Vernunftkraft, Landesverband Hessen e.V. lädt am 1. September zur Demonstration in Darmstadt. Anlaß ist das 25jährige Jubiläum des Darmstädter Manifestes.
Wortlaut des Manifestes:
„Darmstädter Manifest zur Windenergienutzung in Deutschland
Unser Land steht im Begriff, ein kostbares Gut zu verlieren. Der Ausbau der industriellen
Windenergienutzung hat in Deutschland innerhalb von nur wenigen Jahren eine solche
Dynamik entfaltet, daß Anlaß zu größter Besorgnis gegeben ist. Es wird eine Technologie
gefördert, ohne deren Wirksamkeit und Folgen hinreichend abzuschätzen. Man läßt es zu, daß
in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaften, ja ganze Regionen industriell überformt
werden. Ökologisch und ökonomisch nutzlose Windgeneratoren – teilweise schon über 120
Meter hoch und über viele Kilometer weit sichtbar – zerstören nicht nur das charakteristische
Landschaftsbild wertvollster Natur- und Erholungsbereiche, sondern verfremden ebenso
radikal die historischen Ortsbilder unserer Städte und Dörfer, die bisher von Kirchen,
Schlössern und Burgen als zentrale Erhebungen in einem dichtbesiedelten Landschaftsraum
geprägt waren.
Immer mehr Menschen müssen es erdulden, in unerträglicher Nähe zu
Maschinen von erdrückenden Dimensionen zu leben. Junge Menschen wachsen in eine Welt
hinein, in der sich naturnahe Landschaften in traurige Restbestände auflösen.
Die Ölkrise der siebziger Jahre hat jedermann eindringlich vor Augen geführt, in welchem
Ausmaß Industriegesellschaften von einer sicheren Energieversorgung abhängig sind.
Erstmals wurde der Allgemeinheit bewußt, daß die fossilen Energieressourcen der Erde
begrenzt sind und sich bei weiterem ungezügelten Verbrauch in vielleicht nicht allzu ferner
Zukunft erschöpfen könnten. Hinzu trat die Erkenntnis der Schäden, die durch
Energieerzeugung und Energieverbrauch der Umwelt zugefügt werden. Waldsterben, der
Reaktorunfall von Tschernobyl, die Hypothek der sich anhäufenden radioaktiven Abfälle,
Gefahren einer Klimakatastrophe infolge von Kohlendioxydemission: Paradigmen für ein
wachsendes Bedrohungspotential, die sich im öffentlichen Bewußtsein festsetzten.
Das eigentliche Problem jedoch, das Wachstum der Bevölkerung und in dessen Folge vor
allem der eskalierende Verbrauch von Bodenfläche und von Trinkwasserbeständen, wird statt
dessen in die Rolle eines Randphänomens gedrängt. Mit wenigen Ausnahmen ist es heute
kein Gegenstand politischen Handelns. Im Gegenteil, das öffentliche Interesse wird noch
weiter eingeengt, man richtet es weniger auf den Energieverbrauch insgesamt, sondern
konzentriert Befürchtungen und Kritik vorwiegend auf die Stromerzeugung.
Zwar gibt es hier zweifellos die atomaren Risiken, in der energetischen Bilanz der
Energieträger jedoch spielt die elektrische Energie eher eine Nebenrolle. Dreiviertel der
Verbrauchsenergie besteht in Deutschland aus Öl und Gas. Aber gerade bei diesen beiden
Energieträgern sind die Ressourcen am frühesten erschöpft. Wenn es wirklich um die Sorge
für kommende Generationen gehen würde, dann wäre sofortiges und entschiedenes Handeln
zum Schutz der Erdöl- und Erdgasvorräte geboten. Statt dessen geht der Benzinverbrauch
unverändert weiter, und die Vorstellung, daß man seinen Urenkeln nichts übrig läßt, wird mit
der vagen Vermutung verdrängt, eines Tages würde es schon Substitute für fossile Treibstoffe
geben. Steinkohle und Braunkohle dagegen, die Hauptprimärenergieträger für elektrische
Energie, sind weltweit, vielfach in noch unerschlossenen Lagerstätten, so reichlich vorhanden,
daß die Stromerzeugung selbst bei steigendem Verbrauch für Jahrhunderte, möglicherweise
sogar für einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren gesichert ist. – Hinsichtlich der
Erschöpfung von fossilen Energieressourcen geht der Ausbau der Windstromerzeugung damit
am Problem vorbei.
