Horst D. Deckert

Brandenburg: Die letzte Festung der SPD

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Brandenburg: Die letzte Festung der SPD

Die Wahl am Sonntag ist für die Sozialdemokratie bedeutend wie keine Ostwahl: Die SPD und Dietmar Woidke kämpfen um die letzte große SPD-Hochburg. Sachsen und Thüringen waren verlorene Schlachten – aber in Brandenburg entscheidet sich für die SPD ein Stück weit ihre gesamte Zukunft.

von Max Roland

Zwischen Havel und Oder ist die SPD noch ein Stück weit Volkspartei. Kaum irgendwo in Deutschland schlägt das Herz der Sozialdemokratie, das ja sonst von allerlei Rhythmusstörungen geplagt ist, noch so stark und stetig wie in Brandenburg. Unter Ministerpräsident Dietmar Woidke setzt die Sozialdemokratie eine in vielerlei Hinsicht historische Herrschaft fort – er ist, verglichen mit den blassen Kollegen in Sachsen oder Thüringen, die nur Niederlagen verwalten, noch ein Gewinner.

Auch wenn seine Partei stetig abbaut: 1990 dominierte die SPD die Wahlkarte in Brandenburg bis auf drei Kreise komplett. 2019, bei der letzten Landtagswahl, war bereits der gesamte Osten und Süden Brandenburgs AfD-blau. 1994 regierte die SPD in Brandenburg gar mit absoluter Mehrheit, 2019 holte man nur noch 26 Prozent.

Nichtsdestotrotz: Einer der wenigen Garanten gegen einen totalen Abstieg der SPD, wie in Thüringen oder Sachsen, scheint der Ministerpräsident zu sein. „Wir für Woidke“ ist ein Wahlspruch der brandenburgischen Sozialdemokraten. Man verteilt „Woidke – das Magazin“, man plakatiert den großen Ministerpräsidenten in voller Länge. Sein Kopf ist Werbe-Kopf: „Wenn Glatze, dann Woidke“, heißt es halb scherzhaft auf SPD-Wahlplakaten, die gleichzeitig die Abgrenzung gegen die „Neonazis“ von der AfD betonen sollen. Botschaft: Nur Woidke kann eine starke AfD verhindern. Auf diese Karte setzen die Partei und der Ministerpräsident jetzt alles.

Der letzte große Erbhof der SPD

Der Mann aus der Lausitz, aufgewachsen auf einem Bauernhof, verteidigt einen der letzten „Erbhöfe“ der SPD – ihre Macht in Brandenburg. Auf diesem Terrain lagen in den Jahrzehnten vor NS- und SED-Diktatur die Zentren der SPD in Deutschland schlechthin: Zu Beginn der Weimarer Republik holte die SPD dort fast 60 Prozent. Bis zum Aufstieg der Nazis dominierte die Sozialdemokratie unter dem legendären Politiker Otto Braun, der auch als „Roter Zar von Preußen“ oder „letzter König von Preußen“ tituliert wurde, die Politik im Freistaat Preußen und konnte dabei auch auf eine starke Wählerschaft in Brandenburg bauen. Wie übrigens auch in anderen Teilen des damaligen Mittel- und heutigen Ostdeutschlands, etwa Sachsen. „Die Sozialdemokratie atmet nur auf einem Lungenflügel, solange ihre Hochburgen in Mitteldeutschland nicht wieder in Freiheit am Leben der Partei beteiligt sind“, erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Erler in den frühen 50er-Jahren nach der Teilung Deutschlands.

Vor der Wiedervereinigung spekulierten Beobachter und Genossen gleichermaßen, dass die Eingliederung des alten Mitteldeutschlands in die Bundesrepublik der SPD ihre alten Kernlande wieder verschaffen und sie so massiv stärken würde: Von einer „strukturellen Mehrheitsfähigkeit“ war die Rede. Das verwirklichte sich in Sachsen und Thüringen bekanntermaßen nicht wirklich, wo die CDU eine Jahrzehnte dominierende Herrschaft antrat – die teils kritische Haltung der SPD zur Wiedervereinigung dürfte ein wesentlicher Grund gewesen ein. Anders ist die Lage in Brandenburg. Seit 1990 regiert die SPD in Potsdam durch. Vergleichbar stark und dominant ist die Sozialdemokratie in kaum einem Land mehr, allenfalls noch in Bremen und Hamburg.

Die Herrschaft der SPD in Brandenburg mutet geradezu dynastisch an: Noch nie kam nach einer Wahl ein neuer Ministerpräsident ins Amt. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe, der das Land seit 1990 regiert hatte, ging 2002 ins Bundeskabinett. Auf ihn folgte Matthias Platzeck, der 2013 aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat und Woidke zu seinem Nachfolger bestimmte. Alle diese Machtwechsel fanden während einer laufenden Legislaturperiode statt. Seit der Wiedervereinigung hat die SPD höchst erfolgreich an die alten Zeiten vor Hitler, Ulbricht und Honecker angeknüpft und Brandenburg wieder zur Hochburg gemacht. Daher wäre eine Niederlage, wenn sie auch nur den zweiten Platz bedeutet, so symbolträchtig und ein gigantisches Menetekel für die Sozialdemokratie.

Woidke und die SPD: Alles auf eine Karte

In Sachsen und Thüringen stand für die SPD vergleichsweise nichts auf dem Spiel – da setzte sich ja nur ein jahrelanger Niedergang fort. In Brandenburg hingegen könnte die SPD eine historische, bedeutende Spitzenposition an die AfD verlieren. Und damit auch ihren letzten „großen“ Landespolitiker, den Dietmar Woidke für die Partei nicht nur wegen seiner 1,96 Meter Körpergröße darstellt. Woidke ist vielleicht der letzte wirkliche „Landesfürst“, den die SPD noch hat. Noch.

Denn wenn die SPD die Wahl verliert, will Woidke zurücktreten. „Diese Wahl ist auch eine Abstimmung über meine Arbeit nach elf Jahren im Amt“, sagte Woidke gestern dem Sender n-tv. Er kündigte an, bei einem AfD-Wahlsieg keine Regierungsverantwortung mehr zu übernehmen. Er wirft damit alles in die Waagschale – geht er, regiert die SPD zwar trotzdem, aber gedemütigt und ohne Kopf. Einen „Erbprinzen“ scheint die SPD in Brandenburg nicht wirklich zu haben, offiziell zumindest gibt es so etwas nicht. Manche Minister, etwa Finanz- und Europaministerin Katrin Lange oder die Wissenschaftsministerin Manja Schüle, könnten Woidke nachfolgen, spekuliert der Cicero. Aber einen klaren Kandidaten, der herausragt wie er, gibt es nicht. Dabei kommt es für die SPD in Brandenburg auf Personen an – Köpfe gewinnen dort Wahlen.

Eine Wahlniederlage könnte die SPD in Brandenburg auch in dieser Hinsicht erheblich schwächen – in Brandenburg, damit aber darüber hinaus. Verliert die SPD die Wahl, stirbt auch der letzte Rest Volkspartei, zumindest im Osten. Für die Landespartei käme der Rücktritt Woidkes einer politischen Enthauptung gleich, aber auch die Bundespartei würde damit einen schweren Schlag einstecken. Ausgerechnet Brandenburg an die AfD zu verlieren, wäre ein besonders eindrückliches Symbol für den Niedergang der deutschen Sozialdemokratie.

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