Horst D. Deckert

Bislang trister, sehr milder Hochwinter in Deutschland – was hat das mit der NAO zu tun?

Zeitvertreib für öde, schneelose Wintertage: Eine NAO [= Nordatlantische Oszillation] selbst basteln!

Die NAO stiehlt dem Kohlendioxid (CO) die Schau!

Stefan Kämpfe

Seit uns das unbeliebte Weihnachtstauwetter 2022 den Advents-Schnee raubte, fehlt vom Winter jegliche Spur. Selbst in den höchsten Lagen der Mittelgebirge ist zeitweise kein Wintersport möglich; schon blühen überall die Haselsträucher und erste Gänseblümchen. Doch der Winter ist gar nicht so fern. Was uns an Kälte und Schnee fehlte, das hatten Skandinavien und Osteuropa zeitweise im Überfluss. Im Folgenden soll eine der wichtigsten Einflussgrößen auf unsere Winterwitterung, die so genannte NAO, einmal näher betrachtet werden.

Unter der Nordatlantischen Oszillation (NAO) versteht man in der Meteorologie und Klimatologie die Schwankung des Luftdruckverhältnisses zwischen dem Islandtief im Norden und dem Azorenhoch im Süden des Nordatlantiks. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die NAO zu ermitteln und zahlenmäßig auszudrücken. Der bekannteste NAO-Index basiert auf der Differenz der standardisierten Luftdruck-Anomalien zwischen Lissabon, Gibraltar oder Ponta Delgada (Azoren) und Reykjavík (Island); außerdem können NAO-Indices für verschiedene Luftdruck-Niveaus (etwa den Luftdruck auf Meeresspiegelhöhe, englisch Sea-Level Pressure SLP, oder die 500 hPa-Druckfläche), berechnet werden. Letzteres ist heute üblich; dabei wird das langjährige Monatsmittel der 500-hPa-Höhenanomalie im Atlantikraum ab 20° nördlicher Breite bis zum Nordpol gebildet, eine statistische Hauptkomponentenanalyse für die mittlere Lage der Luftmassen durchgeführt (Emperical Orthogonal Function, EOF und Rotated Principal Component Analysis, RPCA), und darüber die Varianz ermittelt. Der NAO-Index ist die interpolierte mittlere tägliche Abweichung von diesem monatlichen Basiswert. Diese Methodik berücksichtigt auch die Einflüsse aller anderen bekannten Telekonnektionsmuster. Leider wurde die bekannte NAO-Reihe nach HURRELL eingestellt; sie liegt nur bis zum Winter 2019/20 vor. Auf die teilweise recht verwirrenden, komplizierten Berechnungsverfahre der NAO soll hier nicht noch näher eingegangen werden; wichtig ist folgender Merksatz: Je höher positiv die NAO-Werte, welche selbstverständlich tage- monats- und jahreszeitenweise vorliegen, sind, desto größer ist tendenziell das Luftdruckgefälle zwischen dem südlichen und dem nördlichen Teil des Nordatlantiks, was sich dann mehr oder weniger stark auch auf West- und Mitteleuropa auswirkt; aber ostwärts in den Kontinent nimmt der NAO-Einfluss ab; Osteuropa unterliegt ihrem Einfluss nur noch bei bestimmten Konstellationen (wenn sich das Azorenhoch bis nach Südosteuropa oder Kleinasien erstreckt und das Skandinavien-Tief bis zum russischen Eismeer reicht). Natürlich beeinflusst die NAO die Witterungs- und damit die Temperaturverhältnisse aller Jahreszeiten; aber nur im Winter und im März ist dieser Einfluss signifikant positiv (hohe NAO-Werte gehen fast stets mit höheren Wintertemperaturen in West- und Mitteleuropa einher). Es lassen sich drei NAO-Zustände unterscheiden:

Positiv. Bei einem positiven NAO-Index sind die Aktionszentren, sowohl Azorenhoch als auch Islandtief, gut ausgebildet. Dies führt in den meisten Fällen zu einer starken Westwinddrift (im Winter sehr mild, oft stürmisch!) und zu schnell wechselnden Abfolgen ostwärts ziehender Tiefausläufer und Zwischenhochkeile (Sehr wechselhafte Witterung mit Niederschlags- und kurzen Aufheiterungsphasen).

Neutral – hierbei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Entweder mäßige Entwicklung beider Aktionszentren mit Durchschnittswettergeschehen. Oder aber ein starkes Azorenhoch und ein schwaches Islandtief oder umgekehrt. Dadurch kommt es zu abnormen Verlagerungen der klimatischen Einflüsse nach Norden respektive Süden.

