Horst D. Deckert

Schwarmintelligenz

von Hans Hofmann-Reinecke

Eine Gemeinschaft vieler anonymer Individuen kann sich spontan derart organisieren, dass für alle Beteiligten nützliche oder existenziell notwendige Bedingungen entstehen. Ein paar simple Spielregeln, nach denen jedes Individuum sein Verhalten gegenüber den Nachbarn in seiner unmittelbaren Umgebung ausrichtet, sind der einzige Bauplan für solch ein komplexes Gebilde. Diese „Schwarmintelligenz“ geht verloren, sobald von außen organisierend eingegriffen wird. Wie steht es darum in Deutschland?

Versailles im Kleinformat

Eiskristalle wie im Bild (Max-Planck-Ges.) haben eine wunderbar symmetrische und harmonische Struktur, ähnlich einem französischen Schloss aus dem 17. Jahrhundert. Hätte ein französischer König damals sein Chateau mit diesem Grundriss gebaut, Versailles wäre heute unter „ferner liefen“.

Aber wie kommt dieses millimetergroße perfekte Bauwerk zustande? Es besteht aus Molekülen, und zwar fast so vielen, wie es Sterne im Universum gibt. Welcher Architekt hat da jedem Baustein seinen Platz zugewiesen? In der Biologie ist das etwas anderes, da enthält jeder Zellkern den Bauplan für das komplette Lebewesen und sagt der Zelle genau, wohin sie gehört. Die Bausteine des Kristalls aber sind primitive, winzige H2O-Moleküle, nichts weiter als zwei Protonen samt Elektronen, die mit dem fetten Sauerstoffatom einen Winkel von 104° bilden, mit Schenkelchen die weniger als ein millionstel Millimeter lang sind. Das ist alles. Kein Bauplan, keine Platznummer. Jedes Molekül im Kristall arrangiert sich mit seinen nächsten Nachbarn so gut es kann, hat aber keine Ahnung, daß es Teil eines riesigen Bauwerks ist. Wieso kommt dann so ein komplexes und ästhetisches Gebilde zustande? Welche Intelligenz hat seine Entstehung geleitet?

Die lieben Nachbarn

Eine Nummer größer können wir dieses Phänomen bei Schwärmen von Vögeln, Fischen oder Ameisen beobachten, wo auch hier die Individuen nur ganz lokal, mit ihren unmittelbaren Nachbarn interagieren. Auch hier gibt es keinen Koordinator, der alles geplant hätte, der für Ordnung sorgt und der sagt, wohin die Reise geht. Und dennoch bietet der so entstandene Schwarm für jedes Individuum die optimalen Überlebensbedingungen – sonst wäre das Konzept beim gnadenlosen „survival oft the fittest“ schon früh ausgeschieden.

Eine Gemeinschaft von vielen anonymen Individuen kann sich also spontan derart organisieren, wie es für alle Beteiligten nützlich oder sogar existenziell ist. Ein paar simple Spielregeln, nach denen jedes Individuum sein Verhalten gegenüber den Nachbarn in seiner unmittelbaren Umgebung ausrichtet, sind der einzige Bauplan für dieses komplexen Gebilde, welches eine Magie in sich birgt, die als „Schwarmintelligenz“ bezeichnet wird. Und die geht verloren, sobald jemand versuchen würde von außen organisierend einzugreifen.

Der Mensch: Lemming oder Kranich?

Nicht alle Lebewesen scheinen mit dieser Gabe ausgestattet zu sein. Wenn wir an die Lemminge denken, denen nachgesagt wird, dass sie sich spontan organisieren, um sich scharenweise ins Unheil zu stürzen, dann klingt das nicht nach Schwarmintelligenz. Und wie ist das mit dem Homo Sapiens, der sich ja für die klügste unter allen Kreaturen hält? Gleicht die Menschheit eher den Kranichen, die sich des Flugs durchs Dasein in ästhetisch-perfekter Formation erfreuen, oder eher den erwähnten arktischen Nagetieren, die eines nach dem anderen in selbstmörderischer Absicht von der Klippe springen?

Gibt es bei den Menschen dieses Phänomen, dass durch nichts als eingespielte Interaktion zwischen den allernächsten Nachbarn spontan eine Gesellschaft entsteht, in der das Leben für alle erfreulich und das Überleben wahrscheinlich ist? Ja, unser Überleben wird durch die moderne Medizin gesichert, und unsere Lebensfreude gewinnen wir auf Urlaubsreisen. Und ich weiß auch, dass eine Klinik sich nicht deswegen von selbst organisiert, weil Patienten und Schwestern nett zueinander sind; und dass die Airliner am Himmel nicht spontan solch ästhetischen Formationen bilden können wie die Kraniche. Das braucht klar vorgegebene Vorschriften und Verbote, das bedarf der Organisation.

Aber wie ist das in kleinerem Kreis, in der Familie, unter Freunden, unter Nachbarn oder Kollegen im Büro? Da kommen wir durch informelle, meist unbewusste Spielregeln aus. Die sind wesentlicher Bestandteil unserer Kultur, unserer Tradition. Die haben wir von Kindesbeinen assimiliert. In welchen Ausmaßen ist nun Zusammenleben ohne externe Organisation möglich?