Obwohl Deutschland beim Ausbau der Windenergie weltweit die Spitzenposition
eingenommen hat, konnte bisher kein einziges Kern- oder Kohlekraftwerk ersetzt werden.
Dies wird, selbst bei einem weiteren forcierten Ausbau, auch künftig nicht möglich sein.
Denn meteorologisch bedingt fällt der aus Wind erzeugte elektrische Strom unregelmäßig an,
die Bereitstellung elektrischer Energie hingegen muß jederzeit dem Verbrauch angepaßt sein.
Damit können mit der Windenergienutzung konventionelle Kraftwerkskapazitäten nicht
nennenswert substituiert werden.
Nicht hinreichend werden auch Veränderungen in den Schadstoffbilanzen beachtet. Waren es
wegen schlechter Filterung bis vor wenigen Jahren vor allem Schwefeldioxydemissionen der
Kohlekraftwerke, so ist es heute überwiegend der Straßenverkehr, der mit Stickoxyden und
Lachgas die Waldökosysteme belastet. Hinzu kommt, daß mit Fortschritten in der Kraftwerks
technik die Wirkungsgrade steigen und auch dadurch die Schadstoffabgaben pro
Energieeinheit sinken. Letzteres gilt auch für die Emission von Kohlendioxyd, so daß heute in
Deutschland die Stromerzeugung nur noch zu einem Fünftel an den emittierten
Treibhausgasen beteiligt ist.
Die Energiedichte des Windes ist vergleichsweise gering. Moderne Windkraftanlagen mit
fußballfeldgroßen Rotorflächen erzielen nur winzige Bruchteile der Energie, die in
konventionellen Kraftwerken erzeugt wird. So gewinnt man heute in Deutschland mit mehr
als fünftausend Windkraftanlagen weniger als ein Prozent der benötigten Elektrizität, oder nur
wenig mehr als ein Promille der Gesamtendenergie. Bei den Schadstoffen ist die Bilanz
dadurch ähnlich. Der Anteil der Windenergie bei der Vermeidung von Treibhausgasen liegt
zwischen ein und zwei Promille. Damit ist in den Energie- als auch in den Schadstoff- und
Treibhausgasbilanzen die Windenergie ohne jede Bedeutung.
Dabei gilt es zu bedenken, daß mit Wirtschaftswachstum stets ein mehr oder minder
steigender Bedarf an Energie einhergeht – trotz aller technischer Bemühungen um höhere
Effizienz bei Energiewandlung und Energieverbrauch. Auf Grund ihres geringen
Bilanzanteils bedeutet dies für die Windenergie bei einer auf Wachstum orientierten
Wirtschaftsordnung ein verlorenes Rennen: Der Endenergieverbrauch steigt in Deutschland
zur Zeit rund siebzigmal(!) schneller als das Erzeugungspotential der Windenergie.
So sehr die Windenergienutzung bilanzmäßig überschätzt, so unterschätzt wird sie im
Hinblick auf ihre negativen Folgen. Sinkende Immobilienwerte spiegeln den empfundenen
Verlust an Lebensqualität wider – nicht nur im Nahbereich von Turbinen, sondern in
Schleswig-Holstein bereits weiträumig. Immer mehr Menschen bezeichnen ihre
Lebenssituation als unerträglich, wenn sie den akustischen und optischen Einwirkungen von
Windkraftanlagen unmittelbar ausgesetzt sind. Von Krankschreibungen und
Berufsunfähigkeit wird berichtet, es häufen sich Klagen über Symptome, wie
Herzrhythmusstörungen und Angstzustände, die von Infraschalleinwirkungen bekannt sind.
