – die Gruppe soll nicht mit der Führung in Kiew in Verbindung stehen.

Wir sprachen über eine Tatsache, die Stark erwähnte: Beamte in Deutschland, Schweden und Dänemark hatten kurz nach den Bombenanschlägen auf die Pipeline beschlossen, Teams an den Ort zu schicken, um die eine Mine zu bergen, die nicht explodiert war.

Er sagte, diese Beamten seien zu spät dran gewesen; ein amerikanisches Schiff sei innerhalb von ein oder zwei Tagen zur Stelle gewesen und habe die Mine und andere Materialien geborgen.

Ich fragte ihn, warum die Amerikaner seiner Meinung nach so schnell vor Ort waren. Und er antwortete mit einer Handbewegung: «Sie wissen doch, wie Amerikaner sind. Sie wollen immer die Ersten sein.» Es gab noch eine andere, sehr offensichtliche Erklärung.

Der Trick einer guten Propagandaoperation besteht darin, die Zielpersonen – in diesem Fall die westlichen Medien – mit dem zu versorgen, was sie hören wollen. Ein Geheimdienstexperte drückte es für mich noch prägnanter aus:

«Wenn man eine Operation wie die Pipelines durchführt, muss man eine Gegenoperation planen – ein Ablenkungsmanöver, das einen Hauch von Realität hat. Und es muss so detailliert wie möglich sein, damit es geglaubt wird.»

«Die Menschen haben heute vergessen, dass es so etwas wie eine Parodie gibt», so der Experte. «Gilbert und Sullivans H.M.S Pinafore ist keine Geschichte der Royal Navy im 19. Jahrhundert. Es ist eine Parodie. Das Ziel der CIA im Fall der Pipeline war es, eine Parodie zu produzieren, die so gut war, dass die Presse sie glauben würde. Aber wo soll man anfangen? Man kann die Pipelines nicht durch eine Bombe aus einem Flugzeug oder durch Seeleute auf einem Gummiboot zerstören lassen.» Weiter:

«Aber warum nicht ein Segelboot? Jeder Student, der sich ernsthaft mit dem Ereignis beschäftigt hat, weiss: Man kann ein Segelboot nicht in Gewässern ankern, die 260 Fuss tief sind» – die Tiefe, in der die vier Pipelines zerstört wurden – «aber die Geschichte war nicht an ihn gerichtet, sondern an die Presse, die eine Parodie nicht erkennt, wenn sie ihr vorgelegt wird».

Der Geheimdienstexperte zählte alle Elemente auf, die erforderlich sind, bevor eine Einzelperson oder eine Gruppe eine teure Yacht chartern kann. «Man kann nicht einfach mit einem gefälschten Pass auf die Strasse gehen und ein Boot mieten.

Man muss entweder einen Kapitän akzeptieren, der vom Vermieter oder Yachteigentümer gestellt wird, oder einen Kapitän, der über eine entsprechende Befähigung verfügt, wie es das Seerecht vorschreibt. Jeder, der schon einmal eine Yacht gechartert hat, weiss das.»

Ein ähnlicher Nachweis von Sachkenntnis und Kompetenz ist bei Tauchern und Ärzten erforderlich, die sich auf Tiefseetauchgänge vorbereiten. (…) Der Sachverständige hatte noch weitere Fragen zu der angeblichen Yacht.

«Wie kann ein 49-Fuss-Segelboot die Pipelines in der Ostsee finden? Die Pipelines sind nicht so gross und auch nicht auf den Seekarten verzeichnet, die mit dem Mietvertrag geliefert werden. Vielleicht wollte man die beiden Taucher ins Wasser lassen (…) und die Taucher danach suchen lassen. Wie lange kann ein Taucher in seinem Anzug unten bleiben? Vielleicht fünfzehn Minuten. Das bedeutet, dass ein Taucher vier Jahre brauchen würde, um eine Quadratmeile abzusuchen.»

«Keine dieser Fragen wird von den Medien gestellt. Sie haben also sechs Leute auf der Yacht – zwei Taucher, zwei Helfer, einen Arzt und einen Kapitän, der das Boot mietet. Eine Sache fehlt noch – wer wird die Yacht bemannen? (…) Und was ist mit dem Logbuch, das die Leasingfirma aus rechtlichen Gründen führen muss?»

«Nichts davon ist passiert», sagte mir der Experte. «Hören Sie auf, das mit der Realität zu verbinden. Es ist eine Parodie.»

Die Berichte in der New York Times und in der europäischen Presse enthalten keinen Hinweis darauf, dass ein Journalist an Bord gehen und die fragliche Yacht physisch untersuchen konnte. Sie erklären auch nicht, warum die Passagiere einer Yacht nach einer Anmietung gefälschte oder andere Pässe an Bord zurücklassen würden. Es wurden Fotos eines Segelboots im Trockendock namens Andromeda veröffentlicht.

Nichts von alledem kann eine schlechte Tarngeschichte retten, sagte mir der Geheimdienstexperte. «Der Versuch, Fiktion in Wahrheit zu verwandeln, wird ewig weitergehen. Jetzt taucht nach den Ermittlungen das Bild eines Segelboots auf, das nicht zurückverfolgt werden kann – ohne Kennzeichen, wo es eigentlich hingehört. Die Andromeda hat in der Presse den Piltdown-Menschen ersetzt.»

Der Experte hatte noch einen letzten Gedanken: «In der Welt der professionellen Analysten und Operatoren wird jeder aus Ihrer Geschichte allgemein und korrekt schliessen, dass die teuflische CIA eine Gegen-Operation ausgeheckt hat, die auf den ersten Blick so lächerlich und kindisch ist, dass der wahre Zweck darin bestand, die Wahrheit zu bekräftigen.»

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