Von Arnaud Bertrand
Wir könnten soeben Zeugen des größten diplomatischen Coups des 21. Jahrhunderts geworden sein.
Alle afrikanischen Länder – mit Ausnahme des winzigen Eswatini – haben kürzlich an einem hochrangigen Gipfeltreffen in Changsha (Provinz Hunan, China) teilgenommen und eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, die es in sich hat: Die China-Afrika Changsha-Erklärung ruft zum gemeinsamen Widerstand gegen den amerikanischen Unilateralismus und Protektionismus auf – und bekennt sich offen zur Umsetzung von Chinas drei großen globalen Initiativen: der Globalen Entwicklungsinitiative, der Globalen Sicherheitsinitiative und der Globalen Zivilisationsinitiative.
Wirtschaftliche Megapartnerschaft mit Afrika
China verpflichtet sich darin, allen 53 afrikanischen Ländern mit diplomatischen Beziehungen zu Peking – also allen außer Eswatini – 100 % aller Zolllinien zollfrei zu gewähren. Für die am wenigsten entwickelten Länder Afrikas sollen darüber hinaus zusätzliche Maßnahmen in den Bereichen Marktzugang, Inspektion, Quarantäne und Zollabfertigung greifen, um den bilateralen Handel massiv zu fördern.
Diese Wirtschaftspartnerschaft, die als „gemeinsame Entwicklung“ deklariert wird, geht über symbolische Gesten hinaus. Sie zielt darauf ab, Afrikas Ressourcen und demografische Stärke mit chinesischem Kapital, Know-how und Technologie zu kombinieren – jenseits westlicher Entwicklungsmodelle.
Politische Botschaft an die USA: „Genug!“
Noch deutlicher fällt der politische Teil der Erklärung aus. Die afrikanischen Staaten und China verurteilen explizit „Unilateralismus, Protektionismus und wirtschaftliches Mobbing“ – klar an die USA gerichtet – und fordern Washington auf, Streitigkeiten auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitigem Respekt zu lösen. Auf diplomatisch formulierte Weise heißt das: „Amerika, hör auf, dich wie ein Tyrann zu benehmen.“
Doch Kritik allein reicht nicht – Afrika verpflichtet sich gemeinsam zur Umsetzung sämtlicher chinesischer Weltordnungsprojekte: von der Neuen Seidenstraße („Belt and Road“) bis hin zur globalen Sicherheitsstrategie. Die Erklärung enthält eine bemerkenswerte Passage, in der sich beide Seiten verpflichten, „die legitimen Rechte und Interessen des jeweils anderen zu schützen“ – und „inmitten von Chaos und Veränderungen mit gegenseitiger Unterstützung Seite an Seite zu stehen“. Das ist kein Verteidigungspakt, aber eine klare strategische Solidaritätsbekundung gegen äußeren Druck.
Besonders brisant ist der Passus, der jeden Kompromiss auf Kosten Dritter ausschließt – de facto ein kollektives Versprechen, sich nicht spalten zu lassen und keinen „separaten Frieden“ mit westlichen Mächten zu schließen, der die anderen schwächen könnte. „Einer für alle, alle für einen“ – das ist die implizite Botschaft.
Ein beispielloser Schritt in der Weltgeschichte
Noch nie ist es einer aufstrebenden Macht gelungen, die geschlossene politische, wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung eines ganzen Kontinents für eine alternative Weltordnung zu gewinnen – und dabei die USA offen herauszufordern.
Natürlich bleibt abzuwarten, ob diesen Worten auch Taten folgen. Doch allein das Ausmaß der Ambition ist historisch: China hat ganz Afrika – 54 Staaten – davon überzeugt, sich in einer einzigen Erklärung auf einen kollektiven Wandel in der globalen Machtarchitektur festzulegen.
Volltext-Auszüge aus der China-Afrika Changsha-Erklärung (11. Juni 2025):
I. Gemeinsame Vision
Afrika und China erkennen den Aufstieg des Globalen Südens als „Trend der Zeit“ und rufen zur Errichtung „einer Gemeinschaft mit gemeinsamer Zukunft für die Menschheit“ auf. Die Umsetzung der drei chinesischen Initiativen und der Belt-and-Road-Zusammenarbeit soll die Grundlage dafür bilden.
II. Kritik am Westen
Unilateralismus und wirtschaftliches Mobbing durch „einige Länder“ – klar: die USA – erschweren die Entwicklung afrikanischer Staaten. Es brauche eine koordinierte Antwort.
III. Handelsordnung
Washington wird aufgefordert, zum multilateralen Handel zurückzukehren. Entwicklungshilfe solle nicht gekürzt, sondern erhöht werden.
IV. Gegenseitige Unterstützung
Afrika lobt Chinas Einsatz für Gleichheit und Gerechtigkeit, China würdigt Afrikas Widerstand gegen äußeren Druck. Beide Seiten stellen klar: Zugeständnisse auf Kosten Dritter wird es nicht geben.
V. Für echten Multilateralismus
Die Erklärung fordert die Rückkehr zu einem UN-geführten internationalen System und einer „offenen, integrativen, ausbalancierten Globalisierung“, inklusive einer starken WTO.
VI. Gleichheit der Staaten
Alle Länder – ob groß oder klein – seien gleichberechtigt. Chinesisch-afrikanische Freundschaft soll Stabilität schaffen und als Modell für den Globalen Süden dienen.
VII. Gemeinsame Modernisierung
Beide Seiten verpflichten sich zu gemeinsamer Modernisierung und nachhaltiger Entwicklung im Rahmen der Agenda 2063 der Afrikanischen Union.
VIII. Zollfreiheit für Afrika
China sagt komplette Zollfreiheit für alle afrikanischen Produkte zu – plus technische Hilfe, Zugangserleichterung und Handelsförderung.
IX. Hightech & Sicherheit
Zusammenarbeit in grüner Industrie, E-Commerce, KI, Recht und Finanzen soll intensiviert werden. Ziel: Hochwertige Entwicklung auf Augenhöhe.
X. Kultureller Austausch
Das Forum für China-Afrika-Zusammenarbeit (FOCAC) soll vertieft, das Jahr 2026 als „Jahr des kulturellen Austauschs“ gestaltet werden.
Fazit:
Was China in Changsha erreicht hat, ist weit mehr als ein symbolischer Akt – es ist der formelle Schulterschluss zwischen einer Weltmacht und einem ganzen Kontinent. Es markiert die möglicherweise entscheidende Wende im geopolitischen Wettstreit zwischen China und dem Westen – und Afrika steht nun klar auf der Seite Pekings.
Die multipolare Weltordnung nimmt Gestalt an – mit Afrika und China im Gleichschritt.