Horst D. Deckert

Britisches Anti-Terror-Programm stufte Shakespeare, Tolkien, Huxley und Orwell als gefährliche Literatur ein

In Grossbritannien hat die «Cancel Culture» längst auch das Innenministerium erreicht. Die Forschungs-, Informations- und Kommunikationseinheit RICU (Research, Information and Communications Unit) hat einige der beliebtesten britischen Sitcoms und grössten Werke der Literatur als potenziell rechtsextrem eingestuft, wie Daily Mail informiert.

RICU ist eine strategische Kommunikationseinheit des Innenministeriums, die unter anderem für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung zuständig ist. Im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Programms «Prevent» untersuchte sie 2019 Nutzer von Sozialen Medien, die als «aktiv patriotisch und stolz» beschrieben wurden. Die RICU habe «Warnzeichen» gesehen, wenn Menschen Informationen oder Meinungen von «Pro-Brexit- und Mitte-Rechts-Kommentatoren» aufnahmen.

Die RICU rügte in einem Bericht Satire-Sendungen wie «Yes Minister» und «The Thick of It» wegen «Förderung rechtsextremer Sympathien», so Daily Mail. Auch der epische Kriegsfilm «The Dam Busters» von 1955 und sogar William Shakespeares gesammelte Werke seien mit einer Warnung wegen Extremismus gekennzeichnet worden. Dem Bericht zufolge seien diese Werke «Schlüsseltexte» für «weisse Nationalisten/Suprematisten».

In dem Report sei beschrieben worden, wie Rechtsextremisten im Internet für «Leselisten» mit «wichtigen Texten» warben. Das vom Steuerzahler finanzierte Dokument soll unter anderem auf Klassiker wie zum Beispiel «Der Herr der Ringe» von J.R.R. Tolkien, Aldous Huxleys «Brave New World», Joseph Conrads «Der Geheimagent», «1984» von George Orwell und die Gedichte von G.K. Chesterton verwiesen haben.

Werke von einigen der grössten Schriftsteller der Welt seien als Beispiele für Warnzeichen für potenziellen Extremismus aufgeführt worden. Darunter Shakespeare, Chaucer, Milton, Tennyson, Kipling und Edmund Burke. Ausserdem sei auf Filme wie «Die Brücke am Kwai», «Die grosse Flucht» und «Zulu» Bezug genommen worden.

Der Bericht habe sogar folgende Filme hervorgehoben: Den BBC-Politthriller «House of Cards» aus den 1990er Jahren, John le Carrés bahnbrechende Spionagetrilogie «Tinker Tailor Soldier Spy» und «Sharpe», das ITV-Drama, das in den Napoleonischen Kriegen spielt.

Der Daily Mail kann sich nicht erklären, wie zum Beispiel die BBC-Sendung «Great British Railway Journeys», die vom ehemaligen konservativen Minister Michael Portillo moderiert wurde, für die extreme Rechte von Interesse sein könne.

Der Historiker und Rundfunkmoderator Andrew Roberts meinte zum Bericht:

«Das ist wirklich aussergewöhnlich. Dies ist die Leseliste für jeden, der eine zivilisierte, liberale und kultivierte Bildung anstrebt. Sie enthält einige der grössten Werke des westlichen Kanons und in einigen Fällen – wie Joseph Conrads ‹Der Geheimagent› – eine starke Kritik des Terrorismus. Burke, Huxley, Orwell und Tolkien waren alle antitotalitäre Schriftsteller.»

Der Autor Douglas Murray entdeckte, dass auf der Liste eines seiner Bücher mit einer roten Flagge versehen worden war. Murray kommentierte im The Spectator:

«Eine Reihe von Büchern wird herausgegriffen, deren Besitz oder Lektüre auf schwerwiegende Denkfehler und damit auf eine mögliche Radikalisierung hinweisen könnte… Es scheint, dass die RICU so weit vom Weg abgekommen ist, zu glauben, dass Bücher, die das Problem aufzeigen, das die RICU selbst angehen sollte, in Wirklichkeit ein Teil des Problems sind.»

Murray kommt zum Schluss, dass die Arbeit des RICU «erbärmlich» sei und forderte eine «Rechenschaftspflicht» für seine Fehler und «Entlassungen in grosser Zahl».

Eine Überprüfung des «Prevent»-Programms durch den dafür ernannten Gutachter William Shawcross, die Anfang Monat veröffentlicht wurde, deckte schwerwiegende Mängel auf. Shawcross warnte davor, dass bei islamistischen und rechtsextremen Bedrohungen mit zweierlei Mass gemessen werde. Das mit 49 Millionen Pfund pro Jahr ausgestattete Programm habe der Bekämpfung rechtsextremer Aktivitäten Vorrang vor der Bekämpfung der primären islamistischen Bedrohung eingeräumt.

Weiter heisst es in dem Bericht, «Prevent» habe «rechtsextremes» Material geprüft, das «insgesamt weit unter der Extremismusschwelle liegt». Innenministerin Suella Braverman sagte den Abgeordneten, dass «Prevent» die extreme Rechte zu weit definiert habe und auch die respektable Rechte und die rechte Mitte mit einbeziehe.

Der Drehbuchautor von «House of Cards», Andrew Davies, erklärte:

«Es scheint fast wie ein Scherz zu sein. ‹House of Cards› war eigentlich ein satirischer Blick auf die rechte Politik. Diese Liste umfasst mehr oder weniger den gesamten klassischen Kanon der Literatur und einige der besten britischen Fernsehsendungen, die je gemacht wurden.»

Dr. Layla Aitlhadj, Direktorin von Prevent Watch, erachtet den Bericht von Shawcroft hingegen als eine «gefährliche Schönfärberei». Er ignoriere «nicht-muslimische» ideologische Gewalt und sende damit eine problematische Botschaft an die britische extreme Rechte, schreibt sie für Middle East Eye.

The Guardian bezeichnete RICU im Jahre 2016 als eine «vom Kalten Krieg inspirierte Propagandaeinheit». Doch während sich die Offensive des Kalten Krieges gegen den Kommunismus, Gewerkschafter und Zeitungen in Entwicklungsländern gerichtet habe, würden die aktuellen Operationen auf Muslime abzielen, sowohl in Grossbritannien als auch im Nahen Osten, so die Zeitung.

Ein Sprecher des Innenministeriums teilte mit:

«Der Innenminister hat deutlich gemacht, dass Prevent sich nun auf die Hauptbedrohung durch den islamistischen Terrorismus konzentrieren wird, aber auch wachsam gegenüber neuen Bedrohungen bleibt. Wir haben alle 34 Empfehlungen akzeptiert und sind entschlossen, unser Land vor der Bedrohung durch den Terrorismus zu schützen.»

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