Negativ. Bei einem negativen NAO-Index sind sowohl Azorenhoch wie Islandtief nur schwach ausgeprägt. Die Westwinddrift ist weitgehend zum Erliegen gekommen, es entstehen oft Blockierungen mit stabilen Wetterlagen (Schön- wie Schlechtwetter); im Winter kann es zu Kältewellen kommen; aber keinesfalls gibt es diese immer (es treten mitunter auch mildere Südlagen oder solche mit mildem Nordsee-Einfluss auf). Stark negativ (reversal). Hat das Azorenhoch den Platz des Islandtiefs eingenommen, und umgekehrt, so ist der NAO-Index stark negativ. Dies wird als High-over-Low-Lage bezeichnet. Nach HESS/BREZOWKY sind das die berüchtigten Hoch Nordmeer- und Hoch Nordmeer-Fennoskandien-Lagen, welche besonders in Norddeutschland meist Winterkälte bringen; auch der extrem kalte Jahreswechsel 1978/79 begann mit einer solchen Wetterlage. Zwei Beispiele, eines aus dem Kaltwinter 1995/96 und eines aus dem Mildwinter 2006/07, illustrieren sehr anschaulich, wie sich die NAO schon in den täglichen Wetterkarten erkennen lässt.

Abbildungen 1a und 1b: 1a (oben) ein Tag mit stark negativer NAO am 29. Januar 1996. Einer Hochdruckzone vom westlichen Nordatlantik über Skandinavien bis nach Nordrussland steht tiefer Luftdruck über SW-Europa gegenüber; kalte Festlandsluft (cP) strömt nach Mittel- und Westeuropa. Unten (1b) ein Tag im stürmischen, extrem milden Januar 2007 (18.01.) mit stark positiver NAO. Tiefem Luftdruck über dem Westatlantik/Skandinavien/Nordrussland steht sehr hoher über SW-Europa gegenüber; da dieser bis weit nach Westasien reichte, konnte die extrem milde Atlantikluft bis weit nach Russland hinein vorstoßen. Bildquellen: wetterzentrale.de

Wie stark die NAO die Häufigkeitsverhältnisse der Großwetterlagen und die Wintertemperaturen in Deutschland beeinflusst, zeigen zwei Grafiken mit verschiedenen NAO-Indices.

Abbildungen 2a und 2b: Oben (2a) Verlauf des leider eingestellten NAO-Index nach HURRELL bis zum Winter 2019/20; unten (2b der NAO-Index des britischen Wetterdienstes (Metoffice) bis zum Winter 2021/22. Die berechneten Gleitmittel (fette Kurven) sind stets 15-jährig und endbetont; blau ist das Flächenmittel der Wintertemperaturen in Deutschland, rotviolett die Häufigkeit der im Winter besonders milden West-, Südwest- und Nordwestlagen. Trotz einiger Unterschiede der beiden NAO-Reihen erkennt man die Dominanz hoher (positiver) NAO-Werte am Beginn des 20. Jahrhunderts und gegenwärtig. Man erkennt auch, dass seit dem Klimasprung von 1988 die Häufigkeit der westlichen Großwetterlagen stark zunahm, was die momentan extrem milden Winter sehr gut erklärt.

Do it yourself: Eine NAO selbst ermitteln

Mit den erworbenen Kenntnissen wollen wir nun eine einfache NAO „basteln“. Wir suchen dazu nicht den Baumarkt auf, sondern besorgen uns einfach hier die erforderlichen aerologischen Daten, welche beim Amerikanischen Wetterdienst seit 1948 vorliegen. Da uns ja der Winter in Deutschland interessiert, wählen wir eine Gefällestrecke entlang des zehnten östlichen Längengrades, welcher etwa durch die Landesmitte verläuft. Nun reichen zwei Punkte: Ein „Südpunkt“, wir nehmen 40°N und 10°E (etwa die Position Sardiniens) und ein „Nordpunkt“ auf 65°N und 10°E, das entspricht in etwa der Küste Mittelnorwegens. Der Einfachheit halber wählen wir für beide Punkte den Luftdruck auf Meeresspielhöhe (Sea Level Pressure) und erhalten folgendes Ergebnis:

Abbildung 3: Verlauf der Luftdruckmittelwerte (Winter) am Punkt 40°N, 10°E (orange) und 65°N, 10°E (blau)

Nun müssen wir nur noch die Luftdruck-Differenzen winterweise Südpunkt minus Nordpunkt bilden und bekommen so den zeitlichen Verlauf des Luftdruckgefälles der beiden Punkte seit dem Winter 1948/49.

Abbildung 4: Zeitliche Entwicklung des winterlichen Luftdruckgefälles zwischen Sardinien und Mittelnorwegen zwischen 1948/49 und 2021/22.

Überraschung: Man erkennt eine merklich steigende Trendlinie bei enormen Schwankungen. Sollte sich die Zirkulation wegen der angeblich so katastrophalen CO-Klimaerwärmung nicht abschwächen? Offenbar trat das Gegenteil ein, was auch die momentan so extrem milden Winter erklärt, weil die milden Westwinde nun beschleunigt in das Festland wehen (und in den heißeren Sommern „wärmt“ auch nicht das CO, sondern die stark zunehmende Sonnenscheindauer). Neben Wintern mit mehr als 25 hPa Differenz gab es vereinzelt auch welche mit negativer Differenz. So richtig spannend wird das Ganze aber, wenn man die Luftdruckmitteldifferenzen mit den zugehörigen Wintermitteln in Relation setzt.