Die Señoritas in Guadalajara

Dessen werden wir am ehesten in fremder Umgebung gewahr; da fallen uns Dinge auf, die dem Einheimischen selbst unbewußt und selbstverständlich sind. Etwa wenn sich durch Bangkoks enge Gassen die Menschenmenge drängt, und die eleganten Thais mühelos wie Fische aneinander vorbeigleiten, während wir Nordeuropäer wie unbeholfene Nilpferde in diesem Strom des Lebens herumtapsen. Die Thais haben als Kinder etwas gelernt, was wir verpaßt haben.

Oder gehen wir auf die Plaza Central einer mexikanischen Kleinstadt am Samstag Abend. Da tobt das Leben, aber jeder hat das sichere Gefühl dafür, was er zu tun und zu lassen hat. Die Mariachi spielen so laut wie sie wollen, nur nicht falsch, die Señoritas machen sich so schön wie es nur geht, aber ohne sich zu entblößen wie amerikanische Touristinnen, junge Indios gehen von Tisch zu Tisch und bieten Leguane zum Kauf an, aber ohne aufdringlich zu sein, und der Polizist lässt sich vom Wirt einen Tequila schenken, aber nur einen. Das Ganze wirkt wie ein Kunstwerk; es strahlt Harmonie aus, die es nicht gäbe, wenn alles durch Vorschriften reglementiert wäre. Das ist Schwarmintelligenz.

Aber irgendwo muss man doch auch hier eine Grenze ziehen; wo soll Improvisation Platz machen für Verhalten nach Vorschrift? Die Meinung darüber ist von Land zu Land verschieden, aber eines ist sicher: in Deutschland lag diese Grenze schon immer sehr niedrig, und das hat sich in den vergangenen Jahren noch deutlich „verschlimmert“. Was getan und gelassen wurde war früher noch eher eine Frage des Anstands und der Ehre. Die werden heute durch immer mehr und immer unsinnigere Vorschriften verdrängt.

Streusalz gegen Schwarmintelligenz

Da ist es etwa verboten, auf dem Balkon zu rauchen, sofern der des Nachbarn nicht mindestens acht Meter entfernt ist. Ein Zuwiderhandelnder wird dann nicht etwa vom Belästigten freundlich aufgefordert, mit seiner Zigarre ins Wohnzimmer zu gehen, sondern er wird juristisch belangt. Was konnten wir bei den lieben Tieren beobachten? Ein paar simple Spielregeln, nach denen jedes Individuum sein Verhalten gegenüber den Nachbarn in seiner unmittelbaren Umgebung ausrichtet, sind der einzige Bauplan für dieses komplexen Gebilde, welches eine Magie in sich birgt, die als „Schwarmintelligenz“ bezeichnet wird.

Es geht aber noch schlimmer: ein Vater hatte das Smartphone seines 13-jährigen Sohns konfisziert, weil der seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Daraufhin ging der Sohn zur Polizei und zeigte den Vater wegen Diebstahls an. Die Polizistin aber las nicht etwa dem Jungen die Leviten und schmiss ihn raus, sondern sie ging mit ihm nach Hause, um den Alten zur Rede zu stellen.

Es wird in Deutschland immer schwieriger kleinste Konflikte, auch zwischen Personen, die sich nahe stehen sollten, ohne Hilfe des Staates zu lösen. Und der Staat springt bereitwilligst auf jede Gelegenheit auf, um Interaktionen zwischen einzelnen Menschen unter Kontrolle zu bekommen. Das wirkt dann so, wie wenn man die Interaktion zwischen den einzelnen Wassermolekülen stören würde, damit sich dann keine Eiskristalle bilden können. Das geschieht tatsächlich, etwa mit Hilfe von Salz, das auf winterlichen Stassen verteilt wird, um Glatteis zu verhindern. Und wenn man die Interaktion zwischen den “Molekülen der Gesellschaft“, den Menschen, behindert, dann unterbindet man damit auch die Entstehung von kristalliner Schwarmintelligenz. Und das entsprechende intellektuelle Streusalz rieselt als „Tagesschau“, „Heute“, und tausend anderen Formaten im Dauerregen auf Deutschland nieder und erstickt die Entstehung jeglicher intelligenter Kristalle schon im Keim.

Allerdings muss man hier etwas differenzieren. Ein Teil der Gesellschaft zeigt eine gewisse Resistenz gegen dieses Streusalz! Wer ist das? Sind die etwa dagegen geimpft? Man könnte es so ausdrücken, präziser wäre es zu sagen, sie hätten gegen das SDSV2 Salz in der Vergangenheit eine natürliche Immunität entwickelt. Es handelt sich dabei um die Variante des kommunistisch-sozialistischen Vormundschaft Salzes Typ DDR, welches sie in diskreter und freundlicher Kooperation mit unmittelbaren Nachbarn überlebt hatten und dabei auf natürliche Weise Antikörper entwickelten.

Dieser Teil der Gesellschaft dachte vielleicht, dass das SDSV2-Salz für immer besiegt sei, findet sich aber jetzt mit der Variante SDSV3 konfrontiert. Dagegen verfügt sie allerdings über eine deutliche Kreuzimmunität. Das unterscheidet sie vom restlichen, westlichen Teil der Gesellschaft.

Dieser Artikel erscheint auch im Blog des Autors Think-Again. Der Bestseller Grün und Dumm, und andere seiner Bücher, sind bei Amazon erhältlich.

Ähnliche Nachrichten