Horst D. Deckert

Alfred de Zayas: „NATO entwickelte sich zur kriminellen Organisation…“

Von ALFRED DE ZAYAS | Die Enthüllungen von Seymour Hersh und Analyse seiner Beweise, die auf die Urheberschaft der USA an der Sprengung der Nordstream-Pipelines[1] hindeuten, klingen überzeugend. Unter normalen Verhältnissen würden solche Ergebnisse nicht nur eine Regierungskrise nach sich ziehen, sondern vielmehr:

  • die Verurteilung des Terroranschlags durch den US-Kongress
  • die Forderung einer internen Untersuchung illegaler Aktivitäten von CIA und des Pentagons
  • eine internationale Untersuchung unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen
  • eine umsichtige Deklaration des UN-Generalsekretärs
  • einen Protest durch das Amt für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen
  • einen allgemeinen Medienaufruhr
  • sogar Rücktritt der US-Administration Biden, angesichts des Ausmaßes der  groben Verletzung der UN-Charta und internationaler Verträge.

Es ist verblüffend: Der Staat, der von sich behauptet, das Völkerrecht zu wahren, lässt sich auf eine dreiste Terroroperation ein, ausgeführt im Namen des amerikanischen Volkes, welches jedoch die Beteiligung der US-Regierung an Operationen unter falscher Flagge samt offensichtlichen Staatsterrorismus ganz bestimmt nur ablehnen würde.

Selbstverständlich begann das Weiße Haus und Pentagon sofort jede Verantwortung von sich zu weisen und Seymour Hersh zu verleumden. Ist das etwas Neues? Sogar die alten Römer sagten schon: „Hast Du‚s getan, so leugne es!“Si fecisti, nega!“

Hersh, ein ehemaliger Reporter der Associated Press und New York Times sowie langjähriger Mitarbeiter des New Yorker, kommentierte Aussagen, wonach das „falsch und frei erfunden“ wäre, wie durch die Sprecherin des Weißen Hauses, Adrienne Watson oder Verlautbarungen von Tammy Thorp für die CIA, wonach solche „Behauptungen komplett und völlig falsch“ seien, mit den Worten: „Es erinnert mich an meine Kindheit und Urteil meines Lehrers, welches sich mir einprägte und besagt, dass ein Verhalten nach dem Spruch: ‚Wirf den Stein, doch versteck Deine Hand! – tira la piedra y esconde la mano‘, unethisch,“ wäre.

Schon lange vor den Enthüllungen durch Hersh, deuteten viele Indizien auf die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten hin. Schließlich hatten die USA alles getan, um die Fertigstellung der Nordstream-Pipeline zu verhindern, illegale Sanktionen zu verhängen gegen Unternehmen, die am Bau der Pipeline beteiligt waren und Bedrohungen, Erpressungsversuchen und Schikanen der USA ausgesetzt waren. Im Übrigen war der Angriff angekündigt. Am 7. Februar 2022, vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, hatte Biden erklärt: „Wenn Russland einmarschiert … wird es keine Nord Stream 2 mehr geben … Wir werden ihr ein Ende setzen.“ All dies hätte sich bestätigen lassen, wenn die schwedische Untersuchung transparent verlaufen wäre[2] und die deutschen und russischen Eigentümer von Nordstream die Beweise hätten einsehen dürfen. Aber auch Schweden blockte.

Edward Snowden, der CIA-Analyst und Whistleblower, der das amerikanische Volk und die Welt auf die verfassungswidrigen Praktiken des Nationalen Sicherheitsamts (NSA) aufmerksam machte, verriss die US-Dementis[3]. Am 8. Februar tweetete er:

„Fällt Ihnen ein Beispiel aus der Geschichte für eine geheime Operation ein, für die das Weiße Haus sich verantwortlich zeigte, hingegen alles nur vehement bestritt – abgesehen vom kleinen Mischmasch im Zuge der „Massenüberwachung?“

Er teilte auch einen Zeitungsartikel vom April des Jahres 1961, in dem US-Außenminister Dean Rusk die Rolle der USA bei der Invasion in der Schweinebucht leugnete und dem amerikanischen Volk versicherte, dass die Invasion nicht „von amerikanischem Boden aus inszeniert“ worden sei. Rusk behauptete, dass „kubanische Angelegenheiten von den Kubanern selbst geregelt“ würden, und beharrte darauf, dass die Invasion von Kubanern ohne jegliche US-Unterstützung abgelaufen wäre.