Abbildung 5: Zeitlicher Verlauf der winterlichen Luftdruckmitteldifferenz auf Meeresspiegelhöhe zwischen Sardinien und Mittelnorwegen (rot) und der Wintertemperaturen (DWD-Flächenmittel als Index) mit je 9-jährigen Gleitmittelkurven. Man erkennt die enge Verzahnung; fast zwei Drittel der Gesamtvariabilität der Wintertemperaturen in Deutschland wird von dieser Luftdruckmitteldifferenz bestimmt (siehe auch die Wetterkarten-Beispiele der Abb. 1a und 1b).

Fazit: An der NAO führt kein Weg vorbei, wenn man die Entwicklung der deutschen Wintertemperaturen untersuchen möchte – freilich kann sie nicht alles erklären. Aber ein Blick auf die aktuellen Wetterkarten zeigt: Bis weit in den Januar 2023 sorgten positive NAO-Werte für das erneut sehr milde Hochwinterwetter.

Abbildung 6: Wetterkarte für den 12. Januar 2023. Diese ähnelt stark der Abb. 1b – positive NAO mit hohem Luftdruck im Südwesten und tiefem über dem nördlichen Nordatlantik gegenüber; aber ein Hoch östlich der Wolga versperrte diesmal der Warmluft den Weg nach Zentralrussland. Bildquelle: wetterzentrale.de

Restwinter 2023 – hat Kälte noch eine Chance?

Die recht gut zutreffende Bauern-Regel „War bis Dreikönigstag (06.01.) kein Winter, so folgt auch keiner mehr dahinter“ kann wegen der gewesenen Dezemberkälte diesmal nicht angewendet werden. Allerdings lässt auch die Witterungstendenz zwischen Ende Dezember und Anfang Januar, welche diesmal durchgängig sehr mild war, grobe Rückschlüsse zu; sie dauert meist noch einige Wochen, oft sogar den gesamten Winter, mehr oder weniger intensiv fort. Aber was sagt unsere NAO, für welche es auch Mittelfrist-Prognosen gibt? Zunächst wäre es hilfreich, zu wissen, was die NAO beeinflusst. Leider gibt es da nur Vermutungen – sowohl auf langfristiger wie auf kurzfristiger Zeitskala kommen dafür die Sonnenaktivität, die QBO, der Polarwirbel und die Meeresoberflächentemperaturen sowie die Meeresströmungen in Betracht. Konzentrieren wir uns einmal auf das kurzfristige Verhalten der NAO in den letzten Monaten – mit einem vorsichtigen Ausblick bis etwa Ende Januar.

Abbildung 7: Verlauf der NAO seit Mitte September 2022 mit Vorhersage (rot: Einzelmodelle, gestrichelt schwarz Mittelwert der Einzelmodelle) bis Ende Januar 2023. Man achte auf die „Delle“ mit negativen NAO-Werten in der ersten Dezemberhälfte, welche uns den kalten Frühwinter bescherte, seit Weihnachten ist die NAO stark positiv (warmes Westwetter); doch soll sie sich ab etwa der Monatsmitte abschwächen – ohne freilich dramatisch einzubrechen. Hinweis: Hier ist eine standardisierte NAO für die 500-hPa-Fläche des Luftdrucks gezeigt. Leider hat es sich immer noch nicht bis zu unseren amerikanischen Freunden herumgesprochen, dass es die Einheit „Millibar“ (mb) schon seit 1984 nicht mehr gibt – die offizielle SI-Einheit des Luftdrucks ist Hektopascal (hPa). Bildquelle: Amerikanischer Wetterdienst (NOAA).

Man kann also ab etwa Mitte Januar eine Abschwächung der Westwind-Zirkulation über dem Ostatlantik erwarten; zumindest im Bergland wird es winterlicher; im Tiefland werden die Nächte kühler mit Nachtfrösten, vielleicht wird es auch kurz mal weiß, und Flauten nehmen wieder zu – dass es aber demnächst für „richtigen“ Winter reicht, ist nicht sehr wahrscheinlich. Vermutlich verläuft also die zweite Januarhälfte merklich kühler und ruhiger als die erste. Das CFSv2-Modell geht nach wie vor von einem sehr milden Februar aus; auch der Polarwirbel bleibt, trotz einiger Störungen, vorerst noch zu kräftig für richtigen Winter in Deutschland – aber Irrtum ist bei solchen Prognosen immer möglich. Wie lange wir uns angesichts der horrenden, der Energiewende geschuldeten Energiepreise noch über Mildwinter mit hohen NAO-Werten freuen können, ist ungewiss – in naher Zukunft ist eine Abschwächung der winterlichen Westwind-Zirkulation, wie es sie in vergangenen Epochen auch gab, nicht unwahrscheinlich.

Stefan Kämpfe, Diplomagraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher

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