Die Welt findet sich erstaunlich rasch mit der neuen Führung in Damaskus ab, auch wenn es sich hierbei um Dschihadisten handelt. Doch für die Kurden im Norden Syriens bleibt die Lage kritisch, denn auch die neue islamistische Regierung ist den vom Pentagon unterstützten kurdischen Milizen gegenüber feindselig eingestellt.
Es sich einmal mehr, dass das Sprichwort “Der Feind meines Feindes ist mein Freund” zeitlose Gültigkeit besitzt. Der Dschihadistenführer Abu Mohammed al-Jolani, der sich mittlerweile mit bürgerlichem Namen Ahmed al-Sharaa nennt und im Designer-Anzug statt in Kampfmontur auftritt, empfing am Sonntag den türkischen Außenminister Hakan Fidan in Damaskus.
Was für eine Metamorphose: Vom international gesuchten Terroristen zum Staatsmann im Maßanzug. Der neue starke Mann Syriens, der nach dem überraschenden Sturz des Assad-Regimes die Kontrolle übernahm, präsentiert sich der Weltöffentlichkeit als gemäßigter Reformer. Doch hinter der geschliffenen Fassade scheinen die alten Reflexe durch.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Fidan machte al-Sharaa unmissverständlich klar, wohin die Reise geht: “Wir werden absolut keine Waffen im Land außerhalb staatlicher Kontrolle dulden – weder von revolutionären Gruppierungen noch von Fraktionen im SDF-Gebiet.” Eine kaum verhüllte Drohung an die Adresse der kurdisch dominierten und vom Pentagon unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).
Die Ankündigung, alle bewaffneten Gruppen müssten sich auflösen und in eine neue nationale Armee integrieren, klingt verdächtig nach dem türkischen Drehbuch für Nordsyrien. Ankara sieht in der SDF einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und bekämpft sie entsprechend. Dass ausgerechnet der türkische Außenminister als einer der ersten hochrangigen Besucher in Damaskus empfangen wurde, spricht Bände.
Die strategisch wichtigen Öl- und Gasfelder im Nordosten Syriens, die derzeit unter SDF-Kontrolle stehen, dürften dabei eine zentrale Rolle spielen. Während die SDF bereits eine türkische Offensive an der Nordgrenze abwehren muss, zeichnet sich ab, dass der neue syrische Machthaber gemeinsame Sache mit Ankara macht.
Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet jene kurdischen Verbände, die jahrelang an vorderster Front gegen dschihadistische Gruppen wie Al-Nusra und HTS kämpften, sollen nun durch ihren einstigen Erzfeind entwaffnet werden. Die amerikanischen Schutzmachtambitionen in der Region dürften damit vor einer ernsten Bewährungsprobe stehen.
Der schnelle Fall des Assad-Regimes trägt deutlich die Handschrift türkischer Geheimdienstoperationen. Nun scheint sich al-Sharaa mit der Ankündigung, die syrischen Kurden zu entwaffnen, für diese Unterstützung zu revanchieren. Die nächste Runde im endlosen Machtpoker um Syrien hat begonnen – mit neuen Akteuren, aber den alten Konfliktlinien.