Auch die Tierwelt leidet unter dieser Technologie. An den Nord- und Ostseeküsten werden
Vögel von Brut-, Rast- und Nahrungsflächen verdrängt. Verdrängungseffekte werden aber
zunehmend auch im Binnenland beobachtet.
Auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht ist der Ausbau der Windenergie alles andere als eine
„Erfolgsstory“, wie häufig behauptet wird. Im Gegenteil, sie belastet die Volkswirtschaft,
indem sie bei geringen Energieerträgen einerseits und hohen Investitionskosten andererseits
nach wie vor unrentabel ist. Trotzdem wird – infolge der geschaffenen gesetzlichen
Rahmenbedingungen – in großem Umfang privates und öffentliches Kapital investiert,
Kapital, das nicht zuletzt bei wichtigen Maßnahmen zum Umweltschutz fehlt, aber auch
Kaufkraft bindet, was wiederum zu Arbeitsplatzverlusten in anderen Bereichen führt. Nur
durch die gesetzlich festgelegte Vergütung des Windstroms, die das Mehrfache seines realen
Marktwertes beträgt, sowie durch steuerliche Abschreibungen können die Investoren ihre
außerordentlich hohen Renditen erzielen.
Die deutsche Politik fördert seit nunmehr über zwanzig Jahren unter dem Zwang, auf
drängende Umwelt- und Vorsorgeprobleme reagieren zu müssen, eine gravierende
Fehlbewertung der Windenergie. Man läßt es zu, daß sich die Windenergienutzung in der
öffentlichen Meinung weiterhin als eine Art Komplettlösung etablieren kann, mit angeblich
entscheidenden Beiträgen für eine saubere Umwelt, für eine zukunftssichernde
Energieversorgung, aber auch für die Abwendung einer Klimakatastrophe und die
Vermeidung nuklearer Risiken. Die allgemeine Akzeptanz der Windenergienutzung als Folge
dieser hoffnungsweckenden Fehldarstellungen erfährt eine noch weitere Verstärkung, indem
dem Bürger keine Sparzwänge zugemutet werden.
Die schlimmen Folgen der Windindustrie in unserem dichtbesiedelten Land werden
verdrängt, wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, und Kritik wird tabuisiert. .Diesen
politisch und gesellschaftlich vorgeschriebenen Tendenzen mögen sich nur wenige entziehen.
Auch die großen Naturschutzverbände, obwohl gemäß ihren Satzungen dem
Landschaftsschutz verpflichtet, sehen überwiegend tatenlos der Zerstörung unserer
Landschaften zu, für deren Erhalt sie jahrzehntelang mit großem Engagement gestritten
haben.
So konnte eine auf den Tageserfolg orientierte Politik im Verein mit rücksichtslosen
Betreiberverbänden den Weg frei machen: Durch Novellierungen im Bauplanungs- und
Naturschutzrecht sind unsere Landschaften nahezu schutzlos der Windenergienutzung und
damit der materiellen Ausbeutung durch investierendes Kapital preisgegeben. Zugleich ist den
Menschen, die dieser menschenfeindlichen Technik unmittelbar ausgesetzt sind, das
grundgesetzlich garantierte Mitspracherecht bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes
weitgehend genommen worden.
Nachdem alle Bemühungen erfolglos geblieben sind, auf die politisch Verantwortlichen
einzuwirken, sehen die Unterzeichner dieses Manifests nunmehr kein anderes Mittel, als an
die Öffentlichkeit zu treten. Angesichts schwerster Schäden, die unseren historisch
gewachsenen, kulturelle Identität stiftenden Landschaften drohen, rufen wir dazu auf, den
gleichermaßen ökologisch wie ökonomisch sinnlosen Ausbau der Windkrafttechnologie zu
beenden.
