Horst D. Deckert

80 Jahre Kriegsende Befreiung feiern ohne die Befreier

Von MANFRED ROUHS | Vor 80 Jahren reichten sich US-amerikanische und sowjetische Soldaten über den Trümmern des militärisch besiegten und weitgehend zerstörten Deutschland die Hände. Hitler war tot, die deutschen Städte glichen Mondlandschaften, Millionen deutsche Soldaten gingen in Kriegsgefangenschaft, und für die deutsche Zivilbevölkerung begann eine Zeit, die von Not und Ungewissheit über ihre Zukunft geprägt war.

Der Hungerwinter 1946/47 kostete mehrere hunderttausend Deutsche das Leben. Eine staatliche Ordnung, die die Grundversorgung mit dem Nötigsten hätte sicherstellen können, gab es nicht mehr.

Erst ab dem Frühjahr 1947 ging es aufwärts. Deutschland war in Zonen aufgeteilt und militärisch besetzt. Die Besatzungsmächte aber – hier die Sowjetunion, dort die USA mit ihren westeuropäischen Verbündeten – zerstritten sich. Bereits 1946 führten sie in Indochina einen ersten, ideologisch geprägten Stellvertreterkrieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, der bis 1954 anhielt und der nahtlos in den Koreakrieg von 1950 bis 1953 mit erneut Millionen Toten und zerbombten Städten nach dem Vorbild des Zweiten Weltkriegs überging.

Ab 1947 wurden die Deutschen im Ost-West-Konflikt gebraucht und von ihrer jeweiligen Hegemonialmacht aufgepäppelt, um als Prellbock gegen den ideologischen Feind in Stellung gebracht zu werden. Wer von dieser Zeit an zur zunächst kleinen Minderheit jener Deutschen gehörte, die bereit waren, sich noch vor irgendeinen politischen Karren spannen zu lassen, dem blieb nichts anderes übrig, als seine jeweilige Besatzungsmacht gut zu finden und ihrem ideologischen Vorbild nachzueifern.

Der „Tag der Befreiung“ am 9. Mai wurde erstmals 1950 in der DDR als offizieller Feiertag begangen – selbstverständlich zusammen mit Vertretern der siegreichen Sowjetunion und der Roten Armee. In der westdeutschen Bundesrepublik tat man sich mit dem Befreiungsdenken schwer, war aber stets gerne zur Stelle, wenn beispielsweise in der Normandie die Westalliierten ihren militärischen Erfolg vom Juni 1944 feierten und westdeutschen Politikern die Gelegenheit gaben, vom Festbuffet mitzuessen und sich neben ordensgeschmückten Kriegssiegern fotografieren zu lassen.

Am 8. Mai 1965, anlässlich des 20. Jahrestag des Kriegsendes, melancholisierte Bundeskanzler Ludwig Erhard, „wenn mit der Niederwerfung Hitler-Deutschlands Unrecht und Tyrannei aus der Welt getilgt worden wären, dann allerdings hätte die ganze Menschheit Grund genug, den 8. Mai als einen Gedenktag der Befreiung zu feiern“.

Seit dem Jahr 1985 und einer kontrovers diskutierten Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker war dann auch die westdeutsche politische Klasse mehrheitlich bereit, den DDR-Jargon vom „Tag der Befreiung“ anzuerkennen und mitzutragen.

Gerade jetzt, wo der „Kampf gegen rechts“ zur gesamtdeutschen Staatsräson geworden ist, wäre die Zeit günstig dafür, die Geschichte zu bemühen, den Schulterschuss mit den Befreiern von 1945 zu suchen, sich als Sieger der Geschichte in Szene zu setzen und sich dadurch der eigenen Rechtschaffenheit zu vergewissern.

Aber daraus wird nichts werden. Denn die Siegermacht im Osten, Russland, steht imagemäßig vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine wieder da, wo sie für die deutsche Propaganda zuletzt im Juni 1941 stand. Und die wichtigste Siegermacht im Westen, die USA, hat sich von der politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland abgewandt und kommt deshalb für die Mehrheitsströmung deutscher Politiker und Medienschaffender als bewundernswerter Leuchtturm für Freiheit und Demokratie nicht mehr in Betracht.

So erledigen sich die großen, emotionalen, hitzigen Debatten von gestern einfach dadurch, dass der Lauf der Geschichte über sie hinweggeht: Den billig und gerecht denkenden Deutschen sind die Befreier abhandengekommen. Sie suchen ihr Heil in der internationalen Isolation statt in der Zusammenarbeit mit ihren großen Vorbildern.

Auch das ist ein Akt der Befreiung, der den Weg zu deutscher Normalität und innerer Souveränität ebnet. Die Einzelheiten hierzu werden wir Deutschen mit uns selbst ausmachen müssen.


PI-NEWS-Autor Manfred Rouhs, Jahrgang 1965, ist Vorsitzender des Vereins Signal für Deutschland e.V., der die Opfer politisch motivierter Straftaten entschädigt, vierteljährlich die Zeitschrift SIGNAL herausgibt und täglich im Internet publiziert. Bitte folgen Sie ihm hier bei X! Manfred Rouhs ist als Unternehmer in Berlin tätig.

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