Horst D. Deckert

Alternative Medien stabilisieren bloss das bestehende System

Die alternativen Medien haben in dem Mass an Bedeutung gewonnen, wie die Systemmedien den Diskursraum eingeschränkt haben: Dieses Vakuum füllten die alternativen Medien als Plattform, um den unterschiedlichsten Sichtweisen auf gesellschaftliche, politische, systemische, philosophische und weltanschauliche Fragestellungen Raum zu geben.

Den Lesern Möglichkeiten anbieten, ihre Perspektive zu erweitern, ihren Blick nach innen wie nach aussen zu schärfen, sich an einem Diskurs zu beteiligen und gegebenenfalls auch ins (gemeinsame) Handeln zu kommen, das wäre in meinen Augen die Aufgabe der alternativen Medien.

Schon vor geraumer Zeit hat mich jedoch das Gefühl beschlichen, dass die alternativen Medien diesem Anspruch nicht gerecht werden. Denn es sind die immer gleichen Autoren, die aus immer gleicher Perspektive Beiträge veröffentlichen: Die Autoren reiten ihr persönliches Steckenpferd durch alle tagesaktuellen Krisen.

Sie sonnen sich dabei gerne in der Brillanz ihrer Analysen und Ideen. Sie bieten ihren Lesern keinen Dialog an. Der Tenor vieler Artikel lautet: Es wird alles gut, wenn die Menschen nur endlich so werden würden, wie von den Autoren beschworen – freilich ohne dass sie mit gutem Beispiel vorangingen. Viele Artikel lassen die Leser mit verengtem Tunnelblick oder ohnmächtig zurück.

Ich habe versucht, mein Gefühl zu objektivieren. Dazu habe ich von einem alternativen Medium zu allen circa 2500 Artikeln der letzten zwei Jahre eine Liste der Autoren zusammengestellt.

Von knapp 500 Autoren haben 16 Vielschreiber etwa die Hälfte aller Artikel erstellt! An der Spitze macht das rund ein Artikel pro Autor und Woche aus. Wir reden hier wohlgemerkt nicht von Nachrichten, Reportagen oder sonstigen Sachinformationen. Wir reden von Artikeln, in denen genuine Meinungen oder Ratschläge der Autoren in Bezug auf einen ausgesuchten Aspekt der Welt transportiert werden.

Ich habe den Eindruck, als sähe das Ergebnis bei den meisten der anderen alternativen Medien kaum besser aus. Ich habe sogar den Eindruck, dass sich bei den alternativen Medien übergreifende geschlossene Zirkel gebildet haben: ein Netzwerk von Herausgebern, Redaktionen und Vielveröffentlichern.

Immer die gleichen Autoren, die mit grosser Taktrate Artikel veröffentlichen – viele nicht nur in einem alternativen Medium, sondern gleich in mehreren. Hinzukommen noch die vielen Querveröffentlichungen und die Reputations-, Zitier-, Interview- und Rezensionskarussells.

Man kennt sich, bestätigt sich, bietet einander eine Plattform zur Selbstdarstellung und Eigenwerbung. Eine Hand wäscht die andere. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Nach meiner Erkenntnis stellen die meisten Menschen in der alternativen Szene das System an sich nicht in Frage. Sie sind nur nicht länger bereit, sich dem Willen und der Willkür der aktuell Mächtigen zu unterwerfen.

Insofern glaube ich, dass in den alternativen Medien die gleichen Mechanismen am Werk sind: Auch hier wird dem Exzeptionalismus gefrönt und es herrscht ein vergleichbarer Gruppendruck. Entsprechend baut sich auch das gleiche System wieder auf – freilich in einer neuen Variante. Insofern stabilisieren die alternativen Medien faktisch das bestehende System.

Alternative Medien, die tatsächlich einen Beitrag dazu liefern wollen, einem alternativen System den Weg zu ebnen, müssen sich permanent selbstkritisch hinterfragen. Gerade auch vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen als Gelegenheitsautor in den alternativen Medien habe ich einige Wünsche an die alternativen Medien insgesamt:

Was es in meinen Augen braucht: Erstens: Redaktionen, die für neue oder Gelegenheitsautoren gut erreichbar sind. Priorität für unbekannte Autoren. Hohe Priorität für Artikel mit neuartigen Gedanken oder Perspektiven. Hohe Priorität auch für Autoren, die ihren Lesern einen Rückkanal anbieten und diesen erkennbar auch bedienen. Höchste Priorität für Artikel, die die Autoren mit konstruktiven, handlungsleitenden und möglichst schon persönlich erprobten Ansätzen abschliessen, wobei sich die Autoren selbst bei deren Umsetzung nicht auf der Zuschauertribüne sehen.

Zweitens: Transparenz rund um den Beirat, die Herausgeberschaft, die Redaktion, das Lektorat, die Autorenschaft usw. (Zusammensetzung, Statuten, Prozesse, Vergütung etc.). Auch hinsichtlich Finanzierung, Verwaltung, Rezeption und Vernetzung des Mediums bzw. der Plattform sollte Licht ins Dunkel gebracht werden. Die vereinnahmten Spendengelder sollten treuhänderisch verwaltet und zweckgebunden eingesetzt werden.

Drittens: Begleitung durch einen ausgewiesenen Medienwissenschaftler, der die Arbeit der Herausgeber, Redaktionen und die veröffentlichten Artikel nach einem vorgegebenen Protokoll analysiert, statistische Auswertungen vornimmt und Qualitätsmerkmale extrahiert. Ein Beirat, der möglichst viele Sichtweisen und Kompetenzen einbringt, zur Selbstkritik ermuntert und die Hinweise aus der wissenschaftlichen Begleitung einbringt.

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Über den Autor:

Ruben Schattevoy, Jahrgang 1961, geboren und aufgewachsen in Bonn, lebt seit 1999 in München, ist promovierter Physiker und arbeitete als Teilchenphysiker, Softwareentwickler, Bioinformatiker und Rechenzentrumsleiter. Seit einigen Jahren ist er als Organisationsberater, Projektmanager und Prozessberater im Bereich IT-Servicemanagement und als Change-Manager für die «Digitale Transformation» grosser Verwaltungen tätig.

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