Horst D. Deckert

Chinas Gen-Gigant sammelt Daten von Frauen

Die BGI Group, eine chinesische Gen-Firma, verkauft Schwangerschaftstests weltweit. Dieser Test wurde in Zusammenarbeit mit dem Militär des Landes entwickelt. Damit werden Daten von Millionen von Frauen gesammelt, die für die Erforschung der genetischen Eigenschaften der Bevölkerungen verwendet werden. Dies ergab die Überprüfung entsprechender wissenschaftlicher Arbeiten und Unternehmenserklärungen durch Reuters.

Berater der US-Regierung warnten im März, dass die BGI Group eine riesige Bank von Genomdaten unterhält und mithilfe künstlicher Intelligenz analysiert. Dies könne China zu wirtschaftlichen und militärischen Vorteilen verhelfen. Die Technologie könnte China dazu bringen, die globale Pharmazie zu dominieren. Sie könnte aber auch zur genetischen Optimierung von Soldaten oder zur Manipulation von Krankheitserregern verwendet werden, um die US-Bevölkerung oder die Nahrungsmittelversorgung anzugreifen.

BGIs pränataler Test ist weltweit einer der populärsten. Reuters-Recherchen ergaben, dass die daraus gewonnenen genetischen Daten dem chinesischen Militär Möglichkeiten eröffnen, die «Bevölkerungsqualität» zu verbessern. Anwendungsgebiete sind auch die gentechnische Forschung zur Bekämpfung von Hörverlust oder von Höhenkrankheit bei Soldaten, die ihren Dienst im Gebirge leisten.

Analyse von biologischen Daten

Laut BGI werden die Tests in mindestens 52 Länder verkauft. Blutproben und genetische Daten dieser Tests werden gespeichert und analysiert. Damit sollen Anomalien wie das Down-Syndrom beim Fötus erkannt werden. Die Tests mit dem Markennamen NIFTY erfassen auch genetische Informationen über die Mutter sowie persönliche Daten wie Herkunftsland, Grösse und Gewicht. Nicht gespeichert wird hingegen ihr Name, wie ein von Reuters eingesehener BGI-Computercode zeigt.

Bislang haben weltweit mehr als 8 Millionen Frauen diesen Test benützt. BGI sagt nicht, wie viele davon in China und wie viele im Ausland. Die Tests werden routinemässig während der Schwangerschaft eingesetzt. Doch sie liefern zunehmend wichtige Informationen für die Forschung.

Eine BGI-Studie nutzte beispielsweise einen militärischen Supercomputer, um mit den Daten die Verbreitung von Viren bei chinesischen Frauen zu kartieren, nach Indikatoren für psychische Erkrankungen bei ihnen zu suchen und tibetische und uigurische Minderheiten herauszufiltern, um Verbindungen zwischen ihren Genen und anderen Eigenschaften zu finden.

Das Ausmass der Anhäufung pränataler Daten und durch BGI und ihrer Zusammenarbeit mit dem Militär in der Forschung waren bisher nicht bekannt. Seit 2010 wurde mindestens ein Dutzend gemeinsamer Studien des Unternehmens mit der Volksbefreiungsarmee (PLA) veröffentlicht, in denen die Tests erprobt und verbessert oder die von ihnen gelieferten Daten analysiert wurden.

Keine internationale Kooperation

DNA-Daten, die mit pränatalen Tests an Frauen ausserhalb Chinas gesammelt wurden, wurden auch in Chinas staatlich finanzierter Gendatenbank – eine der grössten der Welt – gespeichert. BGI betreibt diese Genbank, die Stadtregierung von Shenzhen und Pekings grösster staatlicher Investmentfonds haben 2014 Anteile davon übernommen. (…)

Peking hat in einer Verordnung von 2019 klargestellt, dass genetische Daten eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit sein können und beschränkt seit 2015 den Zugriff ausländischer Forscher auf Gendaten chinesischer Staatsangehöriger. Im Gegensatz dazu gewähren die Vereinigten Staaten und Grossbritannien ausländischen Forschern im Rahmen der Open-Science-Politik Zugang zu genetischen Daten. BGI behauptet indessen in einer Erklärung, dass sie noch nie Testdaten an chinesische Behörden geliefert hätten.

Andere Unternehmen, die solche pränatalen Tests verkaufen, verwenden ebenfalls Daten für die Forschung. Aber keines operiert in einer Grössenordnung wie BGI oder hat Verbindungen zu einer Regierung oder zum Militär. (…)

Zuvor schon hatte Reuters aufgedeckt, wie BGI seine Gensequenzierungs-Labore weltweit rasant ausgebaut und eine zunehmend wichtige Rolle in den Gesundheitssystemen anderer Nationen erlangt. Aber auch, wie es mit Chinas Militär an Massentests für Krankheitserreger der Atemwege arbeitete oder Hirnforschung betrieb.

Forschungen forcieren

Ein US-Expertengremium äusserte im März, dass die Vereinigten Staaten Chinas Schritte in Richtung globaler Führung in Biotechnologie und künstlicher Intelligenz als eine neue Art nationaler Sicherheitsbedrohung erkennen sollten. Und dass die USA die Finanzierung ihrer eigenen Forschung erhöhen müsse, um Chinas Bestrebungen entgegenzuwirken.