Wir fordern insbesondere, daß dieser Technologie alle direkten und indirekten Subventionen
entzogen werden. Statt dessen sollten in größerem Umfang öffentliche Mittel für die
Entwicklung effizienterer Techniken und für solche Grundlagenforschungen bereitgestellt
werden, die wirkliche Lösungen für umweltverträgliche und nachhaltige Energieerzeugung
erwarten lassen.
Wir warnen dringend vor einer unkritischen Technikförderung, in deren langfristiger Folge
die Beziehung des Menschen zur Natur tiefgreifend Schaden nehmen kann. Unsere besondere
Besorgnis gilt einem langsamen und daher schwieriger wahrnehmbaren Empfindungswandel,
der uns immer weniger erkennen läßt, wie wichtig eine von der Natur vorherrschend geprägte
Lebensumwelt für den Menschen ist.
Liste der Erstunterzeichner
Botho Strauß (Schriftsteller)
Dr. Christoph Konrad (MdEP-Europäisches
Parlament)
Dr. h. c. Horst Stern (Fernsehjournalist, Ökologe)
Dr. Heike Marchand (Physik)
Dr. jur. Manfred Bernhardt (Landrat)
Dr. med. Rolf Sammeck (Neuroanatomie)
Dr. phil. Karl Heinrich Rexroth (Geschichte)
Dr. phil. Monika Sammeck (Psychologie)
Dr. rer. nat. Günter Haungs (Feinwerktechnik)
Dr. techn. Hans Ernst (Elektrotechnik,
Volkswirtschaft)
Gabriele Wohmann (Schriftstellerin)
Günter de Bruyn (Schriftsteller)
Prof. Dipl.-Ing. Horst Lottermoser (Maschinenbau)
Prof. Dr. agr. Dr. agr. h.c. mult. Eduard von
Boguslawski (Agrarwissenschaften)
Prof. Dr. Clemens Arkenstette (Biologie,
Agrarwissenschaften, Physiologie)
Prof. Dr. Dietrich Kühlke (Physik)
Prof. Dr. Dipl. Phys. Günther Kämpf (Physik)
Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Alewell
(Wirtschaftswissenschaften)
Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch (Arbeitsrecht)
Prof. Dr. Dr. Hans Pflug (Angewandte
Geowissenschaften)
Prof. Dr. Dr. hc. mult. Rudolf Hoppe
(Anorganische Chemie)
Prof. Dr. Dr. phil. Harald Brost (Institut f. Farbe,
Licht und Raum)
Prof. Dr. Erwin Hartmann (Physik, medizinische
Optik)
Prof. Dr. Hans Erich Riedel (Physik)
Prof. Dr. Hans Joachim Fitting (Physik)
Prof. Dr. Hans Schneider (Rechtswissenschaft)
Prof. Dr. Helmut Schröcke (Geowissenschaften)
Prof. Dr. Hermann Fink (Anglistik, Amerikanistik)
Prof. Dr. Horst Linde (Architektur)
Prof. Dr. Ing. Josef Leitenbauer (Bergakademie)
Prof. Dr. jur. Dr. jur. h.c. Karl August Bettermann
(Rechtswissenschaft)
Prof. Dr. jur. Reinhard Mußgnug
(Rechtswissenschaft)
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Hans Hompesch
(Hygiene, Mikrobiologie, Pathologie)
Prof. Dr. med. Hans-Jobst Wellensiek (Medizin,
Mikrobiologie)
Prof. Dr. med. Joachim Bruch (Arbeitsmedizin)
Prof. Dr. med. Ludwig Rausch (Humanmedizin,
Strahlenbiologie, Strahlenschutz)
Prof. Dr. med. Marianne Fritsch (Innere Medizin,
Rehabilitation)
Prof. Dr. phil. Dietrich Denecke
(Geowissenschaften)
Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Hans-Günter Buchholz
und viele andere“