Sonja van den Ende
Die Gräueltaten, die sich derzeit an der syrischen Küste und in anderen Regionen abspielen, gehören zu den schlimmsten sektiererischen Verbrechen der modernen Geschichte.
Nach den erschütternden Berichten aus dem ehemaligen Syrien müssen wir uns mit dem anhaltenden Massenmord an der alawitischen Gemeinschaft in den ländlichen Gebieten von Hama, Homs und der Küstenregion um Latakia, Tartus, Baniyas und Jableh auseinandersetzen. Dieser Artikel legt offen, was westliche Nationen – insbesondere Europa – durch ihre Untätigkeit stillschweigend hinnehmen. Während sich ein weiterer Massenmord entfaltet, wendet Europa bewusst den Blick ab. Die moralische Schuld Europas an diesen Gräueltaten wächst täglich.
Die Wahrheit ist: Europa hat die destabilisierende Intervention der Türkei in Syrien aktiv unterstützt. Schätzungen zufolge hat dies zu Zehntausenden von Toten geführt – konservativ gerechnet über 20.000, wobei die tatsächliche Zahl höher liegen dürfte. Tausende Überlebende flohen in den Libanon, andere leben unter prekären Bedingungen auf dem russisch geführten Militärstützpunkt Khmeimim (auch Hmeimim genannt), nahe Latakia.
Die humanitäre Katastrophe ist kaum in Worte zu fassen: Über 100.000 verängstigte Zivilisten sind aus den betroffenen Gebieten geflohen. Zwischen 200.000 und 250.000 Menschen sind direkt betroffen. Viele leiden unter schwerstem posttraumatischen Stress als Folge der erlebten Gräueltaten.
Diese Verbrechen stellen eindeutige Verstöße gegen das Völkerrecht dar:
- Völkermord: Systematische Auslöschung einer religiös-sektiererischen Gruppe
- Kriegsverbrechen: Vorsätzliche Massaker an der Zivilbevölkerung
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Zwangsumsiedlungen, Folter, Massenhinrichtungen
Alawiten werden gezwungen, neue Ausweisdokumente – sogenannte „Dreimonatspapiere“ – zu beantragen. Diese kommen faktisch Todesurteilen gleich: Wer nicht binnen dieser Frist flieht, wird „eliminiert“. Häuser und Existenzen werden beschlagnahmt oder zerstört.
In einer grotesken Wendung hat die EU jüngst 5,8 Milliarden Euro an die sogenannte syrische Regierung zugesagt – das gleiche Regime, das seit dem 7. März 2025 den Vernichtungsfeldzug gegen die Alawiten organisiert. Auch Christen, Ismailiten und andere Minderheiten sind betroffen. Selbst ehemalige Beamte aus der Zeit vor Assads Sturz – unabhängig von Konfession – wurden ohne Entschädigung entlassen und ins Elend getrieben.
Am 29. Januar 2025 wurden die sogenannten bewaffneten Gruppen wieder eingegliedert. Zeugenaussagen belegen, dass der Sicherheitsapparat des von Europa anerkannten Al-Jolani-Regimes aus über 20.000 ausländischen Kämpfern besteht. Marat Imankulov, Sicherheitsratssekretär Kirgisistans, warnte, dass viele aus Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan und Dagestan stammen.
Laut Schätzungen sind bis zu 20.000 ausländische Kämpfer Teil der syrischen Sicherheitskräfte, darunter auch Mitglieder der Islamischen Bewegung Ostturkestans. Experten sprechen von bis zu 6.000 Kämpfern, die China destabilisieren wollen. Etwa 5.000 Kämpfer – ohne Angehörige gerechnet – haben zentralasiatische Wurzeln.
Die „Pseudo-Behörden“ im ehemaligen Syrien – faktisch ein neues Kalifat – tragen die Verantwortung für sämtliche Menschenrechtsverletzungen seit dem 7. März. Der Sicherheitsapparat besteht aus Dschihadisten, viele davon seit Jahren in Idlib, darunter auch Uiguren, die Europa als „diskriminiert“ darstellt. In Wahrheit handelt es sich um radikale Kämpfer, die den Koran ebenso wie Waffen nutzen, um Massaker zu begehen.