Chinas Aussenministerium entgegnete, solche Berichte spiegelten «grundlose Anschuldigungen und Verleumdungen» von US-Behörden wider. BGI antwortete nicht auf Fragen zu seiner Zusammenarbeit mit dem Militär oder zu nationalen Sicherheitsbedrohungen, die seine Forschung nach Ansicht der Vereinigten Staaten darstellt. (…)

Gemäss einer chinesischen Verordnung aus dem Jahr 2016 sollen Proben und genetische Sequenzen von Tests an chinesischen Frauen mindestens drei Jahre lang aufbewahrt werden. Bezüglich ausländischer Frauen erklärte BGI gegenüber Reuters, dass die Proben vernichtet und die Papierunterlagen und elektronischen Daten nach maximal fünf Jahren gelöscht würden.

Die BGI-Forschungen haben zum Teil einen medizinischen Nutzen. BGI hat die Kosten für die Gensequenzierung gesenkt, so dass mehr Universitäten, Unternehmen und Krankenhäuser weltweit Zugang zur Sequenzierungstechnologie haben. Dies ist wichtig für das wachsende Feld der Genomforschung. Genetik ist das Studium einzelner Gene; die Genomik betrachtet alle Gene eines Menschen und interessiert sich auch dafür, wie sie miteinander und mit der Umwelt interagieren.

BGI sieht sich als Mitstreiter im globalen Wettkampf zur Beendigung der Covid-19-Pandemie und will einen wichtigen internationalen Beitrag zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit auf der ganzen Welt leisten. Das Unternehmen arbeitet nach eigenen Angaben mit einer Vielzahl von Forschungsorganisationen nicht nur in China, sondern auch in den Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Europa zusammen.

Ihre Tests werden in mindestens 13 Ländern der Europäischen Union vermarktet, darunter Deutschland, Spanien und Dänemark. Ausserdem in Grossbritannien, Kanada, Australien, Thailand, Indien und Pakistan. In den Vereinigten Staaten sind sie nicht erhältlich. (…)

Ernsthafte Bedenken

Wie Reuters herausfand, hatten die getesteten Frauen zwar Einverständniserklärungen unterschrieben, dass ihre genetischen Daten gespeichert und für Forschungszwecke verwendet werden. Sie wussten aber nicht, dass ihre genetischen Informationen in China landen könnten.

Das U.S. National Counterintelligence and Security Center (NCSC) teilte Reuters als Reaktion auf diesen Bericht mit, dass es ernsthafte Bedenken darüber habe, wie genetische Daten von Chinas Regierung und Unternehmen gesammelt, übertragen, gespeichert und verwendet werden.

Nicht-invasive pränatale Testkits, die von chinesischen Biotech-Firmen vermarktet werden, dienen einer wichtigen medizinischen Funktion. Aber sie können auch einen weiteren Mechanismus für die Volksrepublik China und chinesische Biotech-Firmen bieten, um genetische und genomische Daten aus der ganzen Welt zu sammeln.

Die «Millionome-Datenbank»

Das in Shenzhen ansässige BGI erlangte im vergangenen Jahr weltweite Bekanntheit, nachdem es Millionen von COVID-19-Testkits und Gen-Sequenzierungslabors ausserhalb Chinas verkauft oder gespendet hatte. US-Sicherheitsbehörden warnten, dass dies Teil einer Bemühung war, grosse Mengen an fremdem genetischen Material zu sammeln. BGI sagte in diesem Jahr, dass es 80 COVID-19-Labore in 30 Ländern aufgebaut hat, die es für reproduktive Gesundheitstests umfunktionieren will.

BGI sagt, dass seine COVID-19-Tests keine Patienten-DNA sammeln. Aber seine pränatalen Tests tun es. In den BGI-Büros auf dem chinesischen Festland aktualisieren sich riesige Bildschirme in Echtzeit, während die Proben aus den Tests schwangerer chinesischer Frauen in die China National GeneBank hochgeladen werden. Die Bildschirme zeigen auch den Standort der Frauen.

BGI sagte Reuters, dass das Projekt – bekannt als die «Chinese Millionome Database» – keine Daten von Frauen ausserhalb des chinesischen Festlandes enthält. Online-Aufzeichnungen, die von Reuters überprüft wurden, zeigen jedoch, dass die genetischen Daten von mindestens 500 Frauen, die den NIFTY-Test gemacht haben, einschliesslich einiger ausserhalb Chinas, in der staatlich finanzierten China National GeneBank gespeichert sind. Auf der GeneBank-Website wird die «NIFTY-Datenbank» als eine der «reichhaltigen Quellen für biologische Daten» vermerkt.

BGI patentierte seine Tests im Jahr 2011 und begann 2013 mit der Vermarktung im Ausland. Heute sind pränatale Tests die wichtigste Einnahmequelle der Firma. Die Tests des BGI decken mittlerweile 84 verschiedene genetische Erkrankungen auf. Sie sequenzieren etwa ein Zehntel des mütterlichen Genoms. Wer also jährlich beispielsweise von 10 Millionen Menschen pro Jahr diese Daten erhalten kann, hat eine sehr starke Position.