Aus der Warte moralischer Überlegenheit

Es klingt surreal, dass der Westen behauptet, er wolle eine „auf Regeln basierte internationale Ordnung“ und es im Krieg in der Ukraine darum ginge, eine solche Ordnung wiederherzustellen. Die USA und die NATO tun so, als ob sie Russland aus der Warte moralischer Überlegenheit bekämpften. Die Mainstream-Medien tendieren dazu, solch unhaltbare Narrative nur weiter zu stützen.

Objektiv betrachtet, nimmt der Westen gegenüber Russland keine moralisch überlegenere Position ein: Die Bilanz westlichen Imperialismus und Kolonialismus im 19. und 20. Jahrhundert sowie jüngste Aggressionen des Westens gegen die Völker Indochinas, Jugoslawiens, Afghanistans und des Irak wiegen schwerer und mörderischer als die russische Invasion in die Ukraine. Die Aktionen des Westens hatten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Folge, die völlig ungestraft blieben, wodurch „Präzedenzfälle für Zulässigkeit“ geschaffen wurden, denen nun Russland und andere zu folgen scheinen.

Die Gehirnwäsche im Westen ist phänomenal gelaufen

Das Problem ist, dass die meisten in den Vereinigten Staaten, wie Briten im Vereinigten Königreich oder auch Deutsche letzten Endes unserer eigenen Propaganda aufsitzen. Das ist keine Frage der Heuchelei, sondern eine Frage der Naivität. Seit Kindertagen werden wir in dem Glauben indoktriniert, dass wir per Definition die Guten wären und die Aufgabe hätten, dem Rest der Welt Demokratie und Menschenrechte beizubringen. Für einen Chinesen, Inder oder Afrikaner mag dies bizarr klingen, doch die Gehirnwäsche an den amerikanischen und europäischen Bevölkerungen ist phänomenal erfolgreich verlaufen.

Aus diesem Grund werden die Enthüllungen von Seymour Hersh in der amerikanischen Öffentlichkeit voraussichtlich keine große Wirkung zeigen. Sie prallen einfach ab. Die Menschen glauben, was sie glauben wollen, wie Julius Caesar im Über den Zivilkrieg [De bello civili] einst schrieb: „Was wir wollen, glauben wir gerne – quae volumus, ea credimus libenter.“ Oder noch schlimmer, wie der heilige Augustinus festhielt: „Die Welt will getäuscht werden – Mundus vult decipi.“ So werden Amerikaner weiterhin am Anspruch ihres „Exzeptionalismus“ und religiösen Eifers mit dem Recht allen anderen Unrecht zufügen zu können, festhalten. Ich selbst habe das geglaubt und Jahrzehnte gebraucht, um mich von diesem Bann zu lösen.

Es gibt einige, die hoffen, dass der Bericht von Seymour Hersh die Leute zu einer Neubewertung des Ukraine-Krieg führen und einige seiner Teilnehmer aus der westlichen Allianz dazu bewegen könnte, eine andere Position einzunehmen, um zu erkennen, dass der Krieg militärisch nicht zu gewinnen sei. Außer, wir wollten den Konflikt immer weiter eskalieren und in einer nukleare Konfrontation enden.

Vermittlung scheint der einzige Ausweg: Doch, leider scheinen wir in unserem eigenen Netz politisch opportuner Lügen und kognitiver Dissonanz gefangen. Selbstverständlich gibt es Politiker und Akademiker, die erkennen, wie inkohärent das System und dysfunktional EU und NATO sich präsentiert. Aber, die Mainstream-Medien haben uns erfolgreich darauf konditioniert, dass „Gleichschritt“ unter den westlichen Staaten notwendig wäre. Aus diesem Grund wird ein Abweichler, wie der ungarische Präsident Victor Orban[4] von NATO-Regierungen und Mainstream-Medien so massiv attackiert.

Der Würgegriff der Medien scheint überstark

Inzwischen hat auch der kroatische Präsident Zoran Milanovic[5] seine Ablehnung gegenüber der EU- und US-Führung zum Ausdruck gebracht und Friedensgespräche zum Ukrainekonflikt eingemahnt. Milanovic bezweifelt, dass die Krim[6] jemals an die Ukraine zurückkehren werde, da sie von vornherein nicht zur Ukraine hätte gehören dürfen, weil die große Mehrheit der Krimbewohner keine Ukrainer werden wollen. In Deutschland sind es Sarah Wagenknecht[7] von der Linkspartei und Oskar Lafontaine, die sich gegen den Krieg in der Ukraine stellen. In den Vereinigten Staaten ist es der republikanische Kongressabgeordnete Matt Gaetz aus Pensacola, Florida, der keine weitere Militärhilfen an die Ukraine zulassen möchte. Die Professoren John Mearsheimer, Richard Falk, Jeffrey Sachs und andere sind sich einig, dass der Krieg in der Ukraine nicht zu gewinnen sei und ein tragfähiger Kompromiss, ein quid pro quo [mit Gegenleistungen], gefunden werden müsste, um die Kämpfe zu beenden, bevor sie zu einer atomaren Konfrontation eskalierten. Dennoch, scheinen wir schlafwandelnd auf eine Apokalypse zuzugehen.

Es ist merkwürdig, dass die US-Regierung einen solchen Krieg ohne Kriegserklärung führen und hundert Milliarden Dollar verschleudern darf, ohne das amerikanische Volk demokratisch befragt zu haben, ob es das wirklich so will. Ungeachtet der Bedeutung der Enthüllungen von Seymour Hersh und ihrer Auswirkungen auf Institutionen der Regierung wird sich wahrscheinlich wenig ändern: Der Würgegriff der Mainstream-Medien scheint so stark, dass die Erkenntnisse eines seriösen Enthüllungsjournalisten einfach beiseitegeschoben werden können, wenn immer diese der gewünschten politischen Linie entgegen stehen. In unserer dysfunktionalen Demokratie bleiben viele Fakten, bleiben viele Berichte, bleiben viele Bücher ohne Konsequenzen: Der Zug fährt zu schnell und die Dynamik des Geschehens scheint zu verhindern, ihn noch stoppen zu können.

Den Krieg verlängern, solange es geht

Der 2014 begonnene Ukraine-Konflikt hat sich zu einem Krieg ausgeweitet, der nun schon ein Jahr dauert, an die 200.000 Soldaten und Zivilisten getötet und Milliarden Dollar und Euro verschlungen hat. Kann es unbegrenzte Zeit einfach so weitergehen?

Ich vermag nicht in eine Kristallkugel zu blicken. Es gab mehrere ernstzunehmende Vermittlungsversuche des türkischen Präsidenten Erdogan[8] und des israelischen Premierministers Bennett – beide wurden von Washington torpediert[9]. Es gab Vermittlungsaufrufe des Papstes Franziskus, vom mexikanischen Präsidenten Lopez Obrador und brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula. Doch die Fakten deuten darauf in die Richtung, dass Washington den Krieg verlängern und noch den letzten Ukrainer gegen Russland verheizen möchte.

Solange der Proxy-Krieg die Einnahmen sprudeln lässt, wird es weitergehen: Der militärisch-industrielle Komplex hat bereits Milliarden verdient, so wie auch die Gewinne der Ölindustrie für 2022 astronomisch erscheinen.

Selbst wenn Putin in der Ukraine bedeutende militärische Erfolge erreichen sollte, wird der Krieg nicht enden, weil die USA es nie zuließen, dass Selinskyj einer Friedenslösung nachginge. Der Krieg wird weiter eskalieren, bis alle erschöpft sind oder eine menschliche Fehlkalkulation bzw. Computerpanne zum Atomkrieg führt.

Ich würde mir eine Koalition der Präsidenten für den Frieden wünschen, die im UN-Sicherheitsrat und in der Generalversammlung darauf bestünden, dass der Krieg sofort beendet werden muss, weil die Gefahr der nuklearen Vernichtung zu groß erscheint. Für den Rest der Welt ist es irrelevant, ob die Krim zur Ukraine oder zu Russland gehörte. Die meisten Lateinamerikaner, Afrikaner und Asiaten wissen gar nicht, wo die Krim liegt. Wir im Westen haben kein Recht, den Planeten wegen unserer rein amerikanisch/europäisch/russischen Querelen in den Abgrund zu stürzen.

Welches Land hat genug Einfluss, um sich einzuschalten und zu versuchen, tragfähige Friedensvorschläge zu präsentieren? Vielleicht sollten China und Indien eine internationale Friedenskonferenz einberufen, die alle Parteien auffordert, die Kämpfe einzustellen und das Überleben des ganzen Planeten nicht länger aufs Spiel zu setzen. Die Konferenz sollte nicht nur die russische Invasion in der Ukraine verurteilen, sondern auch die Provokationen der Vereinigten Staaten und NATO, die als legitimes Verteidigungsbündnis begann, doch sich über die letzten 30 Jahren zu einer kriminellen Organisation im Sinne der Artikel 9 und 10 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg aus dem Jahr 1945 entwickelte.

Zum Autor: Alfred de Zayas ist Professor für Recht an der Genfer Hochschule für Diplomatie und diente von 2012 – 2018 als unabhängiger UN-Experte für die internationale Ordnung. Er ist der Autor von zahlreichen Büchern, darunter seine letzte Neuerscheinung: „Building a Just World Order“ (Clarity Press, 2021).

Übersetzung aus dem Englischen UNSER MITTELEUROPA

Quellenangaben:

[1] www.ibtimes.sg/us-bombed-russias-nord-stream-gas-pipeline-after-months-long-planning-by-white-house-seymour-68965

nypost.com/2023/02/08/seymour-hersh-claims-us-navy-behind-nord-stream-2-pipeline-explosion/

www.commondreams.org/news/seymour-hersh-nord-stream

townhall.com/tipsheet/leahbarkoukis/2023/02/09/nord-stream-report-n2619370

[2] www.reuters.com/world/europe/sweden-shuns-formal-joint-investigation-nord-stream-leak-citing-national-2022–10-14/

www.politico.eu/article/sweden-denmark-germany-nord-stream-investigation-tests-eu-intelligence-sharing-around-the-baltic/

[3] www.ibtimes.sg/edward-snowden-rubbishes-us-denial-role-nord-stream-gas-line-bombing-cites-bay-pigs-invasion-68971

[4] www.politico.eu/article/hungary-viktor-orban-is-telling-ukraine-to-quit-russia-war/

[5] www.pbs.org/newshour/world/croatian-president-zoran-milanovic-criticizes-tank-deliveries-to-ukraine

[6] www.reuters.com/world/europe/crimea-will-never-again-be-part-ukraine-croatian-president-2023–01-30/

[7] philosophia-perennis.com/2023/02/10/alice-schwarzer-und-sahra-wagenknecht-manifest-fuer-frieden/

www.emma.de/artikel/manifest-fuer-frieden-340057

[8] english.almayadeen.net/news/politics/erdogan-to-reiterate-mediation-offer-to-end-ukraine-war:-sou

[9] www.theguardian.com/world/2022/feb/03/turkish-president-erdogan-mediate-ukraine-russiahttps://www.haaretz.com/israel-news/2022–03-13/ty-article/.premium/ukraine-u-s-signal-to-israel-mediation-attempts-arent-enough/00000180–5ba7-def0-a3c3-5fff6b2d0000https://thegrayzone.com/2023/02/06/israeli-bennett-us-russia-ukraine-peace/

Alfred de Zayas is a law professor at the Geneva School of Diplomacy and served as a UN Independent Expert on International Order 2012–18. He is the author of ten books including “Building a Just World Order” Clarity Press, 2021.


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