Diese Uiguren gehören zur Turkestanischen Islamischen Partei (TIP), die von der Türkei unterstützt wird. Ihr Dschihadismus basiert auf ethnonationalistischer Ideologie, beeinflusst von Taliban und HTS. Bereits 2022 schlossen sie sich mit kaukasischen Dschihadisten in Idlib zusammen. In einer Erklärung hieß es: „Wir sind eure muslimischen Brüder aus Ostturkestan.“ Sie behaupten, 40 Millionen Hanafi-Muslime würden von „chinesischen Usurpatoren“ unterdrückt, und rufen zum Dschihad gegen China auf – während sie in Syrien morden.
Die Türkei, von der NATO als säkular betrachtet, wird faktisch von der islamistischen AKP regiert. Seit Tagen gibt es Proteste. Die Regierung geht gegen säkulare Kräfte, Kurden und Aleviten der CHP vor. Zudem unterhält die Türkei ethnische Bindungen zu den Uiguren, von denen viele Asyl erhielten.
Westliche Medien – insbesondere in Deutschland und den Niederlanden – stellen Idlib als friedlichen Ort dar: Einkaufszentren, verschleierte Frauen, Dschihadisten beim Eisessen. Die Flüchtlingslager werden dabei ausgeklammert. Idlib ist faktisch türkisches Hoheitsgebiet mit türkischer Währung – und die Dschihadisten Teil einer türkischen Stellvertreter-Enklave. Dies passt zur europäischen Strategie, islamistische Kämpfer aus Europa „loszuwerden“.
Nun rollt eine neue Flüchtlingswelle an: „echte“ Syrer warten an der Grenze zum Libanon. Ein Konflikt mit den 2015 aufgenommenen Dschihadisten in Europa ist unausweichlich – Folge der kurzsichtigen Politik. Besonders in Deutschland zeigt sich die Realität des Dschihadismus mit wöchentlichen Anschlägen.
Nach Erdoğans Warnung an Assad, mit den Dschihadisten zu kooperieren – was Assad ablehnte – marschierten am ersten Tag des Libanon-Waffenstillstands türkische Milizen Richtung Damaskus. Zeitgleich griff Israel – abgestimmt mit der Türkei – militärische Ziele im Süden an. Die syrische Armee war machtlos. Ein gut geplanter Blitzkrieg und ein Putsch folgten. Mit westlicher (u.a. niederländischer) Drohnentechnologie führten die Dschihadisten den Angriff präzise aus.
Russland wurde vom Ausmaß der Offensive überrascht. Laut russischem Auslandsgeheimdienst (SVR) planten USA und UK im Dezember 2024 Terroranschläge auf russische Basen in Syrien, um eine Stabilisierung zu verhindern.
Die sogenannte Regierung Al-Jolanis – von der Türkei, der Biden-Regierung und Europa eingesetzt – wurde nicht gewählt und besteht weitgehend aus ausländischen Terroristen. Europa unterstützt diese Kämpfer indirekt, obwohl sie Syrien in einen Albtraum verwandeln. Selbst gemäßigte Syrer wenden sich zunehmend vom Westen ab – eine Folge illegaler Interventionen.
Seit 2011 haben die USA Syriens und Iraks Ölfelder geplündert, während westlich bewaffnete Kämpfer sektiererischen Hass schüren. Der Konflikt hat bereits den Libanon erreicht – und wird wohl auch den Irak erfassen. Die Kurden haben sich teils dem Jolani-Regime angeschlossen, doch dieses Bündnis ist brüchig. Die meisten Kurden – säkular oder gemäßigt islamisch – können in einem Kalifat, das sie als „Ketzer“ betrachtet, nicht überleben. Auch die fragile Waffenruhe mit den Drusen wird zerbrechen, wie die Unruhen in al-Sweida zeigen. Israelische Propaganda verschärft die Lage zusätzlich.
Ein Massenexodus ist im Gange. Syrien, entvölkert von seinen Minderheiten, steht kurz davor zu verschwinden – ersetzt durch ein Kalifat, das auch den Libanon, Irak und darüber hinaus destabilisieren will – genau das Ziel von HTS (bzw. ISIS).
Die Verbrechen an Syriens Küste und anderswo zählen zu den schlimmsten sektiererischen Verbrechen unserer Zeit. Die Beweislage zeigt eine gezielte Völkermordkampagne. Es braucht sofortige internationale Intervention, um das Blutvergießen zu stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Untätigkeit bedeutet weiteres Blutvergießen – und die unkontrollierte Ausbreitung sektiererischer Gewalt in der gesamten Region.