Die Technologie könnte Muster von genetischen Variationen in der Bevölkerung auf der ganzen Welt aufdecken. Die Tests können auch zeigen, ob die Mutter Chromosomenanomalien, Krebs, eine Autoimmunerkrankung, eine kürzliche Organtransplantation oder eine Bluttransfusion hatte. In der Zukunft könnte sogar möglich sein, aus einem NIPT-Test zu rekonstruieren, wie eine Person aussieht.

Grosse genomische Datensätze können verwendet werden, um Krankheitstherapien zu entwerfen, aber sie enthüllen auch genetische Schwachstellen in einer Bevölkerung. Ein Gegner könnte eine Anfälligkeit für Krankheiten in einem gezielten genetischen Angriff ausnutzen, warnten US-Experten im vergangenen Jahr. Sie äusserten auch Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Es sei nachgewiesen, dass Individuen sogar anhand eines Teils ihrer DNA identifiziert werden können.

Letztes Jahr kündigte das BGI an, dass es die Genomik «industrialisieren» würde, und im April sagte es, dass ein Prototyp-Roboter, der in der Lage ist, eine Million ganzer Genome pro Jahr zu sequenzieren, nun für die Verarbeitung von NIFTY-Tests eingesetzt würde.

«Innovationsprojekt Militärmedizin»

BGI arbeitet seit mindestens 2010 mit chinesischen Militärforschern zusammen. Dies belegen Unterlagen, die Reuters vorliegen. (…) Die Universität und das BGI veranstalteten Konferenzen zu Themen wie «Verhinderung von Geburtsfehlern» sowie zur «Verbesserung der Bevölkerungsqualität».

Ein leitender Angestellter des BGI war auch in einem Gremium, welches feststellte, dass «Geburtsfehler nicht nur die Gesundheit und Lebensqualität der Kinder beeinflussen, sondern auch die Qualität der Bevölkerung und der Arbeitskräfte des Landes». Ein Plan zur Förderung des Screenings auf 48 genetische und metabolische Krankheiten wurde genehmigt.

Neben der pränatalen Forschung hat das BGI mit den Militärkrankenhäusern an genetischen Forschungsprogrammen gearbeitet, die die Leistungsfähigkeit der Soldaten verbessern sollen. Es arbeitete mit dem PLA General Hospital zusammen, um Gene zu identifizieren, die mit Hörverlust in Verbindung stehen: Das Krankenhaus setzt Stammzellen und Gentherapie in der Forschung zur Bekämpfung von Taubheit bei Soldaten ein, die durch Waffentraining verursacht wird.

Und BGI veröffentlichte Studien mit der Third Military Medical University in Chongqing, in denen untersucht wurde, ob Medikamente, die mit Genen interagieren, Han-Chinesen vor Hirnverletzungen in grossen Höhen schützen könnten. Diese Studien beziehen sich auf Soldaten, die in Tibet und Xinjiang stationiert sind, Hochplateau-Regionen, die an das indische Ladakh grenzen, wo im vergangenen Juni Kämpfe ausbrachen.

Forscher waren auch in der Lage, Gene zu erkennen, die mit bipolarer Krankheit, Schizophrenie, Immunreaktion und Resistenz gegen Malaria in Verbindung stehen. Sie waren in der Lage, Gene mit der Körpergrösse und dem prozentualen Anteil an Körperfett sowie mit einer Ernährung mit hohem Anteil an tierischen Fetten zu verknüpfen. Und sie konnten auch Viren aufzuspüren.

Unterschiede zwischen Ethnien

Den Forschern gelang es ausserdem, genetische Unterschiede zwischen der dominanten ethnischen Gruppe der Han-Chinesen und Minderheiten wie Uiguren und Tibetern nachzuvollziehen und Bevölkerungsbewegungen und Mischehen zu untersuchen, die durch die chinesische Regierungspolitik seit 1949 verursacht wurden. Diese Daten wurden später an andere chinesische Forscher weitergegeben. Diese untersuchten, wie sich «signifikant unterschiedliche» genetische Variationen bei Uiguren auf ihre Reaktion auf Medikamente auswirkten, wie eine wissenschaftliche Arbeit von 2019 zeigt.

Chinas Sammlung und Analyse der DNA seiner uigurischen muslimischen Bevölkerung – einschliesslich der systematischen Sammlung von Proben von Bewohnern in Xinjiang – hat scharfe Kritik hervorgerufen. Die Vereinigten Staaten sanktionierten letztes Jahr zwei BGI-Tochtergesellschaften für das, was sie Chinas «missbräuchliche DNA-Sammlungs- und Analyseprogramme zur Unterdrückung seiner Bürger» nannten. BGI bestritt, in Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verwickelt zu sein. Chinas Aussenministerium entgegnete, dass bei Gesundheitsuntersuchungen von Uiguren keine biologischen Informationen wie DNA gesammelt würden. (…)

Zum Originalartikel (auf Englisch)

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