Nicht nur in Österreich, sondern auch in seiner Mährisch-Schlesischen (heute tschechischen) Heimat genießt der Arzt, Bauernbefreier, Held der 1848er-Revolution und Deutschtum-Kämpfer Hans Kudlich ein würdiges Andenken. Anlässlich seines 200. Geburtstages begab sich eine 50-köpfige Delegation der Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM) auf eine interessante Spurensuche nach Lobenstein (heute Ulvalno), wo sich die Ruhestätte der Familie Kudlich und eine nach ihm benannte Aussichtswarte befinden.
Hans Kudlich war am 26. Oktober 1823 in Lobenstein als neuntes von elf Kindern des robotpflichtigen Bauern Johann Kudlich zur Welt gekommen. Unter Robotpflicht versteht man den Zwang zu Frondiensten, wie er bereits im alten Rom existierte. Unter den fränkischen Königen blieb das System aufrecht. Mit Entstehung der Geldwirtschaft wurden Frondienste zunehmend durch Geldabgaben abgelöst. In einigen Regionen Deutschlands nahm ihr Umfang nach dem 30-jährigen Krieg stark zu und belastete die Bauern immer stärker, hielt sich aber weiterhin.
Wahl in den Reichstag
Von 1834 bis 1842 besuchte Kudlich das Gymnasium in Troppau, an dem übrigens zur gleichen Zeit auch Gregor Mendel, der spätere Entdecker der Vererbungslehre, Schüler war. Am Troppauer Gymnasium war Kudlich Mitglied der „Ferialverbindung“ Germania, einer Korporation, wie sie in der österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie, speziell in den Städten Böhmens, Mährens und Schlesiens, vorkamen. Danach studierte Kudlich von 1842 bis 1848 Philosophie und Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Am 13. März 1848 wurde Kudlich bei der Demonstration vor dem Niederösterreichischen Landhaus in Wien durch einen Bajonettstich verwundet. Kudlich blieb zunächst weiter in Wien und wirkte dort als Mitglied der Akademischen Legion, einem zur Zeit der Deutschen Revolution 1848/1849 dort aktiven Freikorps. Im Mai 1848 begab sich Kudlich zur Ausheilung seiner Verletzung nach Lobenstein und wurde dort für die Kandidatur zum Österreichischen Reichstag gewonnen, wo er nach einer Stichwahl im zweiten Wahlgang auch die Stimmen der tschechischen Bauerndelegierten bekam.
Als Unruhestifter verfolgt
Als jüngstes Reichstagsmitglied stellte er im Juli 1848 den historischen Antrag zur Aufhebung des bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisses samt Robot und Zehent, der im September 1848 als „Grundentlastungspatent“ in Kraft trat. Im Wiener Oktoberaufstand 1848 nahm Kudlich lebhaften Anteil an den Bemühungen zur Erhaltung der Macht des Reichstages, wandte sich vergebens an die ober- und niederösterreichische Bauernschaft, um sie zum bewaffneten Eingreifen („Landsturm“) zu gewinnen und wurde daher als „Unruhestifter“ vom Feldherrn des Kaisers verfolgt. Mit dem Reichstag übersiedelte Kudlich im November von Wien nach Kremsier in Mähren. Nachdem der Reichstag in Kremsier von Soldaten gesprengt worden war, flüchtete Kudlich nach Preußisch-Schlesien und weiter zu seinem Bruder nach Frankfurt am Main. Anschließend nahm er am Pfälzischen Aufstand teil und wurde Mitglied der provisorischen Regierung. Schließlich flüchtete er über Donaueschingen und Freiburg in die Schweiz.
Zum Tode verurteilt
In Bern fand er Aufnahme im Haus des liberalen Medizinprofessors Philipp Friedrich Wilhelm Vogt. Nach seinem Medizinstudium von 1849 bis 1853 legte Kudlich in Zürich sein Doktorexamen ab und heiratete Vogts Tochter Luise. Zwischenzeitlich war im März 1849 durch ein Patent von Kaiser Franz Joseph I. die Durchführung des „Bauernbefreiungsgesetzes“ in die Wege geleitet worden. Aufgrund von Kudlichs aktiver Teilnahme am Wiener Oktoberaufstand und am pfälzischen Aufstand wurde der „Bauernrebell“ 1851 und 1854 in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Daraufhin wanderte Kudlich über Le Havre in die Vereinigten Staaten aus und ließ sich in Hoboken (New Jersey) nieder, wo er eine eigene Arztpraxis betrieb und bald ein glühender Verfechter des Deutschtums in Hoboken und New Jersey wurde. Er wirkte an der Gründung vieler deutscher Vereine und Schulen mit und trat für die Antisklavereibewegung sowie die Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten der USA ein. Im weiterhin gepflegten lebhaften Briefverkehr mit seiner Heimat bekannte er sich trotz seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft immer wieder nachhaltig zu seinem Deutschtum, wandte sich aber gegen jeden Antisemitismus, weil dieser seiner Meinung nach die Kräfte des Deutschtums schwächte.
Begnadigt durch Kaiser Franz Joseph
Nachdem ihn Kaiser Franz Joseph 1867 begnadigt hatte und das Todesurteil gegen ihn aufgehoben worden war, besuchte Kudlich zusammen mit seinen neun Kindern einige Male seine alte Heimat. 1917 starb Hans Kudlich im Alter von 94 Jahren als letzter noch lebender der 383 Abgeordneten des Ersten Österreichischen Reichstages in Hoboken. Sein letzter Wunsch lautete: „Ich möchte heim“. So wurde seine Urne 1925 in der Urnenhalle der Hans-Kudlich-Warte in Lobenstein beigesetzt.
Ruhestätte Familie Kudlich, Foto zVg Bernd Stracke
Festakt zum 200. Geburtstag
Die Kudlich-Warte war demnach auch das Hauptziel der Spurensuche der Landsmannschaft-Delegation anlässlich des 200. Geburtstages dieser großen historischen Persönlichkeit. Am Festakt vor Ort nahmen unter anderen Gottfried Waldhäusl, der Zweite Präsident des niederösterreichischen Landtages, teil. Für ihn war die Anwesenheit „eine Ehre und Verpflichtung“, und er zeigte sich stolz darauf, dass auch das Land Niederösterreich einen Beitrag dazu leistete, Kudlich nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Für Waldhäusl „war, ist und bleibt Kudlich ein Vorbild, der mehr als ein Politiker und Befreier der Bauern war, weil sein Wirken auch auf andere Berufsgruppen ausstrahlte.“ Ökonomierat Johann Großpötzl würdigte als Repräsentant des Österreichischen Bauernverbandes die Rolle Kudlichs als Befreier für österreichische, böhmische und polnische Bauern. Er wies auf die Parallelen hin, die den freiheitsbeseelten Kudlich mit dem Weltveränderer Mahatma Gandhi verbinden. Entsprechende Würdigungsworte fanden im Rahmen einer Kranzniederlegung und der Enthüllung einer neuen Hans-Kudlich-Büste auch der FPÖ-Agrarsprecher und Nationalratsabgeordnete Peter Schmiedlechner sowie der direkte Kudlich-Nachkomme DI Walter Kudlich und der Bürgermeister von Lobenstein, Ing. Radek Šimek, in einer aus dem Tschechischen gedolmetschten Ansprache.
Kudlichwarte als Aussichtsturm
Die Lobensteiner Kudlichwarte war 1913 als „Robott-Befreiungsdenkmal“ eröffnet worden. Erste Entwürfe für eine Warte waren bereits kurz nach 1900 entstanden. Da der Bau aus Spenden und durch den Verkauf von Kudlich-Postkarten, -Briefverschlussmarken, -Bildern und –Büsten finanziert werden musste, verstrichen bis zur Realisierung des Vorhabens mehr als zehn Jahre. Letztendlich wurde die Warte als Aussichtsturm nach den Plänen des Architekten Oskar von Felgel vom Baumeister Lundwall aus Troppau mit einem Kostenaufwand von 28.000 Kronen gebaut.
Kudlichwarte, Foto zVg Bernd Stracke
Denkmäler in mehreren Ländern erinnern ans Hans Kudlich
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Warte von den Bestimmungen des Gesetzes der jungen tschechoslowakischen Republik vom 19. März 1923 nicht betroffen, obwohl darin Denkmäler, Inschriften, Büsten etc., die an Mitglieder der Dynastien erinnerten, die in Österreich, in Ungarn, in Österreich-Ungarn oder im Deutschen Reich geherrscht hatten, als staatsfeindlich galten und entfernt werden mussten. Während des kommunistischen Regimes kam die Gemeinde Lobenstein ihrer Obhutspflicht nicht mehr nach. Zeitweise war der Turm zu jeder Tages- und Nachtzeit für jedermann zugänglich. Vandalen trieben ihr Unwesen. Große Schäden, die zudem im Laufe der Zeit durch Wasser und Frost entstanden waren, erwiesen sich bereits Mitte der 80er Jahre als so gravierend, dass sogar der Abriss der Warte zur Debatte stand.
Im Jahr 2000 wurden vor allem durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, die Gemeinde Lobenstein und den „Freundeskreis Bauernbefreier Hans Kudlich“ die für die Renovierung erforderlichen 157.000 DM aufgebracht. Insgesamt erinnern heute Dutzende Denkmäler bzw. Gedenktafeln in Österreich, Deutschland, Tschechien und in den USA an die Leistungen Hans Kudlichs. Kudlich lebt heute auch durch den alle zwei Jahre zu seinen Ehren vergebenen Hans-Kudlich-Preis weiter, mit dem unter anderen auch der „Genius“-Autor Prof. Dr. Heinrich Wohlmeyer ausgezeichnet wurde.
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