Horst D. Deckert

Bundestag nach der Wahl: Eintausend Abgeordnete arbeitsunfähig

Bundestagssitzung im Plenum (Foto:Imago)

Ist das ein Witz? Eine Woche vor der Wahl kommt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble um die Ecke und kommentiert schon mal die fatalen Wahlergebnisse kommender Tage. Also, nun hat Angela Merkel doch noch schuld. Sie hätte einfach irgendwann nach 2018 Armin Laschet auf den Thron lassen müssen, mitsamt Parteivorsitz – und dann hätte der Amtsbonus die CDU erneut ins Kanzleramt gehievt. Meint Schäuble. Das intellektuelle Niveau innerhalb der Spitzen von CDU und CSU macht nicht gerade den besten Eindruck, wenn man derart machttechnisch verkürzte „Weisheiten“ liest, welche deutsche Zeitungen und Sender jetzt verbreiten. Da darf man dann auf die Debatten unter den Unionisten nach der Wahl gespannt sein.

Doch immerhin hat Schäuble etwas abgelassen, was vieles aussagt über die heutige Berliner Republik. Verantwortungslosigkeit, und das in immer größerem Stil: mehr fällt einem dazu kaum noch ein. Der Versuch, die weitere Aufblähung des Bundestages durch eine mehr als fragwürdige Regelung zu den Überhangmandaten abzustellen, schlug bekanntlich fehl. In zwei, drei Jahren sollen ihn kleine Reförmchen dann vielleicht in Zukunft etwas reduzieren. Vermutlich wird aber auch daraus wieder nichts, denn wer dann im Bundestag hockt, der verdient bereits gutes Geld und genießt etliche Privilegien; wer will sich da schon „reduzieren“ lassen?

Doch Schäuble ahnt bereits, was in Berlin längst alle ahnen: Es wird eng und immer enger im Hohen Haus, und in der nächsten Legislaturperiode könnte es so richtig knallvoll in dem Laden werden. „Schäuble warnt vor weiterer Vergrößerung des Bundestages“ oder  „Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warnt vor Aufblähung des Bundestages„, raunt es plötzlich durch die Medien. Da hat wohl zur Abwechslung mal einer nachgerechnet und dann erstaunt geguckt – denn plötzlich war das Ergebnis vierstellig: „Mit Blick auf die Größe des nächsten Bundestages wird mir bange„, sagte der CDU-Politiker dem Berliner „Tagesspiegel„.

Chaotische Verhältnisse drohen

Denn irgendwann sei „die Arbeitsfähigkeit des Bundestages als Ganzes gefährdet„. Dass es in der ablaufenden Legislaturperiode nicht gelungen sei, eine wirksame Wahlrechtsreform zu beschließen, zähle zu seinen „größten politischen Enttäuschungen„, so Schäuble. Ein noch größerer Bundestag sei „dem Ansehen des Parlaments und des Parlamentarismus nicht zuträglich„.

Na sowas. Die Meldung des Tages! Und das an einem Sonntag. Eine Woche vor der Wahl also berichten „Spiegel“, „Tagesspiegel“ und einige Medien mehr über das, was sie schon vor Monaten hätten scharf kritisieren und in den Mittelpunkt ihrer Vorberichte zur kommenden Wahl packen müssen; doch nichts dergleichen geschah. Und jetzt plötzlich ereilt die Journalisten die Erkenntnis, dass es bald über 1.000 Abgeordnete werden könnten – und damit, sogar laut Bundestagspräsident Schäuble, chaotische Verhältnisse drohen, die das Parlament buchstäblich aus den Fugen geraten lassen. Und absehbar wird es dann nicht nur unendlich teurer für den Steuerzahler – knapp eine Milliarde Euro pro Jahr kostet das Parlament schon jetzt, demnächst noch viel mehr. Sondern vor allem wird die erbrachte Leistung für den wählenden „Auftraggeber“ immer ineffektiver.

Nichts geht mehr. Schäuble ahnt, dass bald schon Rederechte und Handlungsabläufe der formalen Art für einen Kollaps sorgen könnten; nicht immer, aber immer öfter. Zuletzt noch den Finger in die Wunde: Bedeuten mehr Abgeordnete im Deutschen Bundestag eigentlich auch mehr inhaltliche Vielfalt? Das Protokoll vermerkt Heiterkeit und der Bundestagspräsident bitte um Ruhe